Wir können uns ihre Gewinne nicht mehr leisten: Vonovia enteignen!

Wohnen Der Konzern begründet eine Mieterhöhung mit der Inflation – doch diese Gesellschaft kann nicht noch mehr Miete zahlen. Jetzt ist die Zeit gekommen, Wohnraum demokratisch zu verwalten: durch Vergesellschaftung
Zum Glück haben die Mieter*innen in Berlin vorausschauend gehandelt und vergangenes Jahr für die Vergesellschaftung gestimmt
Zum Glück haben die Mieter*innen in Berlin vorausschauend gehandelt und vergangenes Jahr für die Vergesellschaftung gestimmt

Foto: Imago/Ipon

„Wir können nicht so tun, als wenn die Inflation an den Mieten vorbeigeht“, sagt der Wohnkonzern Vonovia – und kündigt über seinen Vorstandschef Rolf Buch Mieterhöhungen an: „Wenn die Inflation dauerhaft bei vier Prozent liegt, müssen auch die Mieten künftig jährlich dementsprechend ansteigen“. Jährlich. In Zahlen auf dem Kontostand bedeutet das: Während die Reallöhne in Deutschland um 1,8 Prozent sinken, muss von diesem Weniger vier Prozent mehr Miete gezahlt werden. In Zahlen auf dem Kontostand heißt das: Während 38 Prozent der Leute Sorge haben, ihren ganz normalen Lebensunterhalt nicht mehr bezahlen zu können, will Vonovia ihre Milliardengewinne halten. Es war Pandemie, es ist Krieg, es herrscht Inflation. Die Gesellschaft steht nun vor einer Grundsatzfrage: Wie viel Reichtum können wir uns in diesen Krisenzeiten noch leisten?

Zum Glück haben die Mieter*innen in Berlin vorausschauend gehandelt und vergangenes Jahr in einem Volksbegehren mit 56 Prozent Mehrheit entschieden, dass es ihnen zu gefährlich ist, Güter wie Wohnraum von Konzernen verwalten zu lassen, die ihre Profitmaximierung (notwendigerweise) an erste Stelle stellen. Sie haben vorausschauend entschieden: Ein Gut, das für die Allgemeinheit so existenziell ist, gehört unter demokratische Kontrolle, wie es das Grundgesetz vorsieht. Artikel 14 besagt: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Artikel 15 besagt: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Doch Berlins Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hält nichts davon, Wohnkonzerne unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Berliner Senat lässt derzeit in einer Kommission prüfen, ob das Volksbegehren durchsetzbar ist.

Zweite Mieterhöhung in diesem Jahr

Kurz vor der Ankündigung von Vonovia, die Mieten (ein weiteres Mal in diesem Jahr!) zu erhöhen, stellte Giffey der Öffentlichkeit eine andere Idee vor, wie sie Wohnraum in Berlin demokratisch regulieren möchte: durch eine „Belastungsgrenze“ für Mieter*innen. Sie sollen „nicht mehr als 30 Prozent seines Haushaltsnettoeinkommens für die Miete zahlen“. Zugegeben: Das wäre eine beeindruckende Mietpreisregulierung. Nun stellt sich auch hier die Frage: 30 Prozent von welchem Einkommen? Welcher Vermieter sucht sich denn einen Mieter aus, der nur 30 Prozent von einem Einkommen von 1500 Euro im Monat zahlen kann, wenn er auch eine Mieterin nehmen kann, die 30 Prozent von 4200 Euro zahlen kann? Wer muss hier das Risiko tragen für die Krisen unserer Zeit?

Vonovia hat die Miete in diesem Jahr bereits einmal erhöht, für ein Achtel ihrer knapp 40.000 Wohnungen in Berlin, nach eigenen Angaben um acht Cent pro Quadratmeter. Als der Konzern mit Deutsche Wohnen fusionierte, gab er das Versprechen ab, die Miete für ihren Berliner Bestand in den kommenden drei Jahren um nicht mehr als ein Prozent zu erhöhen. Eigentlich. Berliner Mietberatungen berichteten im Januar jedoch von Erhöhungen von zehn Prozent: 550 Euro im Monat statt 500 Euro. Plus erhöhte Stromrechnung, plus erhöhte Gasrechnung, plus erhöhte Lebensmittelpreise. Auf diese zehn Prozent will Vonovia jetzt noch etwas draufschlagen – Versprechen hin oder her, jetzt ist Krise.

Es ist für uns alle Krise, für Konzerne und für Menschen. Die Ärmsten berichten derzeit auf Twitter unter #IchbinArmutsbetroffen, dass ihr Einkaufswagen früher für 100 Euro voll war, jetzt sei er noch halbvoll. Sie berichten, dass sie sich das Steak von Lidl, das sie sich früher am 1. des Monats leisteten, jetzt nicht mehr leisten. Vonovia schüttete derweil 1,3 Milliarden Euro Dividenden für 2021 an die Aktionäre aus, das ist eine gigantische Steigerung von einem Drittel gegenüber dem Vorjahr – Deutsche Wohnen sei Dank. Wie viel Profit können wir uns in diesen Krisenzeiten noch leisten? Die Antwort auf diese Frage zeigt, wie viel Armut wir uns in diesen Krisenzeiten noch leisten wollen. Es ist eine Frage, die die Gesellschaft beantworten muss. Und nicht der Vorstandschef.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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