Patriarchale Konterrevolution

Richteramt Brett Kavanaugh wird als Richter am Supreme Court bestätigt. Nach einem Jahr #MeToo stellt sich die Frage: Was, wenn die Bedrohung von Frauen einfach zu wenig zählt?
Frauen in den USA fühlen sich seit der Ernennung Kavanaugs Richter am Supreme Court bedroht. Womöglich hilft nur noch der Aufbau von Gegenmacht
Frauen in den USA fühlen sich seit der Ernennung Kavanaugs Richter am Supreme Court bedroht. Womöglich hilft nur noch der Aufbau von Gegenmacht

Foto: imago/Pacific Press Agency

„We're at threat“, sagte eine Demonstrantin in Washington nach der Bestätigung von Brett Kavanaugh: „Wir sind bedroht.“ Die Demonstrantinnen fühlen sich bedroht, weil der Supreme Court durch den neuen Obersten Richter nach rechts kippt – und so viele liberale Errungenschaften wie das Recht auf Abtreibung oder die Ehe für alle ebenso wie Umweltrichtlinien oder Arbeitnehmerrechte rückgängig gemacht werden könnten. Die Bedrohung, die von diesem Sieg Donald Trumps und Kavanaughs ausgeht, ist jedoch noch größer. Es ist die Bedrohung durch eine starke patriarchale Konterrevolution, die feministische Errungenschaften für Jahre zurückdrängen könnte.

Denn eigentlich könnte man die Bestätigung Kavanaughs am Supreme Court auch nur als kleinen Rückschlag auf dem feministischen Weg werten. Pussy-Grabber, Machos, sexuell Übergriffige, Vergewaltiger gab es unter jenen großen Männern, die an Regierungstischen oder in Gerichtssälen über die Gesellschaft bestimmten, schon immer. Vor #MeToo wurde so getan, als wüsste man das nicht: alles ehrenhafte Gentlemen, echte Patrioten. Okay, zu ein paar Bierchen gehören vielleicht manchmal ein paar Frauen, das gehört zur Party dazu, aber echte Gewalt an Frauen? Das ist doch etwas ganz anderes. Die weibliche Perspektive auf diesen machistischen Lifestyle wurde in dieser Erzählung schlicht ausgeblendet.

Durch #MeToo wurde sie explosionsartig enthüllt. Millionen Frauen erzählten ihre Version von den paar Bier und paar Frauen: ständige Bedrohung von Körper und Seele. Traumatisierung. Frauen erzählten sich um Kopf und Kragen, um sich zu erklären, um ihre Perspektive deutlich zu machen, um endlich gesehen zu werden. Wenn die Gewalt, die hinter dem Bild von „Zigarre, Alkohol und Frauen“ steckt, einmal sichtbar wäre, so die Hoffnung, würde die Gesellschaft dieses männliche Verhalten verurteilen und alles dafür tun, um diese Gewalt zu stoppen.

Ähnlich, wie Journalisten anfangs mit der AfD umgingen: Man müsse nur entlarven, glaubte man, wie völkisch, rechtsradikal, rassistisch und antisemitisch die AfD in Wirklichkeit ist. Die Mitarbeiter von AfD-Politikern wurden ausrecherchiert, es wurde bewiesen, dass sich darunter Neonazis befinden. Jede antisemitische oder völkische oder anderweitig rechtsradikale Äußerung von AfD-Politikern wurde öffentlich auseinander genommen. Mit welchem Ergebnis? Die AfD wurde immer stärker. Man muss sich wohl mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass sie es nicht trotz, sondern wegen ihrer rechtsradikalen Ausrichtung wird. Und tatsächlich fangen einige an, etwa Björn Höcke in Chemnitz, offen mit Neonazis aufzutreten. Der liberale Teil der Zivilgesellschaft ist empört. Die AfD liegt dennoch bei 16 Prozent.

Hat Trump Erfolg wegen seiner Attacken gegen Frauen?

Im Guardian stellte der Politikwissenschaftler Cas Mudde die These auf, dass auch Trump nicht nur trotz seiner „Pussy Grabbing“-Geschichten breite Unterstützung findet. „Es ist an der Zeit, dass wir in unseren Diskussionen über extreme Rechte und rechte Politik das Thema Männlichkeit ernster nehmen“, schreibt Mudde: „Die Zustimmung für Donald Trump bei (höher gebildeten) weißen Frauen ist rückläufig. Kern seiner Anhängerschaft ist der überaus große Anteil weißer Männer (nicht nur unter Arbeitern), die einen Präsidenten unterstützen, der sich damit brüstet, dass er Frauen an die „pussy“ fasst. Vielleicht ist es ja eher so, dass viele Männer Trump nicht trotz seiner Attacken gegen Frauen unterstützen, sondern wegen solcher Ausfälle.“

Sollte dies stimmen, dann nutzt #MeToo als Bewegung der Sichtbarmachung sexualisierter Gewalt wenig (lesen Sie dazu auch Andrea Roedig über ein Jahr #MeToo im kommenden Freitag). Dann ging es bei der Debatte um die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe Kavanaughs auf Christine Blasey Ford auch nicht darum, herauszufinden, ob er tatsächlich versucht hat, sie zu vergewaltigen – oder nicht. Sondern dann geht es darum, ob sexuelle Gewalt ein harter Einwand gegen die politische Glaubwürdigkeit eines Obersten Richters oder Politikers ist. Ob sexuelle Übergriffigkeit ein harter Einwand gegen den Erfolg von Schauspielern, Künstlern, Produzenten oder Comedians ist. Was früher als „Alkohol und Frauen“ verharmlost wurde, konnte der moralischen Integrität von Männern nichts anhaben. Ein „wichtiger Mann“ durfte schonmal „über die Stränge“ schlagen – mehr noch: das gehörte zum Bild eines starken, unabhängigen, erfolgreichen Mannes.

Was, wenn die Bedrohung von Frauen einfach zu wenig zählt?

Was, wenn dieses „über die Stränge schlagen“ nun als sexualisierte Gewalt enthüllt wurde – und dennoch der moralischen Integrität eines „wichtigen Mannes“ nichts antun kann? Was, wenn Kavanaugh nicht deshalb bestätigt wurde, weil Blasey Ford nicht genügend geglaubt wurde – sondern obwohl ihr geglaubt wurde und ihre Vorwürfe als nicht gewichtig genug gesehen wurden, um das Vertrauen in Kavanaugh zu erschüttern? Was, wenn die körperliche Unversehrtheit von Frauen, die Bedrohung von Frauen einfach zu wenig zählt? Oder, noch schlimmer: was, wenn die politische Rechte so patriarchal ist, dass sie es bald wagen könnte, sexuelle Übergriffe ganz offen als irrelevant für die moralische Integrität von Männern abzutun – oder gar als Zeichen starker Männlichkeit zu feiern?

Man kann einwenden, dass es sehr knapp war. Die #MeToo-Revolution hätte nach Harvey Weinstein, Michael Fallon oder Woody Allen beinahe auch Brett Kavanaugh gestürzt. Und bewiesen werden konnte der sexuelle Übergriff, der Kavanaugh vorgeworfen wird, letzten Endes nicht. Möglicherweise waren jene Senatoren, die an der Unschuld eines Mannes festhalten, bis das Gegenteil bewiesen wird, in dieser Entscheidung das Zünglein an der Waage. Vielleicht. Aber was, wenn der #MeToo-Fortschritt nur lautet, dass alle von der alltäglichen sexualisierten Gewalt ganz offen wissen – und sie akzeptieren? Das wäre in der Tat eine massive Bedrohung für Frauen. "Richter Kavanaugh hat Amerika genau gezeigt, warum ich ihn nominiert habe", twitterte Trump nach der Anhörung, bei der Kavanaugh verbittert und wütend auf Blasey Fords Aussagen reagierte. Sollten ihre Vorwürfe berechtigt sein, hat auch die Demonstrantin in Washington Recht: We're at threat. Vogelfrei. Dann hilft kein Reden, kein Sichtbarmachen – dann hilft nur der Aufbau von Gegenmacht.

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