Stimmt ja: #MeToo-Revolution

Feminismus Nach zwei Jahren drehte sich die Debatte nur noch um männliche Flirtangst. Der Weinstein-Prozess erinnert an die Anfänge der Bewegung
Ausgabe 02/2020
Frauen versammeln sich zum Auftakt des Prozesses gegen Harvey Weinstein vor dem Obersten Gericht der USA in Manhattan
Frauen versammeln sich zum Auftakt des Prozesses gegen Harvey Weinstein vor dem Obersten Gericht der USA in Manhattan

Foto: Timothy A. Clary/AFP/Getty Images

Ein Kommentar über zwei Jahre #MeToo? Och nee! Fand ich. #MeToo, der Schlachtruf zur Abschaffung der Sexualität. #MeToo, der Beginn der prüden Gesellschaft, in der kein Mann sich mehr traut, eine Frau auch nur anzusehen, das Ende vom Flirt, das Ende sexueller Abenteuer, #MeToo, da muss man einen Vertrag abschließen, bevor man weibliche Haut berühren darf, sonst droht Klage, #MeToo, das sind Pranger, zerstörte Karrieren, Rufmord, #MeToo, #MeToo, #MeToo, rollende Augen, seufzende Münder, ach, wegwischende Bewegung, Scheiß-Debatte. Wann war das eigentlich? Wann ist die Debatte dermaßen gekippt?

Los ging es mit der Frage, ob die Vergewaltigungsvorwürfe stimmen. Sind die bezichtigten Männer, sind Harvey Weinstein, Kevin Spacey, Michael Fallon, Dieter Wedel nicht vielleicht unschuldig? Muss nicht erst ein Gericht alle Vorwürfe prüfen, bevor man öffentlich über sie reden darf? Und dann: Was gilt überhaupt als Vorwurf? Hand auf das Knie legen, sexualisierte Anspielungen, Witze, Blicke – ist das überhaupt relevant?

Dann: Was macht die Debatte mit dem Miteinander zwischen Mann und Frau? Wie flirtet man, ohne übergriffig zu sein? Geht das überhaupt? Wie hat man einvernehmlichen Sex? Wer definiert, ob der Sex einvernehmlich war? Und dann: Was für ein Frauenbild transportiert diese Debatte? Werden Frauen durch #MeToo nicht als Opfer dargestellt, als hätten sie kein eigenes sexuelles Begehren?

Irgendwann unterwegs wurde #MeToo zur Chiffre für den Vorwurf der Sexualitätsfeindlichkeit. Für mich jedenfalls.

Aber dann sehe ich Mimi Haleyi, Weinsteins ehemalige Produktionsassistentin, zum Prozessauftakt: „Frauen haben das Recht, Nein zu sagen. Und ich habe Harvey ‚Nein‘ gesagt.“ In ihrer zitternden Stimme ist noch immer Entsetzen zu hören. Das Entsetzen über die Erfahrung unendlicher Ohnmacht, Nein gesagt zu haben und dann gezwungen zu werden. Vergewaltigt zu werden. #MeToo ist einfach nur das. Sich die Macht nehmen, das Entsetzen über diese Ohnmacht auszusprechen: Das ist mir passiert. Und dann: Mir auch. Mir auch, mir auch, Millionen Mal: Mir auch. Ich erinnere mich daran, wie sich #MeToo anfühlte: befreiend. Ermächtigend. Revolutionär. Vielleicht schafft es der nun gestartete Weinstein-Prozess, wieder Gerechtigkeit in die Debatte zu bringen.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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