Nicht weniger als eine Revolution versprach Emmanuel Macron in seinem gleichnamigen Manifest. Von einem geeinten Europa bis zur Durchsetzung universeller Menschenrechte war alles dabei. Antirassistisch, feministisch, kosmopolitisch. Aber irgendwas fehlte. Was nur?
Der blinde Fleck in Macrons Politik wurde am Wochenende grell sichtbar – in gelber Weste erklomm er den Arc de Triomphe. Die nicht Gesehenen schlugen die Scheiben von Chanel an den Champs-Élysées ein und forderten die Erhöhung des Mindestlohns und der Rente sowie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Es sind die „populären Klassen“, schreiben Soziologen in der französischen Presse, die bei Macrons 224-Seiten-Revolution mit keinem Wort erwähnt wurden und die jetzt, in alter französischer Tradition, ihre eigene Revolution aus der Provinz in die Hauptstadt tragen.
Die populären Klassen? Sind das nicht die, über die Didier Eribon schreibt? Diese armen Leute in winzigen Wohnungen in Nordfrankreich, dort, wo die Wahlkarte schwarz gefärbt ist, Leute, deren homosexuelle Söhne nach Paris flüchten müssen, die früher Algerien und jetzt Frankreich französisch haben wollen, die für Abschiebung sind und gegen die Einwanderung in das französische Sozialsystem?
Wenn es diese Leute sind, die jetzt auf den Champs-Élysées Autos anzündeten, dann kann die Linke aufatmen. Denn mal ehrlich, hatte man sich so den kommenden Aufstand vorgestellt? Zumindest in Deutschland wandte sich der Protest dieses Milieus nicht gegen die Steuerpolitik. Was brannte, waren Flüchtlingsunterkünfte, nicht die Autos auf dem Berliner Ku’damm. Die von Abstiegsangst geplagten Klassen sind nicht für ihre eigenen sozialen Interessen aktiv geworden, sondern gegen Geflüchtete, sie wandten sich gegen Wer-teliberalismus, nicht gegen unsoziale Politik. Dass es nicht Macrons Antidiskriminierungspolitik ist, die das Kleinbürgertum in Frankreich auf die Barrikaden bringt, sondern seine Steuerpolitik – das könnte für Europas Linke ein Segen sein. Denn es sind gerade nicht die politischen Lager, entlang derer sich die Bewegung formiert, national gegen kosmopolitisch, konservativ gegen progressiv. Unter den Gelbwesten finden sich Rassistinnen und Sexisten, Unpolitische, Kommunisten. Nicht ihre politische Einstellung bringt sie zusammen – sondern ihr soziales Interesse: mehr Mindestlohn, mehr Rente, Vermögenssteuer. Ihr Klassenstandpunkt.
Ist er also wieder da, der good old Klassenkampf, im grellsten Neongelb? Kann man sich die Streitereien um Nationalismus vs. Kosmopolitismus sparen, die nicht nur die Linke spalten, sondern die populären Klassen selbst? Nicht ganz. Denn erstens ist nicht ausgemacht, ob die sehr weiße Bewegung ihre Errungenschaften am Ende nicht doch „für sich“ behalten will, der Rassismus also nur auf Stand-by geschaltet ist. Und zweitens ist der erste Erfolg der Bewegung – die Aufschiebung der Ökosteuer-Erhöhung – nicht sozial. Im nationalen Rahmen mag eine Benzinsteuer ungerecht sein, im globalen Rahmen zerstört die freie Fahrt für freie Bürger die Lebensgrundlage von Millionen. Der Strukturwandel muss sozial gerecht sein – aber er muss sein. Die Gelbwesten schlugen eine „Bürgerversammlung“ vor, um über die ökologische Transformation zu diskutieren. Fangen sie etwa an, Klimapolitik sozial zu gestalten, statt sie kleinbürgerlich abzulehnen? Das wäre revolutionär. Ein brennender SUV aber macht noch keinen klimagerechten Klassenkampf.
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