„Ich hasse Juden so sehr“ – solch ein platter, direkter Antisemitismus gilt nach dem Holocaust als in Deutschland nicht mehr sagbar. Antisemitismus wechselt seine Form, sagen Forscher. Anstelle des puren Judenhasses tritt etwas, das „sekundärer Antisemitismus“ genannt wird: die Gleichsetzung der israelischen Besatzungspolitik in palästinensischen Gebieten mit dem NS-Regime etwa, oder die Kritik am „Opferstatus“ der Juden, eine Täter-Opfer-Umkehr. Eine am Mittwoch vorgestellte Studie der Allgemeinen Linguistik an der TU Berlin widerspricht diesem Forschungsstand jetzt. Im Internet nehme seit zehn Jahren Antisemitismus stark zu – und zwar durchaus in seiner klassischen Form. Nicht nur in sozialen Medien – auch in Online-Foren wie Hausaufgaben.de oder in den Kommentarspalten der Tagesschau, der Süddeutschen oder der FAZ. Zitiert finden sich antisemitische Hassreden wie „Die Zionistenclans sind die Pest der Welt“ oder „Weil die Juden ein verdorbenes und entartetes Volk sind“. Führt der Rechtsruck also nicht nur zu einer Normalisierung von Sexismus und Rassismus – sondern bringt er auch den Antisemitismus zurück?
Die Leiterin des linguistischen Forschungsteams der TU, Monika Schwarz-Friesel, meint: nein. Denn erstens war er nie weg, und zweitens ist es nicht die politische Rechte, die den Antisemitismus im Netz dominiert – er kommt aus der gesamten Gesellschaft. Untersucht wurden verschiedene große Debatten, darunter die über Beschneidung im Jahr 2012 (23 Prozent antisemitische Kommentare), über den Gaza-Krieg 2014 (ebenfalls 23 Prozent) und über Gabriels Gleichsetzung der israelischen Politik im Westjordanland mit einem Apartheidsstaat 2017 (30 Prozent). Für die Auswertung der Kommentare zu diesen Debatten wurde eigens ein Programm namens „Crawler“entwickelt. Das Ergebnis: Die Anzahl antisemitischer Kommentare im Netz hat sich in zehn Jahren verdreifacht. „Das Web ist heute insgesamt der Hauptmultiplikator für Antisemitismus in unserer Gesellschaft", sagte Schwarz-Friesel.
Hinter dieser Zunahme macht sie jedoch keine rechten Trolle aus, die koordiniert Antisemitismus verbreiten, wie dies in sonstigen Untersuchungen zu Hate Speech im Netz der Fall ist. Das gäbe es zwar auch, so Schwarz-Friesel, doch die Kommentare kämen insgesamt aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. In der radikalen Linken basiere der Antisemitismus auf „Antizionismus“, der Antisemitismus der gebildeten Mittelschicht sehe die israelische Politik als verantwortlich für Antisemitismus, muslimischer Antisemitismus setze Israel als Unrechts- und Unterdrückerstaat – und vermische dies mit NS-Vergleichen und entmenschlichenden Metaphern wie „Krebsgeschwür“, „Pest“ oder „Dreck“.
Diese Vermischung ist es, die die Studie der Linguist*innen stark machen. So würde Israel als Staat auch da kritisiert, wo er gar keine Rolle spiele, etwa in der Debatte über Beschneidung in Deutschland, in der auffällig häufig der Verweis auf den israelischen Staat gefunden wurde. In der Gaza-Debatte vermischten sich klassisch antisemitische Kommentare (40 Prozent) mit sekundär antisemitischen Kommentaren (14 Prozent) und israel-bezogenen Antisemitismen (46 Prozent).
Was sehr trocken wissenschaftlich klingt, taucht im Netz dann so auf: „Ich unterstütze keine Mörder ... Israel ist der Teufel der Neuzeit“.
Der klassische Antisemitismus macht der Studie zufolge 54 Prozent der Kommentare aus, in denen Antisemitismus festgestellt wurde. Nun kann man gegen die Methodik der Linguisten aus soziologischer Perspektive durchaus Kritik üben. Wie ist es etwa möglich, die gesellschaftlichen Gruppen, die hinter diesen Kommentaren stehen, trennscharf zu charakterisieren? Woher weiß man, ob nicht, wie sonst so häufig im Netz, gezielt Rechte am Werk sind, die mit mehreren Accounts die Kommentarspalten manipulieren und Antisemitismus streuen?
Die sprachwissenschaftliche Sicht, mit der das Forscherteam der TU an die Studie herangegangen ist, hat jedoch auch einen Vorteil. Sie erlaubt es, aufzuzeigen, dass jahrhundertealte antisemitische Sprachbilder weiterhin Bestand haben und angewandt werden. „Der Antisemitismus ist so tief in der Gesellschaft verwurzelt, dass nicht einmal der Holocaust flächendeckend eine Zäsur bringen konnte“, sagt Schwarz-Friesel am Ende der Studienvorstellung. Das Gefährliche an der aktuellen Entwicklung: Im Gewand des „sekundären Antisemitismus“ werde Antisemitismus enttabuisiert, also immer offener sagbar.
Ob es bei dem Sagbaren bleibt und nicht sogar in das Handelbare umzuschlagen droht, diese Frage stellt sich aktuell in Niederösterreich. Hier schlägt der FPÖ-geführte Landesrat für Tierschutz Gottfried Waldhäusl vor, das Schächten von Tieren zu verbieten, das für koscheres Fleisch notwendig ist. Der Vorschlag kommt übrigens nicht einfach „von rechts“, sondern geht offenbar auf Waldhäusls Vorgänger Maurice Androsch zurück – einen SPÖ-Politiker. Da Jüdinnen und Juden jedoch auch in Österreich das Ausüben ihrer Religion verfassungsmäßig verbrieft bekommen, soll nur ihnen erlaubt sein, koscheres Fleisch zu kaufen: indem sie namentlich registriert werden – auf einer Liste.
Was kann gegen den offener zutage tretenden Antisemitismus unternommen werden? Schwarz-Friesel merkt an, dass es nicht mehr reicht, Schüler*innen Filme über den Holocaust zu zeigen – der erhobene Zeigefinger aktiviere nur den Abwehrreflex. Es müsse gelingen, emotional an antisemitische Reflexe heran zu kommen – nicht rational. Sie empfiehlt "sapere aude", ein Projekt, das junge Jüd*innen in Deutschland für Youtube-Shows fördert. Koscher Kochen im Netz gegen den Antisemitismus? Wie viele Shakshuka müssen wohl gekocht werden, um Listen-Phantasien aus deutschen und österreichischen Köpfen zu vertreiben?
Ergänzung: Inzwischen ist in Niederösterreich zwischen FPÖ und SPÖ ein Streit darüber entbrannt, wer Urheber des Vorschlags zur Eindämmung von Schächtungen ist. Der ehemalige SPÖ-Landesrat Maurice Androsch erklärte am Donnerstag, dass sein Vorhaben nichts mit dem aktuellen Plan der FPÖ zu tun habe: er habe lediglich die Personen registrieren wollen, die Schlachtungen durchführen, nicht die Käufer des koscheren Fleischs.
Kommentare 39
könnte man dem anti-semitismus in deutschland nicht beikommen,
wenn man rassisten einfach aus-bürgert, in ein land ihrer wahl?
Interessant wäre, wie die "A"fD dann einen "Menschenrechts"-Ballon aufblasen würde.
Geht das denn -- ausbürgern in die BZ (Befreiten Zonen) ?
Das Elend ist das Sich über andere erheben. Ob Auserwähltes Volk Gottes oder Herrenrasse. Systemischer SuperGAU -
Ein in vieler Hinsicht fragwürdiger Beitrag. Die Validität der Erhebungen ist nicht erkennbar und gibt zu großen Zweifeln Anlaß. Wieso soll bspw die Debatte um die Beschneidung für den Antisemitismus herhalten? Meines Wissens betraf sie hauptsächlich afrikanische muslimische Gesellschaften. Und wieso die Debatte um das Schächten? Ist das nicht zuvorderst ein Anliegen von Tierschützern? Mag sein, daß es da eine antisemitische Komponente gibt, das wäre aber erst mit einer korrekten Erhebungsmethode festzustellen.
Der größte Einwand ist aber die fehlende Berücksichtigung eines allgemeinen Trends der Verrohung und Polarisierung, der überall zu beobachten ist, man denke an die Wutkommentare zu einem Gedicht an einer Hauswand, das Pro und Contra zur veganen Ernährung, die Meetoodebatte, die Skandalisierung Sahra Wagenknechts, hier mal wieder mit der AS-Keule, die nicht gegen den AS, sondern rein zur Delegitimation des Gegners geschwungen wird. Und auch in diesem sehr zivilisierten Forum kommt es zu unglaublichen Entgleisungen. Man müßte also untersuchen, was an dem scheinbaren Anschwellen des AS tatsächlich ein sich verschärfender AS, und was nur eine allgemeine Verrohung der Debattenkultur ist. Die inflationäre Verwendung von Nazisprache, also von Vokabeln aus dem AS-Repertoire, wäre in letzterem Fall kein Indiz für anschwellenden AS, sondern für die Fungibilität von emotionsgeladenen, verbotenen, maximal wirkungsvollen Sprachelementen.
Mir scheinen heute andere Formen des Rassismus als der AS im Vordergrund zu stehen, und da fragt man sich, warum der AS so hochgespielt werden muß.
"die Kritik am „Opferstatus“ der Juden, eine Täter-Opfer-Umkehr"
Das scheint zu implizieren, dass das, was im dritten Reich mit der jüdischen Bevölkerung Europas geschah, für alle Zeit einen Persilschein für alles aussteltt, was israelische Politik für notwendig erachtet. Das wiederum wäre eine so dumme Strategie der Immunisierung/Autoimmunisierung, dass es verwundert, wenn eine so kluge Frau wie Sie, Frau Köster, darauf zurück greift.
Schaun wir mal: Ich, Lethe, bin für die Unverfügbarkeit der Existenz des Staates Israel, für das Recht auf Unverletzlichkeit jedes einzelnen Bürgers Israels und jedes einzelnen Mitglieds der jüdischen Religionsgemeinschaft weltweit. Ich fand es seinerzeit ungeheuerlich, dass deutsche Richter sich anmaßten zu verfügen, die Beschneidung männlicher Neugeborener der jüdischen Religionsgemeinschaft in Deutschland dürfe Gegenstand deutscher Rechtsspechung sein, genauso wie die Diskussion um Schächtung. Ich weiß, dass Auschwitz und andere Ausrottngslager existierten und arbeiteten und dass die Shoah Teil eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte war.
So. Ist das nun alles wertlos, weil ich mit vielen Details israelischer Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten nicht einverstanden bin? Weil ich viele Vorgehensweisen der israelischen Armee oder der israelischen Geheimdienste als genau so obszön empfinde wie das, was sich palästinensische Terroristen/Freischärler/Wiederstandskämpfer/Aktivisten leisten? Und das bei Gelegenheit auch so benenne?
Was hätte denn das eine mit dem anderen zu tun? Sie argumentieren mit Untersuchungsergebnissen, die zeigen, dass die Kritik an israelischer Politik oft auch in Debatten einfließt, die damit überhaupt nichts zu tun zu haben scheinen. Ist Ihnen der Begriff "Zusammenhänge" bekannt? Oder haben Sie den Eindruck, Diskussionen im Themenbereich jüdischer Religion könnten unabhängig von allem, was in der realen Welt, speziell in Israel geschieht, im luftleeren Raum geführt werden?
Sehe ich ganz genauso. Ergänzend möchte ich hinzufügen, das der AS-Begriff m.M. nach zu einem Totschlagsargument verkommen ist. Wer das A-Wort verwendet, scheut sich offenbar das auszusprechen, was sich dahinter eigentlich verbirgt, nämlich Judenhass. Warum das aber nicht so ausgesprochen wird und hinter der Klausel AS verborgen wird, ist mir unklar. Das sich in Nahost z.B. zwei semitische Völker in Unversöhnlichkeit gegenüberstehen, ist hierfür jedenfalls keine Erklärung.
In dem Zusammenhang möchte ich an die Hasspropaganda der deutschen Bundesregierung zur Einführung des Hatz4-Systems erinnern. Da haben auch Viele, die es noch nicht getroffen hatte nachgehasst, was ihnen die "S"PD/Grün-Regierung vorgehasst hatte. Oder die "faule Griechen"-Kampagne. Oder die Kampagne gegen einen Bundespräsidenten, bei der fast niemand fragte, ob Andere nicht viel eher an den Pranger zu stellen wären, wenn man schon anprangert.
Ja, die Bereitschaft zum verbalen Dreckschleudern ist hoch. Ganz allgemein gegen beliebig an- und abschaltbare Feindbilder.
Mit dem Begriff des "Volkes" kann ich nichts anfangen. In Nahost stehen sich zwei Nationen, in Teilen zwei Religionsgemeinschaften gegenüber.
"Für die Auswertung der Kommentare zu diesen Debatten wurde eigens ein Programm namens „Crawler“entwickelt."
Mein Nachbar sagt, er gibt nichts mehr auf dieses Forschungsfeld seit Trump zu kritisieren den Tatbestand des Antsemitismus erfüllt.
Netanjahu findet er aber sehr gut. So friedliche und einigende Politik wünscht er sich auch für Deutschland.
"Ist das nun alles wertlos, weil ich mit vielen Details israelischer Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten nicht einverstanden bin?"
Der "Crawler" hat angeschlagen. Ihre Frage ist antisemitisch.
"Wieso soll bspw die Debatte um die Beschneidung für den Antisemitismus herhalten?"
Man könnte noch etwas ganz anderes fragen, ob nämlich der Vorwurf des Antisemitismus nicht selbst antisemitisch ist. Klingt zunächst absurd, die Argumentation dazu ist folgende:
Wenn ich mit der Politik der deutschen Bundesregierung nicht einverstanden bin, bin ich dann ein Antigermane? Auf die Idee kommt niemand, ich bin vielleicht renitent, vielleicht ein kritischer Staatsbürger, vielleicht zu dumm, um diese Politik zu verstehen. Whatever, aber niemand, wirklich niemand kommt auf die Idee, mich dafür mit einer Charakterisierung aus der tiefsten Finsternis früherer Volks- und Rassenlehren zu belegen. Nein, auch nicht, wenn wir es großzügig als Anspielung auf eine Sprachfamilie auffassen. Antigermane gibt es nicht in unserem modernen Denken innerhalb neuer, moderner Organisationsformen menschlichen Mit- und Gegeneinanders.
Beim Semiten - wenn es einen Antisemiten geben soll, muss es aus Logikgründen einen Semiten geben - scheint das anders zu sein. Der moderne israelische Bürger, der moderne Angehörige der jüdischen Religionsgemeinschaft, wird mit einem Begriff aus der tiefsten Rassismus-Hölle belegt. Und noch nicht mal die anscheinend Wohlgesinnten stutzen.
***
Sie haben Recht. Mein Ansatz zielt allerdings auf den Begriff "Antisemitismus", der eigentlich sowohl Juden, als auch Araber beträfe, obwohl jeder weiß, das es vorrangig um Hass auf Juden geht und man damit das eigentliche Problem "umschifft".
Den Maßstab für die Auseinandersetzung zu Antisemitismus und Israelkritik setzt für mich immer noch die, dfg-finanzierte, entsprechende Studie von Prof. Wilhelm Kempf.
https://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?artikelID=1887
Hierin zeigt W. Kempf, dass neben der politischen Rechten antisemitische Vorurteile vor allem in den Reihen der deutschen Israelfreunde zu finden sind.
Angesichts der doch sehr einseitigen Darstellung der obigen Studie hege ich die Befürchtung, dass die Erkenntnisse von W. Kempf nicht bis zu den Autoren der Berliner Studie vorgedrungen sind. Jedoch für eine echte Methodenkritik sind die mir vorliegenden populären Informationen nicht ausreichend.
Laut der vorliegende Darstellung erscheint es mir zudem so, dass die obige Studie den Antisemitismus als eine vom Rassismus verschiedene und damit unabhängige Einstellung diskutiert. Die Frage inweiweit sich auch rassistische Einstellungen geändert und verbreitet haben, inwieweit sich die Debattenkultur verunsachlicht hat, stellt die Studie offensichtlich nicht, so dass der Zusammenhang zwischen Rassismus und Antisemitismus völlig unbeleuchtet bleibt.
Vielmehr scheint es so, dass mit dem Verweis auf den angeblich objektiverbaren Crawler der Studie ein technokratisches Wissenschafstverständnis zu Grunde liegt. Die Tatsache, dass die Studie auf einem von Menschen geschriebenes Computerprogramm mit von Menschen entwickelten Selektionsmechanismen inklusive der dadurch eingebrachten impliziten politischen und wissenschaftlichen Vorannahmen beruht, steht so außerhalb der Diskussion.
Letztlich geht es wohl um die Xenophobie der Kleingruppe, die im Sammler- und Jägermilieu stets um ihr Überleben fürchten musste, wobei die größten Gefahren nicht von Wildtieren, sondern anderen Kleingruppen ausging. Die Organisationsstruktur hat sich überlebt, die psychische Disposition ist geblieben, auch wenn sie mittlerweile kulturell überformt wurde. Nur dass die Überformung nicht bei allen Menschen stark genug ist. Xenophobie ist ein Grundleiden der Menschheit.
Wahrscheinlich werden wir noch erleben, wie sich die Rechte zum Philosemitismus aufschwingt. Amerika läßt grüßen. Dann ist endgültig die Gleichung AS = nonAS etabliert. Heute braucht man noch ein bißchen Nachdenken, um das zu verstehen.
Die emphatische Bejahung einer Identität ist die Verachtung aller anderen Identitäten.
gemein-schaft schafft nicht nur gelegenheit, gegen andere gemein zu sein.
in vertrauter atmosphäre gelingt erst ko-operation, arbeits-teilung,
produktivitäts-steigerung.
und handel mit weniger bekannten tausch-partnern
erfordert deren gemein-schafts-bildung für nach-haltige beziehungen.
oda?
identität wird im kontakt mit anderen entwickelt.
die behauptung auf dem lokalen markt macht die lokale identität,
die über die familiäre hinaus-geht.
das wissen um erprobte kompetenz/anerkennung macht das selbst-bild.
der vergleich ist un-um-geh-bar.
Identität entsteht objektiv und subjektiv, ist Selbstkonstitution. Subjektives und Objektives können dabei in mehr oder weniger starkem Konflikt stehen, wie sie in Korrespondenz stehen. Die Qualität der Identität hängt nicht unwesentlich von der Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik ab, ist reflexiv. Daher gehört das Vergleichen zu einer qualifizierten Identität. Aber weder trägt Anerkennung per se zu einer vertretbaren Identität bei, noch ist der Vergleich unumgehbar, was einem Mangel an Reflexion entspricht, noch führt das Vergleichen automatisch zu einer vertretbareren Identität.
Überidentifikation führt zu einer problematischen, destruktiven und selbstdestruktiven Identität, sei es mit sich, sei es mit anderen, sei es mit einer Fremdidentität, das war mit emphatischer Bejahung der Identität gemeint.
- der persönl.vergleich kann ein selbst-gewählter oder eine widerfahrnis sein.
in gesellschaft ist er un-um-gänglich.
durch reflexivität gewonnene identität kann folgen, folgt/ergänzt
die soziale/familiale/tribale fest-stellung/fixierung.
ist selbst-ermächtigte selbst-findung
in absetzung von fremd-zuschreibungen. oder?
- sich als teil von etwas zu feiern,
wovon man nur ein verschwindendes ist,
am stolz als mitglied einer "imagined community "(-->en.wiki)
teilzuhaben, ist immer frag-würdig.
ich wünsche ein schönes wochen-ende!
leichterer zugang: dt. wikip.--> benedict anderson.
Identität ist eine Illusion, und zwar eine dumme.
All diese Vorstellungen und Ziele sind kontingent, können sein, müssen nicht sein. Nichts davon ändert das geringste an primordialen Prägungen.
Das, lieber Lethe, war jetzt eine dumme Bemerkung. Identität ist ein sozialer und individualpsychologischer Sachverhalt. Man kann sich enorm über sich selbst täuschen, sich eine Identität zuschreiben, die man nicht hat, und völlig übersehen, welche man tatsächlich hat. Ebenso kann das Fremdurteil über eine Identität grotesk falsch sein. Aber zu behaupten, Identität sei nichts Reales ist so unsinnig wie die Behauptung, daß es die Bedeutungen, die wir Dingen oder Sachverhalten geben, nicht gibt, weil die Dinge und Sachverhalte nur das sind, was sie sind, unsere Bedeutungszuschreibungen reine Fiktion. Das ist plattester Positivismus. Die erste und grundlegendste Identität ist die biologische Identität eines Lebewesens, die raum-zeitliche Innen-Außen-Differenz. Ein menschliches Individuum ist darüberhinaus immer in seinen Haltungen, Routinen, Fähigkeiten usw von anderen zu unterscheiden, es gibt nicht einmal identische eineiige Zwillinge. Wenn Sie nur sagen wollten, daß es keine starre Identität gibt, haben Sie selbstverständlich recht, das müssen Sie dann aber auch so sagen. Und auch die strukturalistische Kritik an der Identität ist maßlos übertrieben. Richtig ist: Wir gehen nie auf in der Identität, die wir in einem Moment haben, allerdings wird mit dem Alter das Sein immer dominanter gegenüber dem Werden, die Identität erstarrt. Ihre Identität halte ich für sehr stabil, wie die meinige auch.
Du erinnerst mich gerade ein bisschen an den Anfang vom Glasperlenspiel. Ich habe es gerade nicht zur Hand, aber die Passage, die ich meine, spricht von Dingen, die dadurch, dass gute und fromme Männer sie im vollen Ernste so handhaben und mit ihnen umgehen als gäbe es sie, eine Existenz erlangen, die ihnen aus sich selbst heraus nicht zukommt ... wenn du mich fragst, an der Stelle ist Hesse ums Haar an seinen eigenen Erhabenheitsgefühlen erstickt^^
Identität, tja. Mein Körper, Veränderung seit der Geburt, zumindest für den Zeitraum, den ich bewusst wahrzunehmen imstande bin, verbürgt. Wissen - ständige Veränderung, dasgleiche für Ideen, Gedanken, Lebenskonzepte. Immer wieder neue Wohnorte, immer wieder neue Wohnungseinrichtungen, immer wieder andere Bedingungen, unter denen es galt, mich zurechtzufinden ... ah, Moment, ich habe es, das Trumpf-Ass der Essentialisten^^ Das ewig "ich" sagende ICH. Armes Ich. Mein Ich erkennt am Abend nicht, wer und was es am Morgen war, und am Morgen nicht, wer und was es am Tag zuvor war. Veränderung. Nicht großartig, aber immer wieder, und stetig. Und die Veränderung greift viel tiefer, ist viel umfassender als das, was ich hier davon beschreibe^^ Kausalitäten, die ich in Gang gesetzt habe, die auf mich rückwirken, Konsequenzen, die mich verändern ... very sorry, aber ich muss dich leider auf deinem "sozialen und individualpsychologischen Sachverhalt" sitzen lassen, ich finde ihn nicht wieder in meinem Leben.
Das einzige in meinem Leben, was die Stasis ewig unveränderlicher Identität behauptet, ist ein Stück Kunststoffpappe, auf dem etwas notiert ist, dass sich Staatsbürgerschaft nennt. Noch so ein suspektes Konzept aus dem Völkisch-Nationalen^^
so what?
wikip.-->ursprüngliche bindung.
Und Du erinnerst mich an Ulrich, den Mann ohne Eigenschaften, den Triumph des Kapitalismus, den manche für den Triumph der Zivilisation halten. Ich bin da ganz ambivalent. Aber ich glaube nicht an den Triumph. Lethe als heiterer, leichtsinniger Sunnyboy? Never!
Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen. Der Satz ist mindestens so falsch, wie er in einem trivialen Sinn richtig ist. Man lege mir Kommentare von Lethe, Columbus, Pleifel, Aussie, Endemann (vielleicht erinnere ich mich nicht mehr daran, sie geschrieben zu haben) vor, ich werde sie richtig zuordnen können. Oder Kompositionen von Strawinsky, Schönberg, Hindemith, Henze (Serielle ausgenommen); es dürften ein paar Takte reichen zur Identifizierung (von mir unbekannten Werken). Und Stil und Sujet machen viele Schriftsteller erkennbar. Das ist Identität. Daß man sich immer wieder neu erfinden könne, halte ich für eine Illusion der Naiven, die durch die psychologische Wissenschaft nicht gedeckt ist. Ein Amerikanismus, von dem Du meilenweit entfernt bist.
achtung!
auch das set von meinungen,das jemand von sich gibt,
ist identitäts-bildend. oda?
das sich-neu-erfinden geschieht auf erkennbaren grund-lagen.
wieder-geborene, gehäutete, gewendete: wie aus-gewechselte
wechseln oft nur die seite (saulus-->paulus), bleiben gläubige.
und in unserem inneren: sind wir ganz anders.
in uns schlummert der gute kern.
wir sind ja keine zwiebeln, die häutungen nicht überstehen!
<das sich-neu-erfinden geschieht auf erkennbaren grund-lagen.>
Erkennbaren vielleicht, aber meistens irrealen. Wirkliche Neuorientierungen, das gesamte Sein betreffende Einstellungsänderungen, Paradigmenwechsel, sind im Menschenleben die seltene Ausnahme. Renegaten zeichnen sich durch Überidentifikation mit der bisherigen Gegenseite aus, also oft durch noch größere Einseitigkeit (das sind die gehäuteten Gläubigen).
Leben steht ständig unter einem mehr oder weniger starken Anpassungsdruck, und daher in differentiellen Anpassungsprozessen, deren Grundlage aber eine stabile Grundanpassung ist. Dafür ist das angemessene Bild die schwachvariable Identität. Das lustige an Lethes Vorstellung ist ja, daß er bei seiner Zurückweisung einer Identität genau diese Identität voraussetzt. Wenn er morgens in den Spiegel schaut und nicht mehr den alten Adam vom Vorabend wiedererkennt, wundert er sich zwar über diese Fluidität, würde er aber tatsächlich denken, wie er es vorgibt, würde er nicht fragen „bin ich das wirklich?“, sondern einen neuen interessanten Zeitgenossen begrüßen. Damit würde er im Spiegeltest versagen, den viele Tiere spielen bestehen. Diese Naivität unterstelle ich Lethe nicht, er kokettiert nur mit der Dekonstruktion von Identität.
Du weißt, was eine persona ist, eine Maske. Was du beschreibst, subsummiere ich unter dieser persona. Ich gestehe, dass manche der Strukturen einer persona sich stärker verfestigen als andere, aber sie alle sind Gegenstand einer meist sanften, gelegentlich auch abrupten Änderungs-Drift. Und würdest du mich in anderen Kontexten erleben, würdest du kaum auf die Idee kommen, die Lethe-Persönlichkeit sei wesentlicher Aspekt der Identität des Menschen, der sie trägt.
Wir, jeder einzelne Mensch ist die Auswahl, die er/sie situativ aus dem Total aller Möglichkeiten trifft.
das "total aller möglichkeiten" ist sozial vor-sortiert.
wenn man die auswahl treffen könnte, gegen alle ein-schränkungen,
würde wahl-freiheit herrschen, emanzipation: überflüssig.
ich sprach auch nicht darüber, wie die Auswahl zustande kommt, sondern dass Menschen die jeweilige Auswahl sind
Ich möchte dieses Blog nicht mit einem fremden Thema behelligen, in das wir hineingeraten sind (das ich nichtsdestotrotz für spannend halte). Daher gestatte ich mir nur noch die Bemerkung: Daß „die Lethe-Persönlichkeit“ kein „wesentlicher Aspekt der Identität“ von Lethe ist, ist logisch, wenn Lethe keine Identität besitzt. Aber der Begriff Identität wird sogar in der Mathematik praktisch nur als Partialidentität und in Gestalt der Funktionen als Fließidentität gebraucht. Warum also hat Lethe nicht vermöge seiner Persönlichkeitsstruktur eine Identität (die dramatis personae sind spätestens seit Shakespeare sehr lebendig), einen Identitätskern, der bei aller zeitlichen Variation stabil ist, aber auch eine Drift haben darf. Willst Du tatsächlich die Identität aus dem (alltäglichen oder wissenschaftlichen) Denken und Beschreiben eliminieren? Was bleibt dann übrig?
"Was bleibt dann übrig?"
Ganz kurze Antwort: Du erinnerst dich vielleicht, dass ich dem Buddhismus nahe stehe. Vor diesem Hintergrund sind meine Aussagen zu verstehen. Was ist, ist Illusion.
Ex-Verfassungsschutzpräsident Roewer: „Hut ab, Herr Maaßen, das ...Epoch Times (Deutsch)-29.11.2018
"Ja, die Bereitschaft zum verbalen Dreckschleudern ist hoch. Ganz allgemein gegen beliebig an- und abschaltbare Feindbilder." Gibt es auch hier!