Platz da!

Geschlechterkampf Auch Frauen fahren zunehmend große Autos. Die weibliche Raumnahme provoziert Männer, bringt Gleichheit – und zerstört den Planeten
Ausgabe 27/2019
Der neoliberale Albtraum: eine Frau und ihr SUV
Der neoliberale Albtraum: eine Frau und ihr SUV

Foto: Tim Boyle/Getty Images

Die Männer gucken nur. In ihre weißen Turbäne gewickelt stehen sie am Straßenrand, ihre Augen weit aufgerissen, vor ihnen auf der Wüstenpiste swaggen die Girls. Sie fahren ihre Autos nicht, sie reiten sie, mit schwarzen Handschuhen ergreifen sie fest das lederne Lenkrad, reißen ihr gestähltes Pferd auf die linke Seite, balancieren auf zwei Reifen, sie lehnen sich aus dem Fenster und strecken ihre Hände weit hinaus, sie drücken ihre Brüste zu dem Beat in die vibrierende Luft, „Live fast, die young“, rappt M. I. A.

Im Clip zum Hiphop-Song „Bad Girls“ der britischen Rapperin M. I. A. von 2012 liefern sich Frauen in der saudischen Wüste Rennen, zu Zeiten, als hier für Frauen noch nicht einmal das Fahren in der Einfahrt erlaubt war. Also vor 2018. M.I.A. reitet durch den weiten Wüstensand, und die Männer fahren in einem völlig überfüllten Bulli. Der Clip provoziert durch weibliche Raumnahme. Lustvolle Raumnahme – im SUV. „I‘m coming in a Cherokee Gasoline.“

Frauen und SUV, das beschäftigt derzeit die Medien. „Warum fahren Frauen auf SUV ab?“, fragt die Zeitschrift Auto Motor Sport, Bild sucht die „beliebtesten SUVs bei Frauen“ zusammen, die Welt will uns erklären, „Warum Frauen SUVs so lieben“. Und im Tagesspiegel echauffiert sich Jens Tartler: „Vor der Schule kann man besichtigen, wie sie ihre eigenen Kinder im SUV kutschieren.“ Der Autor sorgt sich, ob Frauen überhaupt in der Lage sind, über ihr eigenes Lenkrad hinaus zu sehen: „Fahren diese Mütter ein anderes Kind an, sind die Folgen katastrophal. So weit denken sie nicht oder wollen es nicht.“

Man könnte fast den Eindruck bekommen, als sei das Sports Utility Vehicle das neue Frauenauto schlechthin. Was nicht den Tatsachen entspricht. Nach einer Studie der Hochschule Niederrhein – mit eigenem Kompetenzzentrum „Frau und Auto“ – lag der Anteil weiblicher SUV-Besitzer 2013 bei 26 Prozent. Der Kleinwagen ist unter Frauen mit 54,9 Prozent noch immer das beliebteste Auto. Und auch unter den SUVs entscheiden sich Frauen eher für kleinere Modelle: Während laut Vergleichsportal Verivox nur 18,5 Prozent der BMW-X6-Fahrerinnen weiblich sind, sind es beim Renault Capture schon 43,5 Prozent. Für SUV-Unkundige: Der X6 kostet 76.300 Euro und wiegt 2,3 Tonnen; der Renault kostet 16.500 Euro und wiegt 1,3 Tonnen.

Allerdings nimmt der Anteil der SUVs unter den Autos von Frauen stetig zu. Waren 2010 noch 322.000 Stadtpanzer in weiblicher Hand, sind es 2017 schon knapp eine Million. Fahrerinnen sind dabei vor allem Selbständige und Freiberuflerinnen. Woran liegt diese Zunahme?

Design des Neoliberalismus

Auf dem Blog Geschichte der Gegenwart hat Markus Caspers die Entwicklung des SUV nachverfolgt: Der „Wagoneer“, eine allradgetriebene Weiterentwicklung des Jeepsters, blieb in den USA in den 1960ern ein Nischenprodukt. In England wurden die Pläne für einen Road Rover jahrelang beiseite gelegt, der Range Roverkam 1970. So richtig erfolgreich wurde das Modell aber erst Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre.

„Diese Wagen“, schreibt Caspers, „galten im neoliberalen London als der letzte Schrei. Die Leistung eines Sportwagens oder einer Luxuslimosine mit den Offroad-Qualitäten und der höheren Sitzposition eines Geländewagens – das waren Ostentation und Understatement in vorher nicht gekannter Kombination.“ Rolls-Royce, Bentley und Jaguar hätten nun für die alte Epoche gestanden: die Upper Class einer verkrusteten Klassengesellschaft. Die unter Margaret Thatcher durch neues, schnelles Geld aufsteigende Mittelklasse stand auf den Road Rover, führt Caspers aus: „mit Ellenbogenmentalität durch die Niederungen des täglichen Verkehrs (…): ich werde mir meinen Teil holen, egal wie.“

Wer sich seinen Teil der Gesellschaft geholt hat, waren in den vergangenen Jahrzehnten auch: die Frauen. Mit der aufstrebenden Mittelklasse strömten sie wieder auf den Arbeitsmarkt. Und auf die Straßen. Durften sich Frauen in Deutschland bis 1958 ohne das Einverständnis von Vater oder Ehemann noch nicht zur Fahrprüfung anmelden, ist heute jeder zweite Führerschein in weiblichem Besitz. 1983 waren nur 21,4 Prozent der Autos in Frauenhand, inzwischen sind es 38 Prozent.

Wie sich die Funktion des Autos in dieser Zeit gewandelt hat, zeigt ein Dialog aus der US-Serie Gilmore Girls. Die Protagonistin Lorelai Gilmore hat sich, mit 16 schwanger geworden, aus ihrem altreichen Geldadel-Elternhaus gelöst und ist nun eine Selfmade-Woman: erst Zimmermädchen, dann Geschäftsführerin, dann Hotelbesitzerin. Sie fährt: einen 99er Wrangler Jeep. Als der kaputt geht, schlägt ihr Angestellter ihr vor, einen Cabrio zu kaufen. „Nein, ich bin einfach kein Cabrio-Mensch.“ – „Was ist denn ein Cabrio-Mensch?“ – „Hässliche Frisur, Solarium-Bräune ...“ – „Wie wäre es mit dem kleinen Sportwagen?“ – „Ich weiß nicht, Sportwagen finden sich irgendwie immer cooler als andere Autos.“

Hier finden sich das Ende der alten und der Anfang der neuen Klassengesellschaft: Lorelais Jeep steht für die aufstrebende Geschäftsfrau, aber ohne die Überheblichkeit der alten Upper Class. Sie behält schließlich ihren alten Jeep mit neuem Motor. Mit diesem Jeep ist sie Hotelbesitzerin geworden; er hat sie über alle Hindernisse gebracht. Auf den Straßen des US-Kaffs Stars Hollow.

Geschäftsfrauen schätzen am SUV den größeren Respekt, den sie von Geschäftspartnern und auf der Straße bekommen. Dieser Respekt ist messbar, zeigen Versuchsreihen: Autos blieben vor einer auf grün umspringenden Ampel einfach stehen. Je höher der Status des vorne wartenden Autos, erklärte etwa der Psychologe Rüdiger Hossiep in der Zeit, „also je größer und teurer es ist“, umso länger dauert es, bis jemand dahinter hupt.

Und sicherer ist ein SUV auch – Sicherheit ist laut der Hochschule Niederrhein für Frauen ein wichtigeres Kriterium als für Männer. Ein Opel Corsa wiegt 1,2 bis 1,5 Tonnen, ein BMW X5 locker eine Tonne mehr. Die Süddeutsche berichtete von einem Unfall dieser beiden Autos in München. Der SUV schlug höher ein. Drei der vier Insassen im Corsa starben. Bei einem Unfall ist der SUV lebensgefährlich für den Unfallgegner – für die Menschen im Panzer jedoch kann er lebensrettend wirken.

Kein Wunder, dass Frauen, die es sich leisten können, ihre „eigenen Kinder“ gerne sicher gepanzert „kutschieren“. Was nach Egoismus klingt, ist Sorgearbeit: Denn Kutschieren, das tun Mütter häufiger als Väter. Einer Studie des Verkehrsclubs Österreich aus dem Jahr 2009 zufolge macht der Wegezweck „Bringen/Holen von Personen“ nur fünf Prozent aller wöchentlich zurückgelegten Wegstrecken von Männern aus – bei Frauen sind es elf Prozent.

Die Mobilitätsforschung zeigt auf, dass Mobilität bei Männern und Frauen sich in der Form, der Länge und im Zweck unterscheidet. Männer legen laut Bundesministerium für Verkehr durchschnittlich 46 Kilometer am Tag zurück, davon 30 Kilometer als Autofahrer; Frauen nur 29 Kilometer, davon zwölf als Autofahrerinnen. Dabei unterscheiden sich die Wegestrukturen: Frauen haben oft einen komplexen „Wegezweck-Mix“, was die Mobilitätsforschung mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erklärt. Wenn eine Frau von der Arbeit nach Hause fährt, erledigt sie unterwegs das Einkaufen und holt die Kinder von der Kita ab. Männer hingegen fahren statistisch längere Strecken am Stück, pendeln auch weiter als Frauen zu ihrer Arbeitsstelle.

Auf zum Stoßstangen-Spiel

Das ist natürlich nicht in die Biologie gemeißelt. Kommen Männer in die Rolle des teilzeitarbeitenden und kinderbetreuenden Elternteils, so eine EU-Studie von 2006, „nehmen sie überdeutlich jene Bewegungscharakteristika an, die normalerweise Frauen zugeschrieben werden.“ Im Kontrast dazu unterschieden sich die Bewegungsformen von Vollzeit arbeitenden Frauen jedoch von denen ihrer männlichen Pendants: „Wenn sie Vollzeit arbeiten, sind Frauen noch immer zu einem höheren Grad verantwortlich für Haushaltspflichten und Kinderversorgung.“

Frauen, die Vollzeit arbeiten, müssen sich mehr bewegen als ebenfalls Vollzeit arbeitende Männer. Ein SUV bietet diesen Frauen alles, was diese Überbelastung erleichtert: genug Platz für Arbeitsutensilien, Kind, Kinderwagen und Einkauf – alles kann auf einem Weg erledigt werden. Sie und die Kinder sind im SUV sicher, sicherer als in den Autos um sie herum – die ihnen ganz egal sind, und da wären wir wieder beim Tagesspiegel-Artikel. Eine Frau im SUV schert sich nicht um die anderen, ebensowenig wie um die Folgen für das Klima. Eine SUV-Fahrerin kümmert sich um sich selbst.

Das ist der neoliberale Alptraum in seiner Vollendung: Wenn auch Frauen nur an sich denken, wer hält dann die Gesellschaft zusammen? Wer kümmert sich um das Klima? Wer federt die Folgen der Ellbogengesellschaft ab? Frauen im SUV sind das Ende der Gesellschaft. There is no such thing als society. Bürgerkrieg. Nicht umsonst tragen M.I.A.s Frauen im Clip Camouflage-Uniformen: Fickt euch alle. Wir nehmen uns jetzt auch, was wir kriegen können.

Diese Form von Feminismus funktioniert leider nicht, zumindest nicht global. Denn während sich in den Industriestaaten Frauen mit Männern um jeden Zentimeter Platz streiten, tun sie dies, global gesehen, um jeden Zentimeter innerhalb jener oberen zehn Prozent der Gesellschaft, die für 49 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Ein SUV-Fahrer nimmt sich nicht nur eineinhalb Parkplätze, er nimmt sich damit auch eineinhalb Planeten.

Es gibt Gründe dafür, dass Männer mehr CO2 ausstoßen als Frauen. Eignen diese sich die patriarchale Lebensweise an, weitet das die imperiale Lebensweise aus. Denn nach dem Soziologen Ulrich Brand ist der CO2-Ausstoß in Europa und den USA zwar ungleich zwischen den Geschlechtern und Klassen verteilt, doch insgesamt leben alle hier auf Kosten des Rests der Welt.

Der SUV verdeutlicht das Dilemma des westlichen Feminismus: Eine Gleichstellung mit der männlichen Position innerhalb des eigenen Milieus verschärft andere Ungleichheiten. In Zeiten der Klimakrise muss der Feminismus ökologisch sein, um globale Geschlechtergerechtigkeit zu ermöglichen. Geschäftsfrauen mögen sich mit SUVs ihren Platz auf der Straße und in der Arbeitswelt erobern, sie tun dies jedoch – wie ihre männlichen Kollegen – auf Kosten der Frauen im globalen Süden, die immer weitere Wege zum Wasserholen zurücklegen müssen, zu Fuß. „Yeah, pull up to the bumper game“, rappt M.I.A.. Natürlich haben Frauen und Männer das gleiche Recht, sich für dieses Spiel der Stoßstangen zu rüsten. Sie haben auch das gleiche Recht, die Welt zu zerstören: Nämlich keins. Wie also steigt man aus dem Spiel aus?

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