„Sie sehen, die Bundesgeschäftsstelle der Linken ist heute besetzt worden“, diesen Satz strahlte Katja Kipping am vergangenen Montag in die Kameras. Nicht einmal die Besetzerinnen von Extinction Rebellion (XR) strahlten so wie die Linke-Chefin. Die XR-Sprecherin Cléo Mieulet lud die Linke auf der gekaperten Pressekonferenz dann lediglich dazu ein, sich an den für kommende Woche geplanten Blockaden in Berlin gegen das „mickrige Klimapäckchen“ der Bundesregierung zu beteiligen.
Eigentlich ist die in Großbritannien groß gewordene klimaaktivistische Gruppe bekannt dafür, dass sie Dinge sagt wie: „Weder links noch rechts, Hauptsache gegen den Klimawandel.“ Warum haben sie sich dann ausgerechnet die Linke für ihre Besetzung ausgesucht? Im Netz stießen sie damit auf grobes Unverständnis. Die schwache Linke zu besetzen für Klimapolitik, das ist offenbar lächerlich – und wirkt wenig radikal. Warum?
Einerseits, weil die Linke als klimapolitischer Akteur nicht ernst genommen wird. Aber hat sie nicht etwa recht damit, dass dann, wenn Wachstum zum Problem wird, der Kapitalismus zum Problem wird? Braucht Profit etwa kein Wachstum, grundsätzlich? Dass diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten ist, konnte man vergangene Woche auf einem Postwachstumskongress in Jena beobachten. 1.200 Soziologinnen konstatierten, dass nicht einmal die Frage geklärt ist, um welches Wachstum es in der Klimadebatte eigentlich geht: Profitwachstum? BIP-Wachstum? Bevölkerungswachstum? Wohlstandswachstum? Ist ein bestimmtes Wirtschaftswachstum nicht weiterhin sinnvoll – etwa: Investitionen in den Bahnverkehr, den ÖPNV?
Diese Fragen wirft auch die Klimaforscherin Maja Göpel auf. Kaum jemand, kritisiert sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, mache sich die Mühe, zu definieren, was „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Wachstum“ genau bedeuten und „warum das sinnvolle Konzepte sein sollen“. Göpel fordert, Eigentumsverhältnisse, Steuersysteme und die daraus resultierende wachsende soziale Ungleichheit in die Klimapolitik einzubeziehen: „Wenn es so weitergeht wie bisher, haben wir im besten Fall weltweit einen grünen Feudalismus, aber das löst ja die soziale Frage nicht.“ Maja Göpel berät die Bundesregierung, und sie stellt die Systemfrage. Nicht aus einer politischen Haltung heraus; wissenschaftlich motiviert. Weniger CO₂ und weniger soziale Ungleichheit: Welches System kann das? Eine nüchterne Denkweise. Radikal nüchtern.
Auch die Begründung der Linke-Besetzung fiel unideologisch aus: Die Linke habe die ambitioniertesten Klimaziele, twitterten die Klimarebellen – doch selbst die seien nicht genug. In Zeiten, in denen nur die Grünen als Repräsentanten der Fridays for Future gesehen werden, ist das eine radikale Intervention. Eine, von der die Linke gewinnen könnte – darum strahlte Kipping. Nur, und nun die andere Seite der Lächerlichkeit: Die Extinction Rebellion haben in Deutschland bislang kaum Strahlkraft. In Hamburg rannten sie von einer Blockade weg, als ein linker Blockierer die Polizei beleidigte; in Berlin besetzten sie mit ein paar Leuten den Potsdamer Platz, während die Stadt von 270.000 Demonstranten ohnehin in den Ausnahmezustand versetzt wurde.
Radikalität findet man derzeit an ungewohnten Orten: in der FAS, an Klimainstituten, und nicht zwingend auf Blockaden. Wenn die XR es aber schaffen, die Stadt lahmzulegen; dann strahlen sie vermutlich doch.
Kommentare 11
Sicher hat die Linkspartei-Bürobesetzung von Extinction Rebellion ein ordentliches Element an Peinlichkeit; so viele User im Netz können selten irren ;-). Das Lachen könnte Katja Kipping allerdings bald ebenso vergehen. Fakt ist, dass die neue Klimabewegung dabei ist, die politische Agenda umzuformulieren, und da steht die Linkspartei einfach insgesamt schlecht da.
Unterweil zerbrechen sich selbsternannte und beauftragte kluge Profis den Kopf, was das alles eigentlich sei, und wie man das Volumen »Wachstum« korrekt zu definieren habe. Das wird weder FfF und XR noch Linkspartei oder Grüne sonderlich jucken – weil jeder dieser Parts eben seine eigene Agenda hat und entsprechend seine vorgegebenen Karten spielt. Ohne dies hier weiter in die Länge auszuführen, ist es einfach so, dass Soziale Frage und Klimafrage derzeit aufeinandercrashen: Die einen wollen eben, dass ihnen ihr Hartz IV nicht weiter zusammengestrichen wird. Die anderen basteln derweil an Downshifting-Szenarien oder einfach an Transparenten für die nächste Aktion.
Ich lasse mich gern darüber aufklären, wie beides auf sinnvolle Weise zusammengehen könnte. Im Moment sehe ich dafür allerdings wenig Anhaltspunkte. Darüber hinaus dürften diese, so sie sich bilden, eher in (punktuellen) Bündnissen zustandekommen als in den bezahlten Elfenbeintürmen des systemangestellten Akademie-Mittelbaus. Insofern ist die XR-Aktion vielleicht ein Fehlschlag – allerdings sicher keiner der Sorte, wo man sich im Anschluss zufrieden zurücklehnen könnte. Will heißen: Das alles kommt zurück – auf die ein oder andere Weise.
Man könnte, um einmal von dem plakativen und offensichtlichen Ereignis, "Besetzung" der linken Parteizentrale wegzukommen, die Frage stellen, ob man sich die Linken SpitzenfunktionärInnen und ParteipolitikerInnen als freiwillige Teilnehmer eines Klimakongresses, eines Wissenschaftsworkshops oder einer Fortbildung diesbezüglich vorstellen kann, Frau Koester.
Warum gibt es keine prominenten Naturwissenschaftler, Ärzte, Ingenieure in den Reihen der Linken, die diese und ähnliche Themen begleiten, vorstellen und die Positionen der Partei vertreten? - Es entschuldigt die Linke nicht, dass auch die anderen Parteien damit große Probleme haben. Die SPD ließ ihren besten Umweltpolitiker ebenso politisch verhungern, wie sie ihre einzige wirklich innovative Gesellschaftspolitikerin rechtzeitig kaltstellte, bevor sie hätte "gefährlich" werden können.
Weil von Links nichts kommt, hat es Angela Merkel auch so leicht, in Deutschland und der Welt immer noch als die "Klimakanzlerin" zu gelten und ihr liebster Gefährte auf der Eisbärscholle, ein ebensolcher Nichtstuer und Verhinderer in Sachen Umweltpolitik, Sigmar Gabriel, hat sich gerade erst aus der Politik zurückgezogen. - Den vielgescholtenen öffentlich- rechtlichen Medien und der "Lügenpresse" ist das durchaus aufgefallen. Nur dringen sie damit längst nicht mehr zu den wahlentscheidenden Wählern und ins "Netz" durch.
Ich weiß, dass auch die Linke mittlerweile akzeptable und klare Positionen in diesen Fragen vertritt und sich ohne Schwierigkeiten an Demonstrationen rund um Klima- und Umweltschutz beteiligen könnte, ohne schwarz zu werden.
Die politologische Haltung, die angeblich politische Haltung, zwingt jedoch dazu, allzu viel Zeit damit zu verbringen, sich eine Strategie zu basteln. Weil das so ist, werden Linke nicht einmal mehr als Berater und Kümmerer ernstgenommen. - Ich bedauere das sehr.
Ob das Postwachstum der Soziologen in der Postwachstumsgesellschaft reicht, der Partei und darüber hinaus der Gesellschaft einige nachhaltige Ratschläge zu geben, weiß ich allerdings auch nicht. Ich habe erhebliche Zweifel.
Linke konnten in der jüngsten Vergangenheit leider zu oft beweisen, dass sie außerhalb der in den eigenen Kreisen kursierenden Strategiepapiere, zu einer erfolgreichen und sichtbaren politischen Strategie nicht fähig sind.
Die Klimafrage ist selbstverständlich eine höchst soziale Frage, denn die sozial Schwachen, weltweit und im Ländchen, werden die hauptsächlichen Leidtragenden sein, egal welches Klima-Szenario, bis hin zum Worst case, sich dann realisiert.
Im "Netz" wird so manches mit Unverständnis aufgenommen und man muss sich mühen, dieser digitalen Entrüstung nachzukommen, um die Unmöglichkeit von Aktionen überhaupt erst einmal begreifen zu lernen. Welche Erfolgsgeschichte! Strategiefragen, überall nur noch Strategiefragen.
Stünde hinter diesem Artikel nun nicht eine veritable Journalistin, sondern meinetwegen Katja Kipping oder Bernd Riexinger, dann könnte er als die Verkündung eines weiteren Pyrrhus- Sieges des demokratischen Sozialismus oder Kommunismus, wenn auch nur in und vor der eigenen Parteizentrale, durchaus durchgehen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
»Warum gibt es keine prominenten Naturwissenschaftler, Ärzte, Ingenieure in den Reihen der Linken, die diese und ähnliche Themen begleiten, vorstellen und die Positionen der Partei vertreten?«
Die Linkspartei* hat im Bereich Sozialpolitik bereits seit Jahren eine beachtlich gute Fachexpertise – aufgeführt seien an der Stelle nur Christoph Butterwegge oder auch Herr Schneider von DPWV. Genutzt hat es ihr bekanntlich wenig. Was heißen will: Die beste Fachkompetenz ist wenig wert, wenn man sich für die Ergebnisse nicht ins Zeug wirft und stattdessen lieber die eigene Programmatik verwässert – um Everybody’s Darling zu sein wie es die gute Frau Kipping so beispielhaft vormacht.
Im Prinzip steht diese ungute Dynamik vor zwei Möglichkeiten: entweder laufen die Fachleute weg, weil die Partei macht, was sie eben macht. Oder aber die Fachleute werden selber korrupt. Dass dieselbe Chose nunmehr auch beim Thema Klima passiert, ist wenig überraschend. Die Linkspartei möchte sich dieses Thema nun eben auch gern aufpfropfen – ich vermute, weniger aus Einsicht in die Notwendigkeit sondern vielmehr deshalb, weil man von den Grünen ein Wählerkontingent in nicht ganz unbeträchtlicher Menge zu sich herüberzuziehen gedenkt.
Mit anderen Worten: Shit Happens. Dass man anlässlich der mit Pseudomut angegangenen Besetzungsaktion milde Häme über XR ausgießt, passt einerseits zwar ins Bild. »Gute« sehe ich bei dieser eher kleinen, unbedeutenden Geschichte allerdings auf keiner der beiden Seiten.
* Der Parteiname »Die Linke« ist auch so ein geklautes Etikett, dass suggerieren soll, die Partei repräsentiere »die« Linke in ihrer Gesamtheit. Hier nicht das Fass, dass aufgemacht werden soll. Allerdings werde ich konsequent weiter den Terminus »Linkspartei« verwenden – um diese PR-Show nicht auch noch selbst via Wording zu unterstützen.
"Einerseits, weil die Linke als klimapolitischer Akteur nicht ernst genommen wird. Aber hat sie nicht etwa recht damit, dass dann, wenn Wachstum zum Problem wird, der Kapitalismus zum Problem wird?"
Nö. Wenn Wachstum zum Problem wird, ist Wachstum das Problem, egal unter welcher System-Form. Und die Linke hat keine plausible Antwort darauf, wie - unter den gegebenen Bedingungen und mit den heutigen Möglichkeiten - "Wohlstand für Alle" klima- und ressourcenfreundlich vonstatten gehen könnte - zudem in globalem Umfang, also knapp 8 Milliarden-fach, Stand heute.
Ich sage das nicht hämisch, ich suche selbst nach einer Antwort auf die Frage, wie so viele Menschen ein gutes, zufriedenes Leben führen können, soweit objektivierbar, ohne dass wir den Planeten ruinieren. Das ist nichts weniger als die größte Frage des Jahrtausends. Es kleiner zu zeichnen ist möglich, aber sinnlos.
Ich bleibe vorerst dabei: Wir sind - gemessen an dem, was wir können (Technik, Logistik) und allzu sehr zu schätzen gelernt haben (Standards) - schon heute viel zu viele. Viel viel zu viele. Das ist kein "Ökofaschismus", das ist wahr. Was die Menschheit braucht, wenn es sie in 500 Jahren noch geben soll, ist ein dicker Brocken, der - völlig colorblind - einschlägt und ein lokal überlebbares Nadelöhr erzeugt, irgendwo. Wenn ich dann weg bin, isses halt so.
Spaßbremse Ende. Jetzt wieder Sozialismus.
"Weniger CO₂ und weniger soziale Ungleichheit: Welches System kann das? Eine nüchterne Denkweise. Radikal nüchtern."
Ja, das ist Nachdenken auch nach meinem Geschmack. Aber die Linke hüte sich zu tun, als sei eine Antwort auf die gute Frage schon gefunden. Ist sie nämlich nicht. Den hohen Verbrauch an Energie und Ressourcen samt Abfallproduktion der "Konsum-Elite" (Reiche überall, Industrieländer "lokal") einfach auf Alle umzulegen, noch in der Hoffnung, hernach ergebe sich im Saldo kein Konsum-Plus, ist alles - aber nicht die Lösung des Problems. Wenn global gleichverteilt, dann müsste es meinen groben 'Berechnungen' zufolge weit weniger Wohlstand für Einzelne sein, als das hiesig definierte, relativ (!) mickrige Existenzminimum bereitzustellen vermag. Und ich suche nach jemandem, der oder die das mal mit anerkannten, belastbaren Zahlen durchrechnet, für sagen wir 10 Milliarden Menschen bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 4 Personen, was nicht zu niedrig gegriffen wäre, falls bei Gleichverteilung weltweiter "Wohlstand für Alle" einträte.
"Strategiefragen, überall nur noch Strategiefragen."
Aber finden Sie die Frage, welches System in der Lage wäre, "weniger CO2" (= weniger Energie, Produktion, Konsum, Verkehr) und "weniger soziale Ungleichheit" zusammenzubringen, denn nicht spannend? Nicht nützlich? Exakt diese kurze, klein aussehende Frage ist es doch, deren Antwort dahin führte, wo Linke und Nicht-Rechte hinwollen. Trifft also den Kern.
Gerade in Zeiten, in denen Antworten rar sind, nehmen gut gestellte Fragen einen enormen Stellenwert ein. Meine ich.
Die Überschrift ist super!
Katja Kipping strahlt wie ein Kernkraftwerk, ja und sie ist genau so gefährlich. Ihr Opportunismus, und der ihrer Entourage, schadet linker Poilitik. Ihr Streben gilt einem Minister*/_Innensessel und dafür ist sie bestens qualifiziert: Keine Ahnung von nix.
>>Und ich suche nach jemandem, der oder die das mal mit anerkannten, belastbaren Zahlen durchrechnet, für sagen wir 10 Milliarden Menschen...<<
Durchrechnen kann ich es auch nicht.
Aber ich denke, wenn wir von der kaputtalistischen Definition für "Wohlstand" abgehen und fragen: "Wieviel Material- und Enegieverbrauch ist für ein Leben in Gesundheit, Wohlbefinden, Lebensfreude unverzichtbar?" können wir in eine konstruktivere Richtung denken als die derzeitigen Standardsackgassen. Die Antwort wäre nicht null, aber ausgehend von der konkreten Lebensqualität, die erst mal nicht Materialkonsum als Ersatz für Lebensfreude setzt können materielle Unverzichtbarkeiten freier definiert werden.
Aber ist das realistisch? Ich glaube, wir waren von einer post-materialistischen Welt nie weiter entfernt als heute. Und wir entfernen uns immer mehr, je selbstverständlicher uns Besitz und/oder Gebrauch all der nützlichen und/oder völlig überflüssigen Dinge erscheinen. Ich meine, wer kann sich da schon ausnehmen? Wer gibt einen lieb gewonnenen Standard auf, ohne sich gezwungen zu sehen? Die Regierungen, die wir wählen, zwingen uns ja nicht, weil das doch unsere Interessensvertreter sind. Ein mit Universalstandard-Mitteln nicht aufzulösendes Paradox, wie mir scheint.
>>Ich glaube, wir waren von einer post-materialistischen Welt nie weiter entfernt als heute.<<
Ja, das sehe ich schon auch so. Aber im Verlaufe meiner Entwicklung (und gelegentlich in Diskussionen, hauptsächlich aber nicht ausschliesslich mit Kindern) hab ich ab und zu über das Potential der menschlichen Grosshirnrinde gestaunt. Ich denke heute, wir akzeptieren zu sehr dass wir uns unterschätzen müssen.