Chaos am Nil

Ägypten Morsi, al-Baradei und der Rest

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Die Lage in Ägypten spannt sich zu. Präsident Morsi wird vorgeworfen, der „nächste Mubarak“ zu werden. Die Opposition ist wütend und belagert den Tahrir-Platz. Westliche Medien ziehen es wieder einmal vor, vor einem baldigen „Islamistenstaat“ zu warnen.

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Vor zwei Wochen übertrug Mohammad Morsi mit einer umstrittenenVerfassungserklärung die Macht der Justiz auf seine Wenigkeit. Bis dahin hatte noch die ägyptische Justiz das letzte Wort, von nun an hat dies jedoch der Präsident. Des Weiteren besagt der neue Abschnitt der Verfassung, dass der Präsident die nötigen Maßnahmen ergreifen muss, um den Staat zu schützen und um die Ziele der Revolution zu erreichen.

Zugegeben, Morsis Handeln ist in vielerlei Punkten zu kritisieren. Bevor man jedoch Kritik an den Tag bringt, muss man über die Hintergründe Bescheid wissen. Das ägyptische Verfassungsgericht war schon immer ein mächtiges Staatsorgan. Allerdings spricht das Verfassungsorgan nicht nur Recht und Unrecht, sondern macht auch eigenständige Politik. Diese Politik war meistens alles andere als im Interesse des Volkes. So hatte zum Beispiel das Verfassungsgericht im Juni/Juli 2012 das erste demokratisch gewählte Parlament Ägyptens für „illegal“ erklärt.

Die unabhängigen Präsidentschaftskandidaten waren dem Gericht anscheinend nicht unabhängig genug, deshalb wurde auf diese Maßnahme zurückgegriffen. Im Grunde genommen war man einfach nicht mit dem Wahlergebnis zufrieden. Dadurch wurde der Weg für den mächtigen Militärrat geebnet. Dieser Militärrat besteht unter anderem auch aus ehemaligen Mubarak-Leuten. Der Vorsitzende des Rates, Generaloberst Abdel Fattah al-Sisi, wurde unter anderem aufgrund der sogenannten„Jungfräulichkeitstests“ während der Revolution bekannt.

Die ägyptische Justiz war stets auf der Seite des Militärs. Demnach hat Morsi nicht nur ein Staatsorgan geschwächt, sondern auch einen politischen Gegner entmachtet. Natürlich ist dieser Gegner alles andere als glücklich damit. Deshalb boykottieren Richter ihre Arbeit, während sogenannte Liberale und Sozialisten gegen Morsi hetzen und ihn als tyrannischen Islamisten propagieren.

Es liegt auf der Hand, dass die Opposition die Lage für sich ausnutzen will. Allerdings wird in den Medien ein verzerrtes Bild der Lage dargestellt. Man sieht den überfüllten Tahrir-Platz und hört etwas von 300.000 Demonstranten, die der Meinung sind, der Präsident habe die Revolution verkauft. Morsi hat die Macht auf sich übertragen, keine Frage. Allerdings hat er eine Richterdiktatur aus dem Weg geschafft, die sich gegen alles und jeden in den Weg setzte, was ihr nicht in den Kragen gepasst hat, auch gegen Demokratie.

Des Weiteren warnen Spiegel-Online, die Welt und Co. wieder einmal vor den „bösen Islamisten“, die Ägypten über den Haufen rennen werden und eine „brutale Scharia-Diktatur“ errichten wollen. Es ist merkwürdig, dass die Anhänger eines demokratisch gewählten Präsidenten allesamt als „Islamisten“ abgestempelt werden. Bei der Stichwahl im Mai 2012 stimmten knapp 52 Prozent der Wähler für Morsi, insgesamt über dreizehn Millionen Ägypter. Man kann sagen was man will, aber Mohammad Morsi wurde vom Volk gewählt. Die entmachteten Richter des Verfassungsgerichts hingegen wurden während der vorrevolutionären Ära allesamt von Mubarak ernannt.

Einfach gesagt spielt sich in Ägypten ein Machtkampf ab, der langsam außer Kontrolle gerät. Es geht darum, ob der demokratisch gewählte Präsident die Macht behält oder die säkularen Überbleibsel der Mubarak-Diktatur. So wie einst Mubarak vom Westen gestützt wurde, so ist dies gegenwärtig bei der Opposition der Fall. Man will aus der ganzen Sache möglichst viel Profit machen, indem man auf eine einseitige Berichterstattung und unnötige Panikmache setzt. Dazu werden noch Personen wie der von den Massenmedien ernannte Oppositionsführer Mohammad al-Baradei hochstilisiert, während man den Rest, der noch ganz nebenbei die Mehrheit ausmacht, zu zurückgebliebenen Muslim-Brüdern und deren fanatische Anhänger degradiert. Der Friedensnobelpreisträger und ehemalige IAEA-Chef mag zwar ein kluger, liberaler Mann sein, doch in diesem Fall ist er höchst politisiert, indem er das einseitige Spiel mitspielt.

Nichtsdestotrotz sind die gewaltsamen Ausschreitungen am Tahrir-Platz scharf zu verurteilen. Diesbezüglich kann man jedoch nie genau wissen, inwiefern fremde, ausländische Unruhestifter beteiligt sind. Die islamische Al-Azhar-Universität rief Morsi auf, sein Dekret zurückzunehmen. Nur so könne ein Dialog möglich sein. Währenddessen plant der Präsident, das Volk über die Verfassungserklärungabstimmen zu lassen. Für den Westen ist Morsi ohnehin unverzichtbar. Dies hat sich während der jüngsten Angriffe auf den Gaza-Streifen bestätigt. Die Vermittlerrolle des ägyptischen Präsidenten ist unersetzbar. Wie dem auch sei, die Lage am Nil wird weiterhin angespannt bleiben.

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