Erst ist die Wut. Keine moralische Empörung, hach, das wäre angenehm, die wohlfeile moralische Empörung einer über allem schwebenden Diskursteilnehmerin. Nein. Es sitzt tiefer, viel tiefer. Es ist die tiefe, weißglühende Wut der Kränkung, des Nicht-Gesehen-Werdens, die mich packt, wenn ich einen Text gegen das Gendern lese. Dabei ist es so: Wenn mir Kurt Starke hier im Freitag (Ausgabe 03/2021) sein Unbehagen gegenüber dem Gendern erklärt, dann möchte ich ihn verstehen. Eigentlich. Kurt Starke ist ein bedeutender Sexualwissenschaftler, er hat sich in seinem Leben intensiv mit den Leiden beider Geschlechter unter starren Geschlechternormen auseinandergesetzt. Wenn so ein Kurt Starke schreibt: „Ich würde diese Sprache gern verwenden. Weil ich den emanzipatorischen Anspruch teile und weil ich viele, die diese Neubildungen verwenden, persönlich hoch schätze“, dann glaube ich ihm das, und wenn er erklärt, „Aber, ach! Ich kann es nicht“, dann möchte ich nachvollziehen, was seine Zweifel sind.
Der Phallusträger erklärt
Aber dann. Lese ich tausendmal gelesene Gedanken wie diese: „Im Wort Leser stecken beide Geschlechter, also auch die Leserinnen“, ich lese: „Schriebe ich also Leserinnen und Leser, dann wäre das doppelt gemoppelt“. Und die weiße Wut steigt aus meinem Bauch hinauf, windet sich wolkig durch mein Gehirn und möchte alle Eingänge in mein Denken vor derlei Kränkung verschließen. Welche Unverschämtheit bläst mir da entgegen! Da erklärt mir ein Mann, nach dem die Sprache geformt wurde, ja, der selbst Modell stand für die Ur-Form der Personenbezeichnung; da erklärt mit dieser Phallusträger, aus dem die angeblich geschlechtsneutrale Form der Personenbegriffe generiert wurde; da erklärt mir dieser Mann, der zur Norm wurde, zum Zentrum des Sprachuniversums, ich solle in diesem Universum kein Geschlecht sehen! Mir! Erklärt er das. Mir, dem Suffix-Menschen, der Frau, die, wenn sie gemeint werden soll, ein -in benötigt.
Muss ich mich wirklich mit den Gedanken eines Mannes auseinandersetzen, der offenbar glaubt, das generische Maskulinum sei ganz zufällig in derselben Sprachform verfasst wie die männliche Form der Personenbeschreibung? „Liebe Freitag-Leser“ und „liebe zwei Leser neben mir in der Bibliothek“, diese beiden Formen seien also nur rein zufällig identisch? Hat Kurt Starke sich tatsächlich keine Gedanken gemacht, warum die maskuline Form die Norm „für alle“ vorgibt – und die weibliche Form das Spezifische ist, das Suffix bekommt? Muss ich nun wirklich darauf hinweisen, dass erst der Arzt war und dann, erst nach vielen Kämpfen, die Ärztin? Und im „zum Arzt gehen“ dieses alte Denken fortbesteht, obwohl Ärztinnen zur Mehrheit werden (außer unter Chefärzten)? Dass tatsächlich erst für Leser (sic!) geschrieben wurde – und erst dann für Leserinnen? Dass erst der Mann im Zentrum der Sprache stand, über Jahrhunderte des Patriarchats, „l’homme“, Mensch und Mann in einem, und dann erst die Frau mit-gedacht wurde, „la femme“? Und dass nun ein Zeitpunkt erreicht ist, an dem dieser sprachliche Phallozentrismus verdammt noch mal zu überwinden ist?
Das „generische Maskulinum“ ist Überbleibsel einer patriarchalen Sicht auf die Welt, die das Männliche zum Universellen erhebt und das Weibliche zum Anderen, es gehört in eine Welt, in der die Frau noch immer aus Adams Rippe geformt wird: die „Welchenmenschlichenaspektmangeradebezeichnenwillinmännlich“ + in.
Generisches Upper-Classium
Lieber Kurt Starke, ich bin Journalistin. Einer Journalistin schreiben Leser (sic!) auf feministische Artikel Briefe, in denen sie ihr Vergewaltigung (vorzugsweise durch Geflüchtete) und Gebärmutterhalskrebs wünschen. Eine Journalistin sieht sich zig Chefredakteuren (sic!) gegenüber. Eine Journalistin verdient weniger Geld als ihre Kollegen (sic!). Eine Journalistin geht nicht mit Politikern (sic!) ein Bierchen trinken und erfährt nicht in Kneipen den coolen Insider-Scheiß. Ich bin kein Journalist.
Ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sprache diese Differenziertheit der Welt abzubilden in der Lage wäre. Und ich würde es zu schätzen wissen, wenn die Kränkung, mit dem eigenen Geschlecht in einer herrschenden Sprachnorm unsichtbar gemacht zu werden, nachvollzogen würde.
Das ist das Trennende.
Nun das Verbindende.
Da ist ein Gedanke in Kurt Starkes Text, den ich teile und über den ich gerne weiterdiskutieren würde: die Enttäuschung darüber, dass beim Gendern mit Sternchen (oder Doppelpunkt) die Geschlechtsidentitäten der benannten Personen dermaßen hervorgehoben werden: „In der geschlechtergerechten Sprache wird das Geschlecht über die Persönlichkeit gestellt“, schreibt Starke, und: „Das Individuum wird auf sein Geschlecht reduziert.“
Und es stimmt ja: Die soziale Klasse, der Geburtsort oder die Ohrenform der Menschen, all dies spielt in dem Wort „Leser" keine Rolle, wieso sollte es das Geschlecht tun? Mir gefällt diese Frage. Aber nun ja: Es hat sich eben kein „generisches Upper-Classium“ durchgesetzt, ebenso wenig ein „generisches Berlinium“ oder „generisches Langohrium“. Warum zum Teufel ausgerechnet das Geschlecht das ausschlaggebende Merkmal einer Person sein soll, ist logisch nicht einzusehen. Dieses Phänomen hat etwa der französische Philosoph Michel Foucault erforscht, es hat etwas mit Geschlecht und Sexualität als gut funktionierendes Scharnier der Biomacht zwischen Körper und Bevölkerung zu tun. Am Grunde des Geschlechts: die Wahrheit. Dieses Denken herrscht weiterhin – aber es ist keine Erfindung des Genderns.
Während das generische Maskulinum das Männliche als universell setzte und das Weibliche zum Suffix machte, versucht das Gendern immerhin, alle Geschlechter hierarchielos in ihrer Vielfalt abzubilden. Das vergeschlechtlichte Denken schafft das Gendern nicht ab – manche geschlechtsneutralen Formen wie „Studierende“ schwächen es zumindest ab, wenn auch grammatisch etwas ungeschickt. Selbst wenn das Geschlecht häufiger eine Rolle spielt, als mancher Mann denken mag: Es wäre mir lieber, wenn es für alle Personenbeschreibungen neben der geschlechtergerecht gegenderten auch eine geschlechtsneutrale Sprachform gäbe.
Wenn ich etwa über eine Gruppe von hundert Polizeikräften im Einsatz berichten will, und darunter befinden sich drei Polizistinnen, was schreibe ich: Polizist*innen? Verzerrt der Begriff nicht das Bild, das sich mir bietet, und die Lesenden bekommen einen falschen Eindruck von der Geschlechterverteilung in der Polizei? Spielt das Geschlecht der Polizeikräfte tatsächlich eine so große Rolle, dass ich es abbilden sollte, und wenn nicht: Gibt es eine Möglichkeit, über die Polizist*innen zu sprechen, ohne ihre Geschlechter aufzuzählen? Etwa: Polizeikräfte? Meiner Erfahrung nach führt das Nachdenken über die angemessene Form des Genderns häufig dazu, dass ich die Sprache in meinen Texten spezifiziere. Was genau ist das zu bezeichnende Merkmal? Sind es Menschen in Polizeiuniform? Ausführende der Staatsmacht? Der Ordnungsmacht? Oder: Cops?
Jede bisher bekannte Form des Genderns ist keine ideale Lösung, da gebe ich Kurt Starke recht. Die unbedingte Nennung des Geschlechts trifft manchmal das zu Bezeichnende, manchmal liegt sie daneben. Aber die Unfähigkeit, mit Sprache Realitäten exakt zu bezeichnen, liegt der Sprache selbst inne. Jedes Schreiben, jedes Sprechen wird von der Sehnsucht getrieben, die Welt zu fassen. Dies kann stets nur fast gelingen, ein flüchtiges Streicheln, im nächsten Moment schon vergangen und doch darum ringend, festzuhalten. Sprache lebt von diesem Ringen. Kurt Starke ringt, das respektiere ich. Ringen wir also weiter. Denn eines darf Sprache nicht: einfrieren, stehenbleiben. Dann wird sie unbrauchbar. Veraltet. Ein Museum. Hierher gehört das generische Maskulinum. Und vielleicht einmal heutige Formen des Genderns.
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