Kein Kuschen vor der AfD

BAMF-Skandal Dabei zuzuschauen, wie Grüne, SPD und Linke emsig im Hamsterrad der Rechtspopulisten rennen, ist zum Heulen. Setzt endlich eigene Akzente!
Ausgabe 22/2018
Von den mutmaßlich nicht ausreichend geprüften Asylanträgen wurden überwiegend Jesidinnen und Jesiden in Bremen Asyl gewährt
Von den mutmaßlich nicht ausreichend geprüften Asylanträgen wurden überwiegend Jesidinnen und Jesiden in Bremen Asyl gewährt

Foto: Safin Hamed/AFP/Getty Images

Zehntausende Menschen sind am Wochenende in Berlin gegen den Hass der AfD auf die Straße gegangen. Sie haben daran erinnert, dass die rassistische Rechts-außen-Politik nur von einer Minderheit getragen wird. Und sie haben gezeigt, dass viele sich eine kulturell vielfältige, solidarische Gesellschaft wünschen. Das wäre der Moment, in dem linke Parteien innehalten könnten, sich fragen müssten: Was tun wir eigentlich für solch eine Gesellschaft? Stattdessen kreist der politische Diskurs nach diesem Wochenende um die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zum BAMF. Um eine Forderung der FDP und, richtig, der AfD.

Dabei zuzuschauen, wie Grüne, SPD und selbst Linke beständig im Hamsterrad der Rechtspopulisten im Kreis rennen: zum Heulen! Nun also eine weitere Drehung: um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Was gibt es zum BAMF aus linker Perspektive zu sagen? Es gibt zu monieren, wie Katja Kipping dies tat, dass 2017 rund 32.500 der negativ entschiedenen Asylentscheide vor Gericht kassiert wurden – insgesamt 44 Prozent der Entscheide, gegen die Geflüchtete geklagt haben.

Zu den 1.176 mutmaßlich nicht ausreichend geprüften Asylanträgen gibt es zu sagen, dass es überwiegend Jesidinnen und Jesiden waren, denen in Bremen Asyl gewährt wurde. Über ihre Lage im Irak wurde genug berichtet: Der IS schlachtete Jesiden ab, die Frauen hielt er als Sexsklavinnen. Aus linker Perspektive würde man vor diesem Hintergrund eher sagen, dass es sich bei der ehemaligen Leiterin des Bremer BAMF um eine Heldin handelt.

Aber darum geht es nicht. Es geht weder um die negativen Asylentscheide noch um die Rettung der Jesidinnen in Bremen. Warum? Weil in der Debatte über die BAMF-Affäre nicht Linke den Ton angeben, sondern Rechte. Und die haben so einiges über das BAMF zu sagen. Wenn 1.176 Asylanträge ohne ausreichende Grundlage positiv entschieden wurden, so lautet der Tenor, wie viele Migranten leben dann „unrechtmäßig“ unter uns? Gefährlich! Ungeprüft wurden sie aufgenommen, das können Terroristen sein, Kriminelle ... Dieses Drohszenario ist es, das einen Vorfall von 1.176 möglicherweise ungenügend geprüften Asylanträgen zu einer politischen „Affäre“ aufbläst, die tatsächlich in der Lage ist, Seehofer von rechts unter Druck zu setzen. Einen CSU-„Heimatminister“! Sollen Linke, Grüne und SPD nun der von rechts eingebrachten Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zustimmen? AfD-Politiker müssen sich ins Fäustchen lachen, dass die FDP es geschafft hat, linke Parteien vor diese Frage zu stellen. Win-win für Rechtspopulisten: Lehnen sie eine intensive Aufklärung ab, gelten die Linken als undemokratisch. Setzen sie den Untersuchungsausschuss mit den Stimmen der AfD und FDP ein, feiern Rechtspopulisten dies als größten Erfolg ihrer bisherigen Oppositionsarbeit.

Los, raus aus dem Hamsterrad! Vergesst den Untersuchungsausschuss! Hat denn niemand etwas gelernt, 25 Jahre nach dem Asylkompromiss, 25 Jahre nach dem tödlichen Neonazi-Anschlag in Solingen? Die Lehre ist so einfach: Lässt sich die Politik von der Hetze des rechten Mobs vor ihm hertreiben, regiert der rechte Mob. Die linke Zivilgesellschaft hat auf der Straße gezeigt, wie es geht: eigene Ausrufezeichen setzen. Zum Beispiel haben die Jobcenter 2017 über 225.000 Hartz-IV-Entscheide unrechtmäßig gefällt. Das wäre mal eine Untersuchung wert. Aber nicht warten, bis ... die AfD wird daraus keinen Skandal machen!

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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