Hänel kämpft, die SPD kämpft mit sich selbst

Paragraf 219a Das Urteil gegen Kristina Hänel bleibt bestehen – so will es das Gesetz. Dass sich an diesem nichts ändert, liegt an der SPD
Kristina Hänel müsse "das Urteil tragen als Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz", sagte der Richter nach dem Urteil
Kristina Hänel müsse "das Urteil tragen als Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz", sagte der Richter nach dem Urteil

Foto: imago/epd

Natürlich hat das Landgericht Gießen die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel bestätigt und die Berufung verworfen: die sachliche Information über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen ist nun einmal strafbar. So ist die derzeitige Rechtslage. Kein Richter kann sie ändern. „Sie müssen das Urteil tragen als Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz“, sagte der Richter seiner Verurteilten dann auch nach Urteilsverkündung: „Gerichte sind damit überfordert, wenn Gesetze gemacht werden, die nicht passen.“

Denn wer die Rechtslage ändern kann, ist nur der Gesetzgeber, und: es gibt sogar eine Mehrheit im Bundestag für die Abschaffung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch, der die Information über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärztinnen und Ärzte als „Werbung“ verbietet. Von der Linken über Grüne und FDP bis zur SPD sind alle für die Streichung oder Veränderung des Paragrafen, damit Ärztinnen wie Frau Hänel darüber informieren dürfen, dass sie diese Eingriffe durchführen – und Frauen online an die Information kommen, wo sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen können. Es gibt nur einen Grund, warum Kristina Hänel weiter verurteilt werden muss: die SPD blockiert die offene Abstimmung im Bundestag, um die CDU und mit ihr den Koalitionsfrieden zu schützen. Wie so oft.

Bis Herbst wolle die Bundesregierung einen Einigungsvorschlag zu Paragraf 219a vorlegen, versprach die Kanzlerin, versprach auch die SPD. Einigen müssen sich die federführende Justizministerin Katarina Barley mit Gesundheitsminister Jens Spahn und Familienministerin Franziska Giffey. Herbst ist jetzt, man darf also gespannt sein. Nur: wie soll so eine Einigung denn aussehen? Die Union lehnt selbst die Lösung ab, Werbung für Abtreibung zu verbieten und sachliche Information zu erlauben. Sie will, dass Frauen sich ausschließlich bei den Beratungsstellen über Abtreibungen informieren können, und eben nicht direkt bei den Ärzten oder einfach online. Eine Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen will sie vermeiden. Die Hürde des Umwegs über die Beratungsstellen (und sei es nur für die reine Information! Denn durch die Beratungsstellen muss jede Frau, die abtreiben will, ohnehin per Gesetz) soll bleiben.

Die SPD wartet auf die Union

„Wenn man nicht will, dass Frauen Informationen erhalten sollen, muss man sie zu Analphabetinnen machen“, kommentierte Hänel diese Politik, Frauen den Zugang zu aufklärenden Informationen zu erschweren. Es gibt einen Roman, in dem diese Dystopie ausbuchstabiert wird. Es ist „Der Report der Magd“, den Margaret Atwood bereits 1985 verfasste und der durch die Verfilmung zu einer Serie aktuell zu neuem Ruhm gelangt. Darin werden Frauen zwangsweise zu Leihmüttern versklavt, zu Brutmaschinen, ihnen wird das Recht zum Lesen genommen – wer doch dabei erwischt wird, der wird erst der Finger, dann die Hand abgehackt. Zwei Femen-Aktivistinnen zeigten am Freitag die Parallelen zwischen der politischen Position der CDU und dieser Dystopie auf, als sie das Landgericht in Gießen im Kostüm jener zwangsversklavten „Mägde“ stürmten und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung forderten.

Die SPD könnte dafür sorgen, dass Frauen das Recht dazu gegeben wird, sich über körperliche Eingriffe zum Schwangerschaftsabbruch selbst zu informieren. Online und bei Ärztinnen, wie man sich über jedes gesundheitliche und körperliche Thema informieren kann. Sie hätte schon im März dafür sorgen können, als sich die parlamentarische Mehrheit für die Straffreiheit der Information über Abtreibung abzeichnete und sie einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung von Paragraf 219a vorlegte, den sie dann aber nicht auf die Tagesordnung im Bundestag setzte. Warum? Sie wartet lieber auf die CDU. Schade, denn mit einer klaren Linie zum Thema körperliche Selbstbestimmung hätten die Sozialdemokratinnen in den Wahlkämpfen in Bayern und Hessen an Profil gewinnen können. So bleibt ihr Profil eben, auf die Union zu warten. Und stattdessen Frauen wie Hänel allein kämpfen zu lassen. Was wird wohl schneller gehen: der juristische Weg durch die Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht, den sich Hänel und ihr Anwalt Karlheinz Merkel vorgenommen haben? Oder der parlamentarische Prozess unter einer profillosen, wartenden SPD?

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

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