Stell dir vor, du besetzt – und sitzt falsch

Extinction Rebellion Die Besetzung der Parteizentrale der Linken durch die Klima-Aktivisten ging schief. Warum?
Ausgabe 40/2019
Aktivisten von Extinction Rebellion am Potsdamer Platz zur bundesweiten Klima-Demo am 20. September 2019
Aktivisten von Extinction Rebellion am Potsdamer Platz zur bundesweiten Klima-Demo am 20. September 2019

Foto: Imago Images/Emmanuele

„Sie sehen, die Bundesgeschäftsstelle der Linken ist heute besetzt worden“, diesen Satz strahlte Katja Kipping am vergangenen Montag in die Kameras. Nicht einmal die Besetzerinnen von Extinction Rebellion (XR) strahlten so wie die Linke-Chefin. Die XR-Sprecherin Cléo Mieulet lud die Linke auf der gekaperten Pressekonferenz dann lediglich dazu ein, sich an den für kommende Woche geplanten Blockaden in Berlin gegen das „mickrige Klimapäckchen“ der Bundesregierung zu beteiligen.

Eigentlich ist die in Großbritannien groß gewordene klimaaktivistische Gruppe bekannt dafür, dass sie Dinge sagt wie: „Weder links noch rechts, Hauptsache gegen den Klimawandel.“ Warum haben sie sich dann ausgerechnet die Linke für ihre Besetzung ausgesucht? Im Netz stießen sie damit auf grobes Unverständnis. Die schwache Linke zu besetzen für Klimapolitik, das ist offenbar lächerlich – und wirkt wenig radikal. Warum?

Einerseits, weil die Linke als klimapolitischer Akteur nicht ernst genommen wird. Aber hat sie nicht etwa recht damit, dass dann, wenn Wachstum zum Problem wird, der Kapitalismus zum Problem wird? Braucht Profit etwa kein Wachstum, grundsätzlich? Dass diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten ist, konnte man vergangene Woche auf einem Postwachstumskongress in Jena beobachten. 1.200 Soziologinnen konstatierten, dass nicht einmal die Frage geklärt ist, um welches Wachstum es in der Klimadebatte eigentlich geht: Profitwachstum? BIP-Wachstum? Bevölkerungswachstum? Wohlstandswachstum? Ist ein bestimmtes Wirtschaftswachstum nicht weiterhin sinnvoll – etwa: Investitionen in den Bahnverkehr, den ÖPNV?

Diese Fragen wirft auch die Klimaforscherin Maja Göpel auf. Kaum jemand, kritisiert sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, mache sich die Mühe, zu definieren, was „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Wachstum“ genau bedeuten und „warum das sinnvolle Konzepte sein sollen“. Göpel fordert, Eigentumsverhältnisse, Steuersysteme und die daraus resultierende wachsende soziale Ungleichheit in die Klimapolitik einzubeziehen: „Wenn es so weitergeht wie bisher, haben wir im besten Fall weltweit einen grünen Feudalismus, aber das löst ja die soziale Frage nicht.“ Maja Göpel berät die Bundesregierung, und sie stellt die Systemfrage. Nicht aus einer politischen Haltung heraus; wissenschaftlich motiviert. Weniger CO₂ und weniger soziale Ungleichheit: Welches System kann das? Eine nüchterne Denkweise. Radikal nüchtern.

Auch die Begründung der Linke-Besetzung fiel unideologisch aus: Die Linke habe die ambitioniertesten Klimaziele, twitterten die Klimarebellen – doch selbst die seien nicht genug. In Zeiten, in denen nur die Grünen als Repräsentanten der Fridays for Future gesehen werden, ist das eine radikale Intervention. Eine, von der die Linke gewinnen könnte – darum strahlte Kipping. Nur, und nun die andere Seite der Lächerlichkeit: Die Extinction Rebellion haben in Deutschland bislang kaum Strahlkraft. In Hamburg rannten sie von einer Blockade weg, als ein linker Blockierer die Polizei beleidigte; in Berlin besetzten sie mit ein paar Leuten den Potsdamer Platz, während die Stadt von 270.000 Demonstranten ohnehin in den Ausnahmezustand versetzt wurde.

Radikalität findet man derzeit an ungewohnten Orten: in der FAS, an Klimainstituten, und nicht zwingend auf Blockaden. Wenn die XR es aber schaffen, die Stadt lahmzulegen; dann strahlen sie vermutlich doch.

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