„Stehen. Atmen. Abdrücken.“

Interview Mandy Kriese ist in Görlitz bei den Grünen, Norman Knauthe bei der AfD. Miteinander reden? Ein Versuch in einem Café
Ausgabe 51/2019
Das Café Zentral in Görlitz
Das Café Zentral in Görlitz

Foto: Charlotte Sattler für der Freitag

Als die Töchter von Mandy Kriese und Norman Knauthe sich in einer Görlitzer Kita anfreunden, ist Politik erst mal kein Thema. Bis zur Debatte über das muslimische Zuckerfest. Mandy Kriese ist bei den Grünen, sie geht zur Bürgerversammlung, um das Fest zu unterstützen. Auch Norman Knauthe ist dort: um dagegen zu protestieren. Er ist bei der AfD. Als Mandy Krieses Sohn Bogenschießen lernen will, trifft sie ihn erneut: Auch Knauthe trainiert in dem Verein. Zeit, zu reden. Wir treffen uns im Café Zentral, es ist der 1. September, Sachsenwahl. Die Hitze flimmert durch die Einkaufsstraße, auf der Terrasse Sonnenschirme, Sahne, Kirschen, Lachen. Mandy Kriese will rein, in den ersten Stock. Oben leer, stickig, heiß, alle Fenster geschlossen. Keine Bedienung. Knauthe schlägt vor, dass wir uns alle duzen. Er wischt sich über die Stirn. Bei mir: Schweißtropfen, den Rücken runter. Es geht gleich los.

Norman Knauthe: Aber Mandy, da geht’s ja gleich los. Dass du nicht mit mir gesehen werden willst. Dabei wäre das hier doch die beste Gelegenheit, zu sagen: Stimmt! Ich hab mich mit jemandem von der AfD getroffen. Es wird ja Zeit, dass wir mal miteinander reden. Oder gilt das nicht für die AfD? Dass Reden eine gute Sache ist?

Mandy Kriese: Ich werde ja erzählen, dass wir miteinander geredet haben. Aber dann würde ich gerne erklären, wie es dazu kam, und das geht nicht, wenn wir hier einfach so zusammen gesehen werden.

Knauthe: Du weißt, welche Tweets über mich verbreitet werden. Dazu würde ich auch gerne einiges erklären. Von wegen Waffennarr.

Drei Tage zuvor wurde Norman Knauthe als sachkundiger Bürger in den Ausschuss für Umwelt und Ordnung des Görlitzer Stadtrats gewählt, seitdem kursiert eines seiner Facebook-Postings auf Twitter: das Foto einer Pistole und eines Messers.

Kriese: Willst du dazu vielleicht etwas richtigstellen?

Knauthe: Nee, ich sehe dazu überhaupt keinen Grund!

der Freitag: Was wolltest du damit bezwecken, ein Foto von deinen Waffen zu posten?

Knauthe: Ich habe ja nicht einfach so ein Foto von meiner Waffe ins Netz gestellt. Sondern in eine ganz bestimmte Facebook-Gruppe: die Glock-Gruppe, eine Fangruppe von einem Waffenhersteller. Das war nicht, um etwas zu provozieren. Ich bin Sportschütze, ich tausche mich mit anderen über meine Waffe aus, die ich legal besitze.

Kriese: Moment, man darf ja nicht vergessen: Daneben stand „Home defense low level.“ Mit Smiley.

Knauthe: Na und?

Warum schießt du?

Knauthe: Ich bin Sportschütze. Ich habe vier Jahre bei der Bundeswehr gedient, auch in zwei Auslandseinsätzen. Mandy, mit der Waffe verhält es sich wie mit dem Bogenschießen, das wirst du sehen, wenn dein Junge das länger macht. Es geht um Konzentration. Das ist wie beim Motorradfahren, wo ich abschalten kann, beim Kampfsport kann ich abschalten, und beim Schießen eben auch. Eine Übung für Körper und Geist: Stehenbleiben. Atmen. Abdrücken.

Du könntest ja auch einfach meditieren. Oder Yoga machen. Eine Übung für Körper und Geist.

Knauthe: Ja, könnte ich, richtig. Aber ich könnte auch Freifallspringen. Welchen Sport ich mir aussuche, das ist meine Sache.

Auf dem Foto war auch ein Messer. Hübsch drapiert. Gib es doch zu, du wolltest angeben mit deinem Waffenzeug.

Knauthe: Na, das ist ja auch mein Zeug! Fakt ist eins: Wenn ich zu Hause bin mit meiner Tochter und da stehen drei Typen im Haus und bedrohen uns, habe ich das gesetzlich verbriefte Recht, mich angemessen zu verteidigen. Ich diskutiere nicht mit drei Menschen, die in meiner Wohnung sind, wenn ich ein kleines Kind zu Hause hab.

Kriese: Ich war schon mal in der Situation. Wir waren zu Hause, meine Kinder, mein Mann und ich, wir haben geschlafen und es gab einen Einbrecher. Ich bin munter geworden davon, dass der in der Wohnung stand. Der ist sofort weggerannt, als ich geschrien habe. Aber jetzt stell dir mal vor, wir hätten eine Waffe im Haus gehabt ...

Knauthe: Und dein Mann?

Kriese: Der ist dann erst mal hinterhergerannt, aber ich habe ihm gesagt: Bleib bloß hier, wer weiß, wie so jemand dann reagiert.

Knauthe: Richtig.

Kriese: Aber stell dir mal vor, du hast dann ’ne Waffe im Haus. Und schießt. Zur Verteidigung. Und dann, danach? Du wirst doch deines Lebens niemals froh werden wieder! Das Sportthema, gut, das ist das eine. Aber sich vorstellen zu können, in der Verteidigung den Waffengebrauch überhaupt in Betracht zu ziehen, das ist für mich erschreckend.

Knauthe: Natürlich renne ich nicht los und ballere dem die Rübe runter. Aber ich habe ein Kind!

Kriese: Was meinst du damit? Was würdest du machen?

Knauthe: Durch Auslandseinsätze bin ich den Umgang mit Waffen ja mehr gewohnt als ihr. Als der Otto-Normal-Bürger. Ich hätte als Erstes geschrien: Ich habe eine Waffe! Verschwinde! Die Waffe ist das allerletzte Mittel. Aber, wenn die drei Typen in der Wohnung stehen, soll ich drauf hoffen, dass mir nichts passiert? Oder meinem Kind? Ganz ehrlich!

Wir diskutieren 20 Minuten darüber, wann man schießen darf (nur zur Verteidigung); wo er seine Waffe aufbewahrt (nicht unter dem Kissen); wie man eine Waffenbesitzkarte bekommt (längere Mitgliedschaft im Schützenverein, dann Prüfung); und wir kehren zu seinem Bedrohungsszenario zurück, drei Typen in der Wohnung, seine Tochter.

Wurdest du denn schon mal überfallen?

Knauthe: Ich habe es, Gott sei Dank, noch nicht erlebt. Was ich erlebt habe: In Köln bin ich im Auto von einem Radfahrer mit Migrationshintergrund durch das Fenster bedroht worden, wenn du noch einmal hupst, erschieße ich dich. Da war ich so perplex ...

Du im Auto, er auf dem Rad, das war ja wohl keine besonders bedrohliche Situation. Denke ich. Sage ich aber nicht. Wir wollten nicht über Migration sprechen.

Knauthe: Es ist verdammt heiß hier. Ich gehe mal jemanden holen, der uns was zu trinken bringt, oder?

Ja, lasst uns was zu trinken holen.

Knauthe: Nein, ich bin da altmodisch, ich mache das.

Er grinst.

Und was ist, wenn wir nicht altmodisch sind?

Knauthe: Na dann ist Demokratie und okay, dann gehen wir halt alle runter ...

Kriese: Nein, ist doch okay, du machst die erste Runde und die zweite mache ich.

Deal. Apfelschorle. Groß.

Kriese: Latte macchiato?

Knauthe: Okay.

Norman Knauthe geht die Treppe runter, Mandy Kriese lehnt sich zurück. Ich lasse ihn zu viel reden, denke ich. „Du musst mehr moderieren“, sagt Mandy Kriese. „Ich weiß. Aber du musst auch mehr sagen!“ – „Ich weiß. Aber ich wollte wissen, wie er das alles sieht.“ „Ich auch.“ „Wenn ich ihm so zuhöre, habe ich auch Verständnis. Meine Cousins und Cousinen wohnen ein paar Kilometer entfernt auf dem Dorf, die sind schon immer rechts. Ich besuche die nicht mehr, außer einmal im Jahr, zum Geburtstag meiner Oma. Das letzte Mal saßen wir da in einer Runde, friedlich auf dem Bauernhof, und da sagt mein Cousin plötzlich: Der Waffenschrank ist gut gefüllt! Ich finde beängstigend, dass das in diesem Milieu so normal ist. Die haben alle einen Jagdschein. Alles legal. Wir sind dann spazieren gegangen, im Dorf hängen überall Fahnen, ich frage: Was sind denn das für Fahnen? Und dann ist das die Reichsflagge! Die hängt da an den Häusern.“ Knauthe kommt zurück.

Knauthe: Wird doch gebracht.

Wie habt ihr gemerkt, dass ihr politisch zu unterschiedlichen Lagern gehört?

Kriese: Ich habe zu meinem Mann gesagt: Schon ein bisschen krass, wie er mit seiner Tochter spricht. Da waren wir zusammen Schlitten fahren. Erinnerst du dich?

Knauthe: Nein.

Kriese: Wir haben uns zum Schlittenfahren getroffen und du hast deiner Tochter gesagt: Guck doch, die Lilli*, die traut sich das! Und ich dachte: lass deine Tochter doch, wenn die sich jetzt nicht traut. Aber das war ja unproblematisch. Und dann haben wir uns am See getroffen.

Knauthe: Ja genau. Da ist das zum ersten Mal klar geworden.

Kriese: Na ja, zum ersten Mal klar wurde mir das beim Bürgerrat letztes Jahr. Ich habe mich gewundert, dass du da warst, weil du eigentlich schon weggezogen warst aus unserem Stadtteil. Der Bürgerrat war ziemlich voll, weil es darum ging, ob auf dem Wilhelmsplatz ein Zuckerfest stattfinden soll. Da hattest du einen Redebeitrag, und ich ...

Knauthe: Du dachtest: Wie ist der denn drauf?

Kriese: Ich dachte: Wie, das ist so ein AfD-Typ? In unsere Whatsapp-Gruppe schrieb dann jemand: Norman Knauthe, in Klammern: AfD.

Die Getränke kommen.

Knauthe: In welcher Whatsapp-Gruppe?

Kriese: Na, Bürgerrat Ost.

Knauthe: Da war ich nicht dabei.

Kriese: Nee, natürlich nicht. In der Gruppe ging es ja darum, dass auf den frei gewordenen Posten im Bürgerrat kein AfD-Typ gewählt wird. Wir hatten Angst, dass zu dem Treffen viele von der AfD kommen. Von euch. Und den Bürgerrat einschüchtern, damit er gegen das Zuckerfest stimmt.

Knauthe: Man muss sagen, dass dem eine andere Veranstaltung vorausging, da ging es auch um das Zuckerfest. Es hat so ein Flüchtling gesprochen, ein christlich-syrischer vom Café Hotspot ...

Kriese: Du meinst Abdel*.

Knauthe: Keine Ahnung, wie der heißt. Es kam zu einer ziemlich hitzigen Debatte.

Kriese: Dabei ging es eigentlich nur um eine kleine Förderung des Festes. Und dann ging diese Scheindebatte los, von wegen: die Flüchtlinge seien so laut auf dem Wilhelmsplatz...

Knauthe: Das ist keine Scheindebatte. Ich kenne Leute, die dort wohnen. Das ist eine Entwicklung, die man da feststellen kann, das ist wie mit allem.

Dein Eindruck ist, es wird auf dem Platz lauter durch Geflüchtete, die sich dort aufhalten?

Knauthe: Durch Personengruppen, die es dort bis vor ein paar Jahren noch nicht gab.

Und was machen sie?

Knauthe: Ich sehe das ja selber, wenn ich abends von der Arbeit dort vorbei nach Hause fahre ... Für mich hat ein Kleinkind drei viertel zehn abends nichts mehr auf der Straße verloren.

Kriese: Die Diskussion ist deshalb eine Scheindebatte, weil der Wilhelmsplatz vermehrt von zugezogenen Familien genutzt wird, aber auf dem Lutherplatz ist es genauso laut, dort sind auch viele Kinder – nur nicht von Zugewanderten.

Knauthe: Nein, aber ...

Stopp, Migration soll hier nicht das Thema sein. Moment, jetzt sind wir wieder in der Diskussion über Zuwanderung, aber wir wollten über euch sprechen. Ihr habt also in der Auseinandersetzung über das Zuckerfest erkannt, dass ihr darin unterschiedliche Positionen vertretet. Und dann?

Knauthe: Dann haben wir uns eine Weile nicht gesehen ...

Kriese: Weil ihr weggezogen seid, aus der Innenstadt raus. Normans Tochter hat den Kindergarten gewechselt, und unsere Töchter haben sich nicht mehr gesehen.

Knauthe: Ja. Und dann haben wir uns am See getroffen.

Kriese: Ja, und ich habe gesagt: Ich kenne niemanden aus der AfD, erzähl mal, wie das ist. Und dann hast du ...

Knauthe: ... und dann habe ich dich ein bisschen überfahren.

Kriese: Du hast eine halbe Stunde lang geredet, und dann habe ich gesagt: So, das reicht mir jetzt.

Knauthe: Ja, das gebe ich zu. Man hat mir mal gesagt, ich trete manchmal auf wie ein Bulldozer.

Kriese: Das beschreibt die Erfahrung gut.

Knauthe: Aber die Debatte geht ja auch nicht mehr darum, wer hier was für einen Kuchen bäckt. Das sind grundlegende, zukunftsweisende Sachen. Ich würde mich auch gerne zurücklehnen und sagen: Das interessiert mich alles nicht. Sehr gerne sogar. Die Zeit zurückdrehen vor 2011, wo ich angefangen habe, mich mit dem ganzen Kram zu beschäftigen – das war wie ein Augenöffner.

Warum 2011?

Knauthe: Ich wollte mich mal informieren, statt Stammtischparolen auszuteilen. Dann ging es mit PI-News los ...

Au weia.

Knauthe: Die Seite kennt ihr also. Political Incorrect, ein großer Blog. Allerdings herrscht da eine ziemlich reißerische Sprache, aber man kann von dort aus weiter recherchieren. Ich schaute mir an, was Hamed Abdel-Samad über den Islam sagt, und dachte: Oh Gott! Was ist denn hier los?

Hamed Abdel-Samad ist ein deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler, der den politischen Islam kritisiert und von radikalen Islamisten bedroht wird. Und er ist nicht Thema dieses Gesprächs.

Wieso gerade 2011?

Knauthe: Da ging es los mit den ersten muslimischen Gefangenen. Ich bin ja Justizvollzugsbeamter. Die haben sich anders verhalten als das, was wir von deutschen oder russischen Gefangenen kannten. Viele von denen, die zuvor in arabischen Gefängnissen saßen, haben sich an den Armen selbst verletzt. Ich gehe davon aus, dass sie, wenn sie sich in Gefängnissen etwa in Libyen verletzen, dann eine anderen Behandlung bekommen. Sie werden ins Krankenhaus gefahren, dort haben sie dann besseres Essen. Das ist schlüssig.

Du verstehst das also?

Knauthe: Die Gefängnisse in Libyen, da will ich nicht sitzen, keinen Tag. Nicht mal arbeiten. Nur ist es bei uns so: Wenn jemand sich den Arm aufschneidet, stößt das einen ganzen Mechanismus an, zur Suizidprophylaxe. Dann muss der beobachtet werden. Das ist ein extremer Arbeitsaufwand. Wo es in anderen Ländern heißen würde: Was willst’n du jetzt von uns, kriegst einen Verband und gut ist. Was auch nicht unbedingt richtig ist ...

Kriese: Du wolltest also verstehen, warum sie sich selbst verletzen?

Knauthe: Ich wollte die Kultur besser verstehen, ich hatte ja vom Islam keine Ahnung. Und dann liest man über den Koran ...

Der Islam ist hier nicht das Thema!

Es geht in diesem Gespräch nicht um den Islam, es geht darum, wie ihr beide hier zusammenlebt.

Knauthe: Okay, kein Problem.

Die Gefangenen haben dich also dazu veranlasst, dich mit dem Islam auseinanderzusetzen. Und dann bist du auf der PI-Seite gelandet ...

Knauthe: Da bin ich aber recht schnell wieder weg. Der Ton hat mich gestört, aber Falschmeldungen stehen da auch nicht ...

Fremde II: Interkultureller Treffpunkt im Café Hotspot

Foto: Charlotte Sattler für der Freitag

Moment, da muss ich jetzt doch mal einhaken. Oh nein, ich gehe darauf ein. In rechten Netzwerken ist jüngst diese Meldung über Krawalle im Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg rumgegangen. Auslöser war ein Artikel in der „Bild“, die jedoch ein Dementi drucken musste, weil es nicht stimmte: Es gab keinen Krawall im Prinzenbad diesen Sommer. Eine Falschmeldung. Bei euch aber ist das Bild angekommen, dass sich die Polizei gar nicht mehr ins Prinzenbad reintraut ...

Knauthe: Ja!

Das ist mein Schwimmbad. Meine Freundin war da jeden Tag, sie musste ihre Doktorarbeit fertig schreiben und ist schwimmen gegangen, um sich zu entspannen ...

Knauthe: Sie kann doch auch schießen gehen!

Okay, sagen wir: Das, was du von dem Schießen erzählst, Entspannung für Körper und Geist, das bringt ihr halt das Schwimmen.

Ich kann dir jedenfalls versichern: Es gab keine Krawalle im Prinzenbad.

Knauthe: Und wieso wurde dann die Polizei angefordert?

Wurde sie ja nicht. Es gab einen Vorfall im Columbiabad.

Knauthe: Eine Massenschlägerei.

Du meine Güte, kann sein, dass irgendwann in einem der Berliner Bäder mal eine Schlägerei war! Aber es stimmt nicht, dass es jeden Tag Spannungen gibt.

Kann es sein, dass mir die Diskussion entgleitet? Ich schaue Mandy an.

Kriese: Für uns in Görlitz ist das doch eine theoretische Debatte. Hier habe ich noch nie jemanden im Burkini gesehen. Wieso spricht Wippel das an, im Wahlkampf?

Am Vortag hat die sächsische AfD ihren Wahlkampfabschluss in Görlitz gefeiert. Sebastian Wippel, ehemaliger Görlitzer AfD-Bürgermeisterkandidat, sprach darüber, dass die Polizei Schwimmbäder inzwischen mit Gewehren sichern muss.

Kriese: Wieso redet Wippel über Probleme, die wir hier gar nicht haben? Wenn ich jeden Tag im Prinzenbad bin und Leute im Burkini sehe, dann ist das Alltag. Hier nicht, und hier ist gleichzeitig die Angst davor so viel größer.

Knauthe: Man muss ja nicht warten, bis es so weit kommt.

Kriese: Aber wieso? Was ist denn das Problem am Burkini?

Knauthe: Es gab vor Jahren diese Diskussion über Badeshorts in Bädern. Die sollten verboten werden, weil sie zu viel Wasser heraustransportieren aus dem Becken.

Mandy Kriese und ich lachen. Norman Knauthe dann auch.

Knauthe: Na ja, das stört uns halt, also mein Lager. Dass jetzt alles plötzlich über den Haufen geworfen wird, wo früher noch ein übelstes Theater drum gemacht wurde. Ein 13-jähriger Kalle darf mit seinen Shorts nicht mehr ins Wasser, aber die 13-jährige Fatima.

Wieso lassen wir sie nicht einfach alle ins Wasser, wie sie wollen?

Knauthe: Stimmt schon. Aber ich finde, man muss das Recht haben, sich darüber aufzuregen. Sich beschweren zu dürfen, dass man das nicht möchte.

Kriese: Wir driften schon wieder ab. Was mich interessieren würde: Hast du eigentlich ein Problem damit, dass ich bei den Grünen bin? Denn als mein Sohn zum Bogenschießen ging und wir dich getroffen haben ...

Knauthe: Hihihi ... dachtest du: Oh mein Gott, die AfD!

Wir grinsen alle drei.

Kriese: Meine Angst war: Ist Bogenschießen ein AfD-Sport? Ich will nicht, dass mein Sohn irgendwo ist, wo sich vornehmlich AfD-Leute tummeln. Er ist elf, kommt bald in die Pubertät und wird sich abgrenzen von den Eltern. Ich würde ihn ungern in ein Umfeld schubsen, wo er etwas vorgelebt bekommt, was ich nicht vertrete.

Knauthe: Beim Bogenschießen sind alle möglichen Leute. Ich will nicht aus der Opferrolle heraus reden, aber ich verstehe einfach nicht, warum alle miteinander reden wollen, nur mit uns dann nicht. Es ist doch wichtig, dass Jugendliche verschiedene Meinungen kennenlernen. Keiner von uns hat die Wahrheit gepachtet. Wenn ich mitbekäme, dass meine Tochter Dinge von sich gibt, mit denen ich nicht konform gehe, würde ich das natürlich hinterfragen, aber ich würde sie gehen lassen.

Überallhin in der Stadt?

Knauthe: Außer ins Café Hotspot.

Das Görlitzer Café Hotspot ist ein interkultureller Treff für junge Görlitzer: Studierende, Alteingesessene, Geflüchtete.

Du glaubst, dass deine Tochter da in größerer Gefahr wäre als in einem anderen Schuppen?

Knauthe: Frage ich mal andersherum: Ab wann sind es denn keine Einzelfälle mehr?

Du weißt schon, dass die meisten Übergriffe auf Mädchen und Frauen aus dem ...

Knauthe: ... aus dem Familien- und Bekanntenkreis heraus erfolgen. Ja, das weiß ich.

Wie willst du deine Tochter davor schützen?

Knauthe: Davor kann man schlecht schützen, und das ist das Problem. Für meine Familie würde ich die Hand ins Feuer legen, dass das nicht passiert.

Würden wohl alle.

Kriese: Man bewegt sich in Filterblasen. Ihr teilt nur Geschichten, in denen der Täter ein Geflüchteter ist, seht diese Geschichten den ganzen Tag. Die Statistik ist das eine, aber die Sichtbarkeit dieser Geschichten in euren Timelines ist doch überrepräsentativ.

Knauthe: Sicherlich machen das Einheimische genauso. Schlimm genug. Ich arbeite im Gefängnis, ich habe Akten gelesen, schlimmer als jeder Horrorfilm. Der Punkt ist aber der: Wenn ich als Flüchtling in ein Land gehe, begehe ich keine Straftaten. Und als die letzten deutschen Kriegsheimkehrer kamen, 1956, schwappte da über uns eine Welle der Vergewaltigung? Die haben doch auch Krieg erlebt!

Fremde III: 37,9 Prozent holte die AfD bei der Sachsenwahl in Görlitz

Foto: Charlotte Sattler für der Freitag

Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es im Zweiten Weltkrieg keine Vergewaltigung gab. In den Konzentrationslagern, im Krieg.

Knauthe: Von deutschen Soldaten ausgehend?

Natürlich!

Knauthe: Okay, mag sein. Ich wandere aber doch nicht Tausende Kilometer in ein anderes Land, um dann kriminell zu werden.

Herrgott, was hast denn du für ein Menschenbild? Ich verliere die Beherrschung. Du arbeitest jeden Tag mit Kriminellen, und du meinst echt, die entscheiden sich eines Tages aus dem Nichts heraus dazu, kriminell zu werden – oder lieber doch nicht?

Knauthe: Ich kenne die Ursachen für Kriminalität, klar, da gibt es zig Faktoren. Aber wenn für jemanden sein Handeln schon gar nicht kriminell wirkt, weil es nach seinen Wertevorstellungen gar nicht illegal ist, woher soll er denn wissen, dass das nicht okay ist? Leute werden doch nicht zu Mitteleuropäern, sobald sie die deutsche Grenze übertreten. Für die ist die Frau genauso viel wert wie in einem Bergdorf in Afghanistan. Das blenden Leute wie ihr einfach aus.

Du blendest doch Milliarden von Muslimen aus, für die die körperliche Unversehrtheit von Frauen und Männern das höchste Gut ist! Es haben nicht alle Muslime dasselbe Menschenbild.

Knauthe: Das sage ich auch nicht.

Verdammt, dann reden wir halt doch über den Islam. Egal jetzt. Doch, genau das sagst du: „Ich stelle ALLE „ ,südländisch‘ aussehenden Männer ab sofort unter Generalverdacht, potenzielle Angreifer zu sein“, das hast du 2018 auf Facebook gepostet.

Knauthe: Was schadet es denn dem syrischen Flüchtling, wenn ich ihn unter Generalverdacht stelle? Gar nicht. Weil er mich nicht kennt. Er bekommt davon nichts mit.

Was redest du denn? Du bist in der AfD! Du sitzt im Ordnungsausschuss, du machst Politik. Deren Auswirkungen merken Geflüchtete sehr wohl. Und wenn die AfD regiert ...

Knauthe: ... was nicht passieren wird.

Stille.

Knauthe: Und selbst wenn, was denkt denn ihr? Dass das „Vierte Reich“ aufersteht? Dass aus Polen eine SS-Division anrauscht?

Kriese: Wenn du sagst, dass du Menschen unter Generalverdacht stellst, rüttelst du an einem Grundpfeiler der Demokratie. Unser Grundgesetz sagt: Alle Menschen sind gleich. Es gibt natürlich in verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein unterschiedlich hohes Maß an Kriminalität. Aber zu sagen: Alle aus dieser bestimmten Bevölkerungsgruppe sind für mich erst mal pro forma schuldig – das geht überhaupt nicht.

Knauthe: Schuldig sind sie ja nicht für mich...

Kriese: Verdächtig!

Knauthe: Die potenzielle Gefahr ist dort aufgrund ihrer Sozialisation höher.

Kriese: Aber so hast du das nicht geschrieben. Du hast geschrieben: Du stellst sie unter Generalverdacht.

Knauthe: Okay, streichen wir das.

Nein, so einfach geht das nicht. Du hast klargemacht, dass du bestimmte Bevölkerungsgruppen unter Verdacht stellst, andere nicht.

Kriese: Die Unschuldsvermutung muss gelten.

Knauthe: Ach ja, galt die Unschuldsvermutung denn für mich, als meine Bilder von den Waffen skandalisiert wurden?

Das hat nichts damit zu tun.

Knauthe: Na ja. Für mich sindse in dem Sinne unschuldig, dass sie, wenn sie nichts getan haben, nichts getan haben.

Gegenüber dir haben Muslime es schwerer, zu beweisen, dass sie nichts getan haben, als weiße Christen. Sie müssen beweisen, dass sie unschuldig sind, und das ist die Umkehr der Unschuldsvermutung.

Knauthe: Okay. Dann muss ich die Frage einmal umdrehen: Wieso hättest du denn dann Probleme, Mandy, deinen Jungen in einen Sportverein zu geben, in dem Leute eine rechte Gesinnung haben? Stellst du die nicht genauso unter Generalverdacht?

Kriese: Genau darüber wollte ich ja sprechen vorhin.

Knauthe: Man darf ja nicht vergessen, wer hierherkommt. Das ist ja nicht die normale Bevölkerung. Warum will Tunesien denn manche Leute nicht zurücknehmen, die in Europa sind? Ich sehe bei Geflüchteten eine größere potenzielle Gefahr als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Wir drehen uns im Kreis.

Kriese: Wir drehen uns im Kreis.

Lassen wir das Thema.

Knauthe: Das ist doch schade. Wieso können wir uns nicht die Zahlen des BKA anschauen? Sehen, dass die Gefahr dort größer ist – und dann darüber diskutieren, wie man damit umgeht?

Kriese: Schau dich doch mal um! Worüber reden wir? Über die große Gefahr, die hier auf den Görlitzer Straßen herrscht?

Knauthe: Man muss doch nicht erst warten, bis es hier aussieht wie in Berlin-Neukölln. Steht doch alles in den Regionalzeitungen: Polizisten werden krankenhausreif geschlagen ...

Mit Kriminalität muss umgegangen werden – wird aber ja auch.

Knauthe: Ja, genau. Wie bei euch in Berlin, wo es so super klappt. Ich habe genug Videos gesehen aus Neukölln.

Ich lebe da, und zwar gut. Denkst du, das würde ich sagen, wenn ich jeden Tag vor Messern wegrennen müsste?

Knauthe: Du hast also nie Ärger auf der Straße.

Okay, jetzt pass mal auf. Ich höre mir hier deinen ganzen Krempel an, und Mandy auch ...

Knauthe: Ja. Das tut ihr, merke ich.

... und das ist für alle Beteiligten hier nicht einfach. Ich mache das sicher nicht, um dich jetzt anzulügen. Ich wohne schon seit 15 Jahren in Neukölln. Natürlich hatte ich Ärger. Mit einem weißen Typen, weiß und deutsch, auf dem Hermannplatz, der mich fast geschlagen hätte, weil er nicht wollte, dass ich mit meinem Rad so viel Platz einnehme ...

Knauthe: ... das mag ja sein. Aber es gibt Statistiken, es gibt einen Anstieg in der Ausländerkriminalität, und da geht es eben nicht nur um deine Wahrnehmung.

Kriese: Wir können aufhören! Hallo! Wir brauchen hier nicht versuchen, uns gegenseitig zu überzeugen. Es bringt nichts.

Knauthe: Aber man kann versuchen, sich besser zu verstehen.

Vielleicht sollten wir hier aufhören?

Okay ... Zurück zum Thema. Mandy hat vorhin gesagt, sie fand es komisch, wie du mit deiner Tochter sprichst.

Kriese: Ich fand dich so antreibend. Mach doch jetzt mal, so in dem Ton. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass das eine ideologische Komponente hatte, sondern eher, dass du so bist, Norman. Antreibend. Ich muss dazu sagen, dass deine Ex-Frau ...

Knauthe: Wir sind getrennt.

Kriese: Die war ja Gleichstellungsbeauftrage, und ...

Knauthe: Wir sind getrennt!

Wie ist deine Ex-Frau politisch eingestellt?

Knauthe: Na, komplett so wie ihr!

Ach wirklich.

Knauthe: Genau, und als es dann akut wurde ...

Kriese: Was heißt denn akut? Als du eingetreten bist in die Partei, oder was?

Knauthe: Als meine Beschäftigung mit dem Thema ein bisschen Überhand genommen hat, als wir darüber auch zu Hause gesprochen haben, dann ... na ja. Wurde es offensichtlich, dass wir da unterschiedliche Ansichten vertreten.

Kriese: Und wie geht ihr jetzt damit um? Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen!

Knauthe: Na, wir sind getrennt!

Kriese: Das weiß ich schon. Aber ihr habt ein gemeinsames Kind, und vermittelt ihr da ... Also, habt ihr das mal angesprochen? Ist das geklärt, wie ihr ...?

Knauthe: Ganz schwierig.

Das war also ein Trennungsgrund. Die AfD.

Knauthe: Hmm, auch.

Kriese: Mein erstes Kind hat ja auch einen anderen Papa als mein zweites. Aber wir können nach wie vor miteinander umgehen. Nur, in eurem Fall verliert man ja die Sprache, möglicherweise ...

Knauthe: Puh ...

Kriese: Es ist also schwierig.

Hattet ihr auch unterschiedliche Vorstellungen über ihre Rolle? Als Frau?

Knauthe: Irgendwann war das Gender-Thema auf dem Tisch. Da gebe ich auch zu, dass ich derjenige bin, der da weniger Faktenkenntnisse hat.

Er beschreibt Gespräche mit seiner Ex-Frau, zum Schutz der Privatsphäre werden sie nicht wiedergegeben.

Knauthe: Immer geht es um Toleranz, aber dann heißt es: Nein, für deine Ansichten habe ich jetzt kein Verständnis mehr.

Es gibt eben eine Grenze. Du überschreitest sie. Du sprichst Menschen anhand eines persönlichen Kennzeichens weniger Rechte zu als anderen.

Knauthe: Mache ich nicht!

Doch. Wenn du sagst, dass ein Mensch muslimischen Glaubens wahrscheinlicher gefährlich wird für deine Tochter als ein christlicher Deutscher, dann ...

Knauthe: Ich bin dem Klientel gegenüber einfach vorsichtiger. Und da spreche ich aus Erfahrung ...

Kriese: Nein, du sprichst nicht aus Erfahrung. Das müssen wir jetzt mal festhalten.

Knauthe: Gut, nicht am eigenen Leib. Aber wir haben hier ja inzwischen Fernsehen, ja? Und Internet! Wir sind hier nicht mehr im Tal der Ahnungslosen. Wir wissen, was in anderen Städten so passiert.

Kriese: Ich glaube, dass du ein Spiel mit der Toleranz spielst. Mein Denken zeichnet sich durch Toleranz aus und ich habe hier die ganze Zeit diesen Zwiespalt, weil ich tolerant sein will, ich akzeptiere auch eine bunte Gesellschaft ...

Norman Knauthe rollt mit den Augen.

Kriese: ... und zu einer bunten Gesellschaft gehört ein breites Meinungsspektrum, das sich aber im demokratischen Rahmen bewegen muss. Bei Teilen der AfD ist das nicht gegeben. Und da wird es schwierig, denn da schafft sich die Toleranz selber ab.

Knauthe: Toleranz ist keine Pflicht.

Kriese: Ich find’s ja spannend, sich mit dem auseinanderzusetzen, was du sagst. Gerade weil es nicht meine Meinung ist. Aber es geht nicht, dass jemand durch deine Ansichten Nachteile hat. Auf deiner Arbeit etwa. Wenn du zehn Gefangene vor dir hast, und zwei von denen haben muslimischen Hintergrund. Und du stellst sie unter Generalverdacht ...

Knauthe: Wir müssen alle gleich behandeln. Aber wenn ich angespuckt werde, von egal wem, dann mache ich keinen Stuhlkreis mehr auf. Ich habe Leute gesehen, die haben Urin ins Gesicht geschüttet bekommen, von Deutschen. Aber ein Syrer hat messbar keinen Nachteil davon, dass ich ihn skeptischer betrachte. Auf meiner Arbeit und im Ausschuss für Umwelt und Ordnung bewege ich mich selbstverständlich im Rahmen des Grundgesetzes. Das kann ich als Parteimitglied gar nicht anders.

Ich habe mich hier in Görlitz mit Geflüchteten unterhalten. Die konnten mir von so einigen Nachteilen berichten, die sie durch eure „Skepsis“ haben.

Knauthe: Welche denn?

Ein Deutscher, der vor zwanzig Jahren aus Eritrea kam, hat mir von seiner Tochter erzählt, die ist ein Jahr und acht Monate alt. Auf dem Spielplatz sagen Eltern ihren Kindern „Spiel nicht mit dem Ausländerkind!“

Knauthe: Natürlich tut mir das leid für das Kind. Kinder können nichts dafür.

Sein Vater jawohl auch nicht!

Knauthe: Frag doch mal die Flüchtlinge, wie sie zu Frauen stehen.

Ein Görlitzer aus Äthiopien hat das Thema Frauen mir gegenüber angesprochen.

Knauthe: Und?

Er hat gesagt: „Es gibt so coole Frauen in Deutschland. Angela Merkel. Und: Carola Rackete. In Deutschland sollten mehr Frauen an die Macht.“

Norman Knauthe legt seine Stirn auf den Tisch.

Knauthe: Über Carola Rackete diskutiere ich jetzt nicht. Natürlich wird hier auf dem Marienplatz keiner geköpft vom IS. Aber das muss doch auch nicht erst vor der Tür stehen. Wenn ihr die Begleiterscheinungen von Multikulti so hinnehmen wollt, dann ist das euer gutes Recht. Aber meines ist es, das abzulehnen.

Was würdest du dann vorschlagen? Die Asylprüfung abschaffen?

Knauthe: Obergrenzen einziehen.

Das Recht auf Asyl steht im Grundgesetz und zieht die Einzelfallprüfung nach sich.

Knauthe: Reden wir über Fachkräfte.

Wir driften ab. Schon wieder.

Knauthe: Wenn Siemens Stellen abbaut im vierstelligen Bereich, wo haben wir denn da einen Fachkräftemangel?

Natürlich gibt es einen Fachkräftemangel. Etwa in der Pflege ...

Knauthe: Ganz genau! Im Niedriglohnsektor! Weil kein Schwein diese mies bezahlte, körperlich schwere Arbeit machen will.

Kriese: Was hat denn das Asylrecht jetzt mit dem Fachkräftemangel zu tun?

Knauthe: Der Fachkräftemangel wird als Argument für die Zuwanderung genommen.

Offenbar gibt es bei dir ein so großes Bedürfnis, über Migrationspolitik zu diskutieren, dass du gar nicht anders kannst.

Knauthe: Kennt ihr den Begriff „red-pilled“, abgeleitet aus dem Matrix-Film? So ist das. Du nimmst eine rote Pille, du kannst nicht mehr zurück. Auch wenn ich sage: Ich will das alles nicht mehr sehen. Es geht nicht mehr. Mittlerweile hoffe ich, dass es nicht zu dieser Diskussion kommen wird, wenn ich Freunde treffe.

Kriese: Deine Freunde denken also anders als du?

Knauthe: Teils, teils. Sobald ich erzähle, wo ich arbeite, kommt die Frage: Und? Ist jetzt schon anders als früher, hmm? Und schon geht’s los. Wenn du sagst: Ich möchte nicht darüber reden, dann ist das zu spät, dann ist das Thema schon auf dem Tisch! Wir sind ja jetzt noch nicht so alt, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es schon mal so war. Vielleicht bei der Wende, das letzte Mal.

Jetzt mal abgesehen von der Migrationspolitik: Vor welcher Wende siehst du die Gesellschaft derzeit stehen?

Knauthe: Wenn ich höre, jetzt gibt’s männlich, weiblich und divers, zu dieser Herangehensweise habe ich keinen Zugang. Das zieht so einen Organisationsaufwand hinterher, wie soll man denn all diese Unterschiedlichkeiten abdecken, der Nächste fühlt sich benachteiligt, weil sein sexuelles Geschlecht, was nur er definieren kann, nicht berücksichtigt wird ...

Nähe: 56.900 Menschen wohnen 2019 in Görlitz, darunter 6.200 ohne deutschen Pass

Foto: Charlotte Sattler für der Freitag

... alle Geschlechter, die nicht weiblich oder männlich sind, sind divers. Fertig geregelt. War doch gar nicht so viel Aufwand.

Knauthe: Jeder kriegt seinen „safe space“, und wenn es um die freie Meinungsäußerung geht, nämlich dass man die mitteleuropäische Kultur behalten möchte, wie sie ist, gilt man als rückwärtsgewandt.

Kriese: Mir ist wichtig, dass ich meinen Kindern eine Art regionale Identität mitgebe: Wo kommen wir eigentlich her? Ich war mit denen auf dem Bagger im Braunkohletagebau, und wir haben erklärt, wo die Kohle herkommt. Wir haben über die DDR gesprochen und die Wende. Über die Oberlausitz: Hier bist du her, das sind deine Wurzeln, da kommt deine Familie her. Wer fest verwurzelt ist, kann offen sein gegenüber anderen Kulturen, das erhoffe ich mir für meine Kinder.

Knauthe: Das sollen sie ja auch. Aber was machst du denn, wenn dein Kind auf eine Schule kommt, in der 80 Prozent der Schüler Migrationshintergrund haben?

Kriese: Dann hoffe ich mal, dass die Schule ein gutes Konzept hat, damit alle Kinder dasselbe Lernpensum bewältigen können. In der Fischmarktschule beobachten die Lehrer in den ersten zwei Wochen alle Kinder. Es gibt dann eine Klasse für die Kinder, die die deutsche Sprache noch nicht so gut können, um sie zu lernen. Am Ende profitieren die Kinder davon, dass sie gemeinsam lernen.

Knauthe: Und was machst du, wenn dein Kind mal kommt und sagt: Mama, ich hab aufs Maul bekommen...

Kriese: Das ist schon passiert.

Knauthe: Na schön.

Kriese: Das Problem damals ist der Erik* gewesen.

Knauthe: Wer?

Kriese: Der Mitschüler, der meinen Sohn geschlagen hat. Das war der Erik. Der Milieu-Junge.

„Milieu-Junge“, was meinst du mit dieser Bezeichnung?

Kriese: Na ja, die Mama und der Papa ... Das ist alles schwierig für das Kind. Der Junge, der in der Klasse immerzu Probleme macht.

Knauthe: Und der hat deinen Sohn Kartoffel genannt?

Kriese: Nee, er hat ihn verprügelt.

Knauthe: Okay, das geht nicht, aber mir geht es explizit um das Abgrenzen der Gegenkultur zu unserer. Indem man darauf hinweist: Du bist eine Kartoffel.

Die Beschimpfung als Kartoffel findest du schlimmer als andere Schulhof-Beschimpfungen?

Knauthe: Wir haben uns als Kinder in der Schule auch geprügelt. Aber da wurde niemand verprügelt, nur weil er anders aussah.

An Schulen werden immer Kinder fertiggemacht. Weil sie Brillen tragen, homosexuell sind, leise oder unsportlich ...

Knauthe: Die Schwulen und Lesben haben dafür ihre LGBT-Community, um sich zusammenzutun.

Vielleicht gibt’s ja bald die Kartoffel-Community ...

Knauthe: Ach, das ist doch Käse. Ihr lacht nur so lange, bis es euch mal selber trifft.

Kriese: Es ist zehn vor sechs, ich würde mir das Wahlergebnis gerne bei den Grünen ansehen. Ist es okay, wenn ich jetzt losfahre?

Klar.

Knauthe: Setzen wir beide uns dann endlich raus?

Luft, Sahne, Kirschen, Lachen. Mandy Kriese schließt ihr Fahrrad auf.

Knauthe: Mandy, sei nicht so traurig, wenn’s heute Abend nicht reicht für euch ...

Kriese: Gleichfalls.

Knauthe: Haha, das werden wir ja sehen. Bis zum nächsten Mal!

Kriese: Ich fand das Gespräch sehr spannend, wirklich.

Mandy Kriese fährt los.

Knauthe: Also, im Prinzip ist es ganz einfach: Ich möchte nicht, dass sich mein Lebensumfeld so entwickelt, wie es in vielen Großstädten schon der Fall ist. Natürlich bin ich auch froh, dass es nicht nur deutsche Imbisse gibt, und Zuwanderung ist in Grenzen auch förderlich. Aber wenn ich im Westen Deutschlands in Stadtteilen bin, wo ich kein deutsches Schild mehr sehe, habe ich darauf keinen Bock ...

Nur fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind muslimisch! Fünf!

Knauthe: Kennst du die Geburtenraten?

Ach, komm ... Die Antifa-Seite „Alternative Dresden News“ sagt dir eine Nähe zu den rechtsextremen Identitären nach. Bist du bei den Identitären?

Knauthe: Nein. Aber Ich habe T-Shirts vom patriotischen Versand Phalanx Europa. Zum Beispiel Reconquista ...

Wie deine Augen jetzt sprühen, krass, das findest du richtig geil, die Vorstellung, Europa von rechts zurückerobern ...

Knauthe: Na und?

Das macht mir Angst.

Die Wahlergebnisse sind da: 27,5 Prozent für die AfD, 8,6 Prozent für die Grünen in Sachsen. Norman Knauthe wirkt enttäuscht, die AfD ist nicht stärkste Partei geworden. „Du bist enttäuscht.“ – „Nein.“

Info

Das Gespräch ist Teil einer Langzeitbeobachtung des Wahljahres 2019 in Görlitz. Die kursiven Einlassungen sollen Probleme und teils überschrittene Grenzen im journalistischen Reden mit Rechten sichtbar machen. In der kommenden Woche (Ausgabe 52/2019) lesen Sie im Freitag eine Reportage über das rechte und das grüne Milieu im sächsischen Görlitz

* Namen geändert

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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