„Das ist der Pakt mit dem Faschismus“

Interview LINKE-Landeschefin Susanne Hennig lehnt eine AfD-unterstützte Regierung unter Thomas Kemmerich ab und fordert Neuwahlen
Bodo Ramelow und Susanne Hennig-Wellsow hätten nicht gedacht, dass es CDU und FDP so weit hätten kommen lassen
Bodo Ramelow und Susanne Hennig-Wellsow hätten nicht gedacht, dass es CDU und FDP so weit hätten kommen lassen

Foto: Star-Media/Imago

Frau Hennig-Wellsow, haben Sie kommen sehen, was im Landtag passiert ist: Dass die CDU-Fraktion beinahe geschlossen zusammen mit der AfD für Thomas Kemmerich als Ministerpräsident stimmen wird?

Das stand, wenn man das Parlamentsrecht kennt, theoretisch als Option im Raum. Aber dass sich die FDP tatsächlich von der AfD wählen lässt und Kemmerich dann auch noch die Wahl annimmt, obwohl mehr als deutlich ist, dass die AfD ihn mitgewählt hat – da muss ich ehrlich sagen: Nein. Ich hätte nie gedacht, dass das wirklich passiert.

Sie haben dem Ministerpräsidenten Ihren Blumenstrauß vor die Füße geworfen. Warum?

Seine Wahl ist ein absoluter Tabubruch. Und ich werde einem Tabubruch nicht mit der Einhaltung des Protokolls begegnen.

Waren Sie auf diese Situation nicht vorbereitet?

Wir wussten, dass es verschiedene Varianten gibt, die passieren könnten, und dass dies eine davon ist. Und wir haben natürlich darüber gesprochen, wie wir uns dann jeweils verhalten.

Wie verhält sich die Linke jetzt also?

Ich halte es mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der gesagt hat, die FDP hat das Land in Brand gesetzt. Nichts weniger ist passiert. Die Thüringer FDP ist den Pakt mit dem Faschismus eingegangen. Und in der heutigen Abstimmung zur Vertagung der Sitzung haben sie das noch einmal deutlich gemacht: Erneut setzte sich die FDP mit den Stimmen der AfD durch. Es ist klar: Kemmerich muss zurücktreten. Wir werden auf keinen Fall mit dieser Regierung zusammenarbeiten, die sich von Nazis hat wählen lassen. Wir orientieren uns jetzt auf Neuwahlen.

Wie begründen Sie Ihre Forderung nach Neuwahlen? Kemmerich wurde doch demokratisch gewählt.

Eine demokratische Wahl heißt ja leider nicht, dass ihre Folgen demokratisch sind. Das sieht man bei der AfD. Sie sind keine Demokraten, aber sie sind demokratisch gewählt. Ich habe Herrn Kemmerich gesagt, dass ich mich für ihn schäme, als ich ihm den Blumenstrauß vor die Füße warf. Das meine ich sehr ernst. Das, was heute passiert ist, ist nicht der Wählerwille. Wenn Kemmerich der Meinung ist, dass er der richtige Ministerpräsident für das Land Thüringen ist, dann soll er sich von den Wählerinnen in Thüringen wählen lassen. Aber dass eine Fünf-Prozent-Partei nun glaubt, den MP zu stellen, und sich dabei noch von Nazis wählen zu lassen – da, fürchte ich, ist der FDP sämtliches demokratisches Gespür verloren gegangen.

Kemmerich wurde mit 45 Stimmen gewählt, die CDU-Fraktion muss beinahe geschlossen für ihn gestimmt haben. Laut Umfragen sind 74 Prozent der CDU-Wählerinnen mit der Arbeit von Bodo Ramelow zufrieden. Wieso glaubt die Thüringer CDU, einen Ministerpräsidenten Ramelow um jeden Preis verhindern zu müssen?

CDU und FDP agieren hier tatsächlich gegen ihre eigenen Wählerinnen und Wähler. Weder die eine, noch die andere Wählerschaft wollte mit ihrer Stimme eine Partei wählen, die sich von der AfD unterstützen lässt. Es geht hier um reine Machtgeilheit, ohne Sinn und Verstand.

Oder spielen hier, selbst nach fünf Jahren rot-rot-grüner Regierung, auch alte antikommunistische Reflexe eine Rolle?

Ja, diese antilinken Reflexe spielen mit Sicherheit eine Rolle. Aber an erster Stelle geht es um Macht.

Die Linke hat dieses machtpolitische Spiel nun verloren. Hätte sie im Vorfeld etwas anders machen können? Stärker auf die CDU zugehen?

Wir haben alles probiert. Wir haben Gesprächsangebote gemacht, auf allen Ebenen. FDP und CDU wollten das nicht. Sie haben auf die Wahl des Ministerpräsidenten gewartet, um dann mit der AfD zusammen zu stimmen.

Sollte Kemmerich zurücktreten, ändert dies wenig an der verfahrenen politischen Situation in Thüringen. Was erhoffen Sie sich von Neuwahlen?

Was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass die Nazi-Partei AfD mitregiert oder mitbestimmt, was hier im Land an Politik gemacht wird. Das ist jetzt passiert. Das erste Ergebnis, das eine Neuwahl bringen muss, ist, dass diese Regierung nicht im Amt bleibt.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 30% Rabatt lesen

Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden