„Was fehlt, ist der Moment der Begegnung“

Interview Um Psychotherapien in Zeiten der Corona-Verunsicherung zu ermöglichen, werden sie nun per Video geführt. Der Psychologe David Biallowons fürchtet, dass viel verloren geht
Persönlicher Kontakt ist für PatientIn und TherapeutIn wichtig. Was also tun während der Coronakrise?
Persönlicher Kontakt ist für PatientIn und TherapeutIn wichtig. Was also tun während der Coronakrise?

Foto: imago images / Thomas Eisenhuth

Als die ersten Patienten absagten, weil sie sich krank fühlten, dachte David Biallowons an sein kleines Baby und schloss kurzerhand seine zwei Praxen. Wann die Therapien weitergehen können, weiß er nicht. Wir sprechen über Skype, ohne Video: die Internetverbindung im Home Office ist heute zu wackelig. Im Hintergrund schreit zwischendurch das Baby.

Zur Person

David Biallowons arbeitet als tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapeut in zwei Praxen. Im brandenburgischen Angermünde ist sein Kassensitz. In Berlin-Friedrichshain betreibt er eine Privatpraxis

der Freitag: Herr Biallowons, wie reagieren ihre Patientinnen auf die Coronakrise?

Biallowons: Es ging alles so schnell, dass Corona in meinen Psychotherapien kaum Thema war, bevor ich mich dazu entschlossen habe, die Praxis zu schließen. Uns blieb keine Zeit, in Ruhe darüber zu sprechen: Wie wird das jetzt für Sie? Das wird alles erst später kommen, wenn wir uns wiedersehen, nach der Krise.

Sie haben Ihre Praxis bereits geschlossen?

Vor etwas mehr als zwei Wochen begann ich damit, meinen Patienten nicht mehr die Hand zu geben. Vor einer Woche dann habe ich ihnen in einer Email neue Verhaltensregeln mitgeteilt: Dass sie die Türklinke nicht mehr berühren sollen, sondern ich die Tür von innen öffne. Dass sie bitte nicht kommen sollen, wenn sie sich krank fühlen oder Kontakt zu einem Erkrankten hatten. Am selben Abend erhielt ich Emails von Patienten, die berichteten, dass es bei ihnen einen Verdacht auf Corona gibt oder sie Symptome hätten. Von 30 Patienten haben sechs direkt abgesagt. Daraufhin habe ich beschlossen, die Praxen ganz zu schließen.

Bieten Sie Videotherapien an?

Ja, als ich erfuhr, dass die kassenärztliche Vereinigung (KV) ihre Regelungen für Videotherapie lockert, habe ich meinen Patienten diese Möglichkeit angeboten. Bislang übernahm die KV die Kosten nur bis zu 20 Prozent der Sitzungen in Videotherapie. Diese Beschränkung hob sie jetzt auf, man braucht jetzt auch keine Genehmigung mehr für eine Videosprechstunde.

Läuft das dann per Skype?

Nein, es gibt eine Liste mit zertifizierten Anbietern, denn Datensicherheit spielt in der Videotherapie natürlich eine zentrale Rolle. Die Zertifikate muss man dann an die KV schicken. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Angebot durch die Coronakrise massiv gefördert wird. Die meisten Anbieter stellen jetzt auch Umsonstpakete zur Verfügung, für die nächsten sechs Monate.

Wie haben die Patienten auf dieses Angebot reagiert?

Für einige kommt Videotherapie leider nicht infrage, weil sie zuhause in der Selbstquarantäne keinen Raum haben, in dem sie ungestört sprechen können, ohne dass die Familie, Partner oder die Kinder reinkommen. Andere haben das Angebot dankbar angenommen. Wir haben allerdings alle keine Erfahrung mit Videotherapie, ich auch nicht.

Warum haben Sie bislang nie Videotherapien angeboten?

Ich glaube, dass beim Video im Vergleich zum persönlichen Kontakt viel verloren geht. Man hört bei der Therapie nicht nur auf das, was gesagt wird, sondern achtet auf die Mimik, die Gestik ...

Die sieht man über das Video doch auch.

In der Psychotherapie geht es viel um Resonanzphänomene, und die werden durch die räumliche Distanz behindert: Dass ich auf eine Gefühlslage des Patienten sofort reagieren kann. Der Psychoanalytiker Daniel Stern spricht von „Now-Moments“, Begegnungsmomenten, die in der Psychotherapie sehr wichtig sind für einen Heilprozess. Man schaut sich plötzlich besonders tief in die Augen, hat das Gefühl, man hat den anderen jetzt gerade ganz genau verstanden. Der Patient hat das Gefühl, dass er in dem Moment besonders gut aufgehoben ist.

In der Videotelefonie kann man sich nicht in die Augen schauen, weil man auf das Bild des anderen schaut, unterhalb der Kamera ...

Genau, deshalb kann ich mir vorstellen, dass solche Momente über Video nicht mehr so einfach herstellbar sind. Allerdings hat Videotherapie auch seine Berechtigung: Für Menschen, die es nicht aus ihrer Wohnung schaffen, weil sie eine Panikstörung haben oder aus anderen Gründen nicht mobil sind. Leute, die viel auf Geschäftsreisen sind, können die Therapie über Video fortführen. Aber persönlicher Kontakt ist immer besser.

Spielt das Händegeben eine wichtige Rolle, der Körperkontakt?

Klar, man kommt sich zweimal näher, vor und nach der Sitzung, begrüßt und verabschiedet sich. Das wird jetzt erstmal ein paar Monate wegfallen. Aber es ändert sich noch mehr durch Corona. Ein Kollege berichtete mir von einem Patienten, der stark hustete und sich dabei nicht einmal die Hand vorhielt. Mit meinem Kollegen ist es dann durchgegangen, er hat seinen Patienten hart konfrontiert: „Was fällt Ihnen ein!“ Weil er auch selber angespannt ist, er hat ein kleines Kind zuhause, die Großmutter wohnt mit im Haus. Die Situation sorgt zwischen Therapeut und Patient für Misstrauen.

Ist es ein Problem, wenn der Therapeut auch verunsichert ist durch Corona? Wenn er die Ängste seines Patienten teilt?

Wenn mich die Verunsicherung durch Corona stark auffressen würde, könnte ich nicht mehr gut arbeiten. Denn in der Therapie geht es ja auch darum, die Ängste des Patienten auszuhalten, wir nennen das: Containen. Es ist zudem wichtig, zwischen neurotischer Angst und berechtigter Angst zu unterscheiden. Angst hat teils ja eine sinnvolle Funktion: Uns zu schützen.

Und ist Ihnen in der Coronakrise schon klar, wo die Grenze liegt zwischen realer und neurotischer Angst?

Nein! Das ist wirklich gar nicht so einfach. Und da fehlt mir als Therapeut und auch als Privatperson Information, ich weiß nicht, wie es weiter geht. Mit der Pandemie, mit den ökonomischen Entwicklungen. Es ist alles unklar.

Wie gehen depressive Leute oder Patienten mit Angststörungen mit dieser Unklarheit um?

Zwei meiner Angstpatienten haben bereits früh auf den Corona-Ausbruch reagiert und sind von sich aus nicht mehr gekommen. Aber es ist nicht gesagt, dass eine Depression durch die Situation zunehmen muss. Möglich ist auch, dass so eine Extremsituation neue Kräfte und Ressourcen aktiviert und andere Probleme relativiert. Das lässt sich nicht verallgemeinern, Menschen reagieren sehr unterschiedlich.

Die Coronakrise muss Menschen also nicht zwingend destabilisieren?

Die Coronakrise kann vieles ändern, sie löst auch Druck auf Partnerschaften aus. Home Office zu machen, und die Kinder sind da. Sich als Paar nicht aus dem Weg gehen zu können. Auch: die wirtschaftliche Belastung. Das beschäftigt meine Patienten stärker als das allgemeine Verzweifeln an der Welt. Und mich auch.

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