Da ist einer wild geworden. Sieht man sofort. Völlig außer sich, Brutalität pur, eine Mordmaschine, der hat ein riesiges Messer, fuchtelt – und sticht los. Keine Verpixelung kann ihn verdecken, den Horror der Szene in Würzburg, und das Kopfkino geht bei vielen los: Wer sagt mir, dass der neben mir nicht auch gleich durchdreht? Nein, sagt man sich: Nein, wer so durchdreht, muss schon von einer ganz bestimmten Sorte Mensch sein. Und mancher wünscht: Möge man diese Sorte herausfinden. Und dann gibt es noch die, die meinen: und alle davon wegsperren.
Es muss also eine Erklärung her für die Tat in Würzburg. Der Täter war psychisch krank, so lautet die eine: im Bürgerkrieg traumatisiert, dann psychotisch, einfach ausgetickt. Der Täter war politisch radikalisiert, so lautet eine andere: Dem Islamismus verfallen, auf dem Dschihad-Trip. Es war ein Femizid, so lautet die dritte Erklärung: Ein Frauenhasser, der aus Frauenhass drei Frauen ermordete.
Smartphones werden ausgewertet, Psychiatrie-Berichte gelesen. Und am Ende werden die Fakten zur Geschichte einer Sorte Mensch zusammengelegt. Diese Somalier, sagen die Rechten, die haben einfach so eine brutale Kultur, Messerattacken sind für die normal, Frauen zählen für die nichts, also kommen die hierher und bringen Frauen einfach um. Diese psychisch Kranken, sagen die Antirassisten, sind einfach aggressiv, und wenn sie Amok laufen, dann tun sie das, weil sie psychisch krank sind, die ideologische Motivation ist für sie nur eine von vielen Folien, die sie darüber legen könnten. Diese patriarchalen Männer, sagen die Feministinnen, kehren ihre Unsicherheit, Unterdrückung nach außen, sie kanalisieren ihre Wut in Frauenhass um, weil die Gesellschaft es ihnen so beibringt. Wen müssen wir nun also wegsperren? Bürgerkriegsgeflüchtete, radikalisierte Muslime, sexistische Männer, Traumatisierte?
Doch dann kommen die Störungen der Geschichte. Moment, nur die allerwenigsten psychisch Kranken sind gewalttätig, sagen die Psychologinnen, es müssen besondere Umstände dazu kommen: Bestimmte Formen von Psychosen kombiniert mit schwerer Traumatisierung, Drogenkonsum, sozialer Isolation oder fehlender Behandlung. Moment, nur die allerwenigsten Femizide finden so öffentlich statt, sagen die Feministinnen, die meisten werden von Männern im familiären Umkreis verübt. Moment, sagen die Verteidigerinnen der offenen Gesellschaft, nur die allerwenigsten in Bürgerkriegen traumatisierten Männer, die fliehen und nach Europa kommen, begehen hier einen Mord.
Und so ergibt sich langsam, ganz langsam eine Geschichte, die niemandem gefällt: Die komplexe Geschichte eines 24-jährigen Mannes, der in seinem noch nicht allzu langen Leben eine so explosive Mischung aus Gewalterfahrungen angehäuft haben muss, dass er unter ihr zusammenbrach. Und die komplexe Geschichte einer Gesellschaft, die eine offene Gesellschaft sein möchte, um Umgang mit psychischer Krankheit, sozialer Isolation und Gewalt aber so überfordert ist, dass sie in der Sorge für die Ohnmächtigsten versagt. Es sei gesagt: Die allerwenigsten der Ohnmächtigsten ermächtigen sich auf so brutale Weise.
Diese Geschichte ist so voller Widersprüche, sie erzählt nicht von einer Sorte Mensch, die man wegsperren könnte. Man kann sich für Frieden einsetzen, gegen Bürgerkrieg und (männliche) Gewalt. Man kann Sozialdienste und Psychiatrien besser ausbauen (viel besser). Man kann an vielen Schrauben drehen. Aber eben nicht an der einen. Diese Geschichte ist keine Geschichte.
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