Sichere Häfen oder Barbarei

Seenotrettung Für Europa ist es an der Zeit, die eigene Irrfahrt zu beenden und Verantwortung zu übernehmen
Ausgabe 33/2018
· · · − − − · · ·
· · · − − − · · ·

Foto: Boris Horvat/Getty Images

Wem gehört das Mittelmeer? Würde man diese Frage an Überfahrtsrechte für Handelsschiffe koppeln, gäbe es wohl ein Hauen und Stechen. Diese Woche fragte jedoch das Rettungsschiff Aquarius nach der Zuständigkeit für 141 gerettete Flüchtlinge. Und niemand wollte zuständig sein: Sucht woanders einen sicheren Hafen, sagte Libyen. Das sagten zunächst auch Italien, Malta und Spanien: woanders.

Eigentlich hatte Italien eine Lösung gefunden: Libyen! Sollen doch die Libyer die Flüchtlinge auf dem Meer einkassieren und in ihre Folterlager stecken, die zwar schlimm sind, aber außerhalb Europas Zuständigkeit – oder? Nein, sagt das Seerecht: Menschen in Seenot müssen nicht nur aus dem Meer gerettet, sondern an einen sicheren Ort gebracht werden. Ihr Schutz, ihr Recht auf Asyl und ihre Weiterreise müssen gewährleistet sein. All dies erfüllt Libyen nicht. Hinzu kommt, dass auch die libysche Küstenwache ihren Pflichten nicht nachkommt. Ihr Schiff ließ erst kürzlich eine lebende Frau im Meer zurück und SOS Méditerranée berichtet, dass sie die Aquarius nicht über Boote in Seenot verständigte, von denen sie Kenntnis hatte.

Mit anderen Worten: Die italienische Lösung ist keine. Die libysche Rettungsleitstelle rettet nicht. Die Schließung der Häfen Italiens und Maltas führte zudem dazu, dass auch Handelsschiffe nicht mehr retten: Fünf Schiffe ignorierten die Flüchtlinge auf dem Holzboot, bis die Aquarius kam. Nach internationalem Seerecht ist jedes Schiff und der nächste sichere Hafen, also Italien oder Malta, zuständig für die in Seenot Geratenen. Doch sie verweigerten sich – und andere Staaten sehen nicht ein, die Verantwortung zu übernehmen. Erst nach tagelangem Warten erklärten sich unter anderem Spanien, Frankreich und Deutschland bereit, Gerettete aufzunehmen, und Malta öffnete den Hafen. Solange die Leerstelle der Zuständigkeit nicht grundsätzlich besetzt wird, so lange herrscht auf dem Mittelmeer die Barbarei.

Noch ist unklar, ob die Aquarius ohne Probleme wieder auslaufen können wird: Ihr Flaggenstaat Gibraltar kündigte an, die Flagge zu entziehen, da sie als Forschungsschiff registriert sei. Laut Reederei ist dies jedoch falsch, seit zwei Jahren sei die Aquarius als Seenotrettungsschiff registriert. Ob sie deshalb wie die Lifeline und die Seat Watch auf Malta festgehalten wird, wird sich zeigen - SOS Méditerranée kündigte an, sonst unter deutscher Flagge fahren zu wollen. Wie auch immer dieser Flaggenstreit ausgeht: Es wird bald wieder ein Rettungsboot im Mittelmeer herumirren. Und auch diese Irrfahrt wird etwas deutlich machen: Selbst eine ernsthafte Bekämpfung von Fluchtursachen klärt die Frage der politischen Zuständigkeit nicht. Die Aquarius konnte eine Woche auf dem Meer ausharren, eine weitere wäre noch möglich gewesen. Aber keine Jahrzehnte.

Die besten Blätter für den Herbst

Lesen Sie den Freitag und den neuen Roman "Eigentum" von Wolf Haas

Wissen, wie sich die Welt verändert. Abonnieren Sie den Freitag jetzt zum Probepreis und erhalten Sie den Roman “Eigentum” von Bestseller-Autor Wolf Haas als Geschenk dazu.

Gedruckt

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt sichern

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden