Die Schönheit des Stellvertreterkrieges

Politische Schönheit Die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit sind bewundernswert. Aber wie steht es mit der politischen Vision hinter der Aktionskunst?

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Das Zentrum für politische Schönheit macht gute und wichtige Arbeit. Ich finde zwar ihre Videos immer ziemlich schlecht, würde mich vermutlich auch bei ihrem Theaterstück langweilen, aber ihre Aktionen machen Eindruck und haben echte Durchschlagskraft. Vor allem: Wir brauchen sie. Sie setzen Themen auf die Tagesordnung, die in Deutschland zwar dem kritischen Teil der Öffentlichkeit großes Unbehagen bereiten, die aber trotz allem nicht wirklich umkämpft sind. Die Aktionen sind direkt, aggressiv und wenig auf die Feinheiten und Konventionen des "Diskurses" bedacht. Besonders gefällt mir diese Aktion, als das Zentrum 25.000 Euro Belohnung aussetzte, um zumindest einen der Eigentümer von Krauss-Maffei Wegmann ins Gefängnis zu bringen. Sie lenkten so nicht nur Aufmerksamkeit auf die verabscheuungswürdigen Geschäfte mit dem Terrorstaat Saudi Arabien, sie nutzten auch die Gelegenheit um die Profiteure des Ganzen genüsslich und in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Man merkt der Aktion richtig an, wie sie es genießt, diese abscheulichen Menschen zu demütigen - es ist dies eine Freude, die man sich als Aktivist keineswegs versagen sollte.
Was zu der Frage führt: Gibt es in Deutschland überhaupt Aktivisten? Vor allem Aktivisten, deren Aktivitäten darüber hinausgehen, ab und zu Schaufenster und Polizeiwagen zu zerschlagen?
Denn eines ist klar: Wenn das Zentrum für politische Schönheit die politische Avant-Garde unserer Zeit darstellt, ist das zwar rühmlich für sie - aber für unser Land ist es vor allem ein Armutszeugnis. Sie selbst sagen das ja auch: Ihr Programm des "radikalen Humanismus" sei vor allem eine Reaktion auf eine politische und moralische Krise. Es ist der Versuch, ein Vakuum zu füllen. Dabei geht es ihnen nicht nur darum, wie das ja alle wollen, die Menschen "aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln" oder ähnliches. Sie streben nach höherem: Sie wollen mit ihrer Arbeit gegen die Ziellosigkeit der postmodernen Gegenwart einen großen, veredelnden Kampf setzen - den Kampf für die Menschenrechte. Es geht ihnen darum, Fukuyama folgend, die träge blinzelnden "letzten Menschen" zu Taten echter Größe anzuleiten. Der Kampf gegen das Elend der Welt als Stimulanz gegen die Würdelosigkeit und Langeweile am "Ende der Geschichte": Die Menschenrechte als "letzte Utopie."


Ach ja, außerdem wollen sie, dass wir in Syrien einmarschieren.

Es ist vor allem das prinzipielle Eintreten für humanitäre Kriegseinsätze, das mich etwas misstrauisch macht. Kriege für die Menschlichkeit, hatten wir davon nicht genug in letzter Zeit? In Afghanisten, im Irak, in Lybien? Und vor allem: Wie oppositionell ist eine Gruppe, die außenpolitisch ähnliche Rezepte vertritt wie Wolfang Ischinger?
Um diese Fragen zu ergründen, hilft es, sich den Text über den "aggressiven Humanismus" anzusehen, der auf der Website des Zentrums wie eine Art Manifest präsentiert wird. Ausgangspunkt dieses Textes ist die Frage, warum Demokratien unfähig sind, "große" Menschenrechtler hervorzubringen. Mit dieser Fragestellung folgen sie unmittelbar Fukuyama, dessen Name ja allgemein mit dem Triumphgeheul der 90er über den angeblichen Endsieg der liberal-demokratischen Ordnung verbunden wird, der aber tatsächlich von großen zivilisationskritischen Ängsten getrieben wurde. Im Ende aller Utopien, der mit dem Ende der Geschichte zusammenfällt, liegt ebenso schon die Gefahr des Nihilismus. Das Ergebnis ist ein post-heroisches, langweiliges Zeitalter, dem jede idealistischen Energien fehlen. Nicht einmal der Kampf für Menschenrechte kann noch Menschen begeistern: "Wie ist das möglich," fragt das Manifest, "dass eine der größten Ideen der Menschheit in Deutschland derart blutleer, leidenschaftslos, langweilig und uninteressant geworden ist?" Es formuliert sich hier das Unbehagen daran, dass uns "letzten Menschen" nur noch ein kleines, unbedeutendes Leben beschieden ist. Wie glücklich ist dagegen der, dem eine Sache noch so viel bedeutet, dass der Kampf für sie ihn erfüllen kann! Und was könnte uns müde, satte Wohlstandszombies mehr erregen als die Empörung über ferne Verbrechen? Welche bessere Stimulanz, um unsere Malaise zu beenden, als ein neuer Kampf für den Schutz der Menschenrechte?
Die Ideologie des Zentrums für politische Schönheit erinnert damit an die Vordenker des amerikanischen Neokonservatismus, deren Namen von Leo Strauss und Allan Bloom bis hin zu Fukuyama im Manifest des "aggressiven Humanismus" alle fallen (eingerahmt von Herfried Münkler und Bernard Henri Lévy, um es noch schlimmer zu machen!). Den größten Einfluss hatten diese Denker, bis sie jetzt deutsche Menschenrechtsaktivisten inspirierten, vor allem auf die US-amerikanischen Vertreter einer aggressiven, ultra-imperialistischen Außenpolitik, die seit Reagan erstarkten und dann nach dem 11. September für einige kurze und katastrophale Jahre fast völlig die Kontrolle über die amerikanische Regierung übernahmen.
Auch für diese Ideologen des "neuen amerikanischen Jahrhunderts", diese Romantiker des amerikansichen Imperialismus, stand die Frage nach "politischer Schönheit" im Vordergrund. Nur schlossen sie noch viel unmittelbarer den Kampf für Ideale wie Freiheit, Demokratie und die Verbreitung der Menschenrechte mit der Bereitschaft zum Krieg kurz. Für die Neokonservativen stellte sich - lange bevor sie den Irakkrieg anzettelten - die Frage, wie man den gewaltigen Militärapparat des amerikanischen Imperiums auch nach dem Kalten Krieg erhalten konnte. Wie schafft man es, ohne das Grundgerüst eines globalen Krieges gegen ein "böses Imperium", den permanenten Kriegszustand beizubehalten? Wie schafft man es, den globalen Sicherheitsapparat aus Armee und Geheimdienst nicht nur zu legitimieren, sondern ihn auch noch weiterhin mit positiven, heroischen Emotionen zu besetzen? Mit anderen Worten: Wie kann man die Sehnsucht nach "politischer Schönheit" in den Dienst des Krieges stellen?
Gemein mit den Neokonservativen ist dem Zentrum für politische Schönheit dann auch ein Unbehagen am selbstbezogenen Genießen unseres Wohlstandes. Die westliche Dekadenz nimmt uns die Fähigkeit, uns einer Sache zu widmen, die größer ist als wir. Zwar meinen Neokonservative damit vor allem die Wehrbereitschaft, aber strukturell ist die Argumentation vergleichbar. Das Zentrum schreibt etwa, mit Bezug auf Allan Bloom:
"[Die konventionellen Menschenrechtler] kämpfen nicht um Menschenrechte. Sie schlummern für sie. Und dies trotz der Tatsache, dass ihre Klientel — Hunderte von Millionen Menschen — in Elend sterben. Statt Streiks zu organisieren, Straßen zu blockieren, Politiker zu beschimpfen und Nachrichtensender zu besetzen, sind sie Teil jener Strandurlauber, die der amerikanische Philosoph Allan Bloom so unnachahmlich beschrieben hat: „Für mich ist es ein Symbol unserer derzeitigen geistigen Situation, wenn ich mich an die Wochenschauaufnahmen von fröhlich im Meerwasser planschenden Franzosen erinnere, die ihren bezahlten Jahresurlaub genossen, den Léon Blums Volksfrontregierung gesetzlich eingeführt hatte. Das war 1936, im selben Jahr, in dem man zuließ, daß Hitler das entmilitarisierte Rheinland wieder besetzte. All die großen Dinge, die uns bewegen, laufen letzten Endes auf so etwas wie diesen Urlaub hinaus.“
Es ist also die Dekadenz unserer satten Wohlfahrtsstaatengesellschaft, die uns gleichgültig und würdelos werden lässt und unsere Bereitschaft zum Kampf schwächt. (Wozu ich anmerken muss, dass sich meiner Meinung nach die eigentliche Dekadenz darin ausdrückt, für die politische Schönheit der Urlaubspolitik der Volksfrontsregierung nicht mehr empfänglich zu sein - es handelt sich dabei um einen der Höhepunkte der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.) Unser Staat ist hässlich und klein geworden und kreist bloß noch um die materiellen Belange einer abgestumpften Bevölkerung. Was wir brauchen, ist eine Berufung, eine Mission - etwas, was unserem Staat einen neuen Glanz verleihen kann:
Politik kann Politikverdrossenheit nur aufbrechen, wenn sie den Faktor politische Schönheit ernst nimmt und Entscheidungen und Taten daran ausrichtet. Machtzentren trocknen innerlich aus, wenn es nicht über politische Poesie nachdenken (Münkler 2009: 266). Die menschliche Seele braucht das Gefühl von Größe, Schönheit, Gerechtigkeit und Anstand. Diese epochalen Gefühle vermögen sich bei der Politisierung der Sozialversicherungs-, Renten- und Gesundheitssysteme nicht richtig einzustellen. Das könnte aber der globale Schutz der Menschenrechte leisten.
Nochmal wiederholt: Das könnte der globale Schutz der Menschenrechte leisten - er könnte unserem Staat eine neue Größe und Würde verleihen, indem er ihm ein Ziel gibt, das über das bloße Verwalten unserer Gesellschaft hinausweist.
Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich der Ansicht, dass das Zentrum für politische Schönheit keine Lösung für unsere politische Krise liefert, sondern im Gegenteil ein Ausdruck dieser Krise ist. Wenn man das Manifest liest, wird da ganz schön viel um uns selbst gekreist, um unsere Befindlichkeiten, unseren Nihilismus, etc. - das, was aber tatsächlich im Zentrum stehen sollte, die Verbrechen, die überall auf der Welt begangen werden, bleibt ziemlich im Schatten. Es spielt fast eine Nebenrolle. Der Text bietet weder eine Analyse der Weltlage oder unserer Herausforderungen in ihr, noch ein Hinweis auf die Weise, auf die unsere Gesellschaft komplizenhaft in ihre Grauen verstrickt ist. Er bietet auch keine politische Vision, keine Vorschläge für eine Neuausrichtung unserer Politik - außer: das wir helfen sollen. Wie? Auf welche Weise? Was ist das Ziel?
Nimmt man dann noch hinzu, dass das Zentrum für politische Schönheit prinzipiell militärische Lösungen zur Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vertritt, aber an keiner Stelle darüber reflektiert, was die politischen Implikationen dieser Haltung sind und wessen Interessen man mit ihr unterstützt, welche Möglichkeiten man ausschließt, etc. dann ist das ein Problem. Im Universum des Zentrums für politische Schönheit gibt es weder Geopolitik noch eine Konkurrenz der Mächte - es gibt nur Verbrechen, und die Pflicht, zu handeln. Klingt irgendwie nach George Bush, oder?
Was mich stört an den Vertretern von "humanitären Interventionen" ist die Eingleisigkeit ihrer Argumentation: Du bist gegen den Krieg? Willst du etwa tatenlos zusehen, wie Assad die Zivilbevölkerung ermordet? Willst du dem Islamischen Staat nichts entgegensetzen? Glaubst du etwa nicht, dass Saddam Hussein ein Diktator war? Dass Gadaffi gestürtzt werden musste? Dass der Kommunismus ein verbrecherisches System ist? Und wo weiter und so fort.
Das humanitäre Argument beendet jede Diskussion. Es ist eine Pistole, die der Öffentlichkeit auf die Brust gesetzt wird. Die Kriegspartei will nicht, dass wir ihre Strategie grundlegend in Frage stellen, dass wir tiefgreifender überdenken, welche Außenpolitik wirklich den Frieden fördert und welche nicht. Sie will nicht, dass wir langfristig denken und uns der Geschichte der Konflikte bewusst werden. Der Kriegspartei gefallen wir verwirrt und manipulierbar, furchtvoll und ohne Bewusstsein langfristiger Zusammenhänge, gebannt auf die schrecklichen Bilder starrend, die jedes Zögern, jede Ambivalenz, jedes "Wegschauen" selbst zum Verbrechen machen.

Als im letzten Monat das fürchterliche Bild des aus Kobane stammenden Jungen um die Welt ging, der im Mittelmeer ertrunken war, was war der erste Reflex der Rupert-Murdoch-Presse? "Bomb Syria for Aylan!" Und das haben sie ja auch getan.


Was wir im Moment brauchen, sind gerade nicht neue Mittel der moralischen Erpressung, neue Katalysatoren der Medienhysterie, mit denen wir immer wieder neu dazu gebracht werden, uns der wachsenden Militarisierung unserer Außenpolitik zumindest nicht zu widersetzen. Was wir brauchen ist mehr Ehrlichkeit, mehr Transparenz in der Frage, was "der Westen" im Nahen Osten überhaupt erreichen will und welche Mittel uns dazu recht sind. Dabei hälfe uns eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Abgeklärtheit möglicherweise mehr als das Betroffenheitspathos des Zentrums für Politische Schönheit.

Die Diskussion sollte sich gerade nicht darum drehen, ob wir in Syrien gegen Assad intervenieren sollen, sondern ob es die richtige Strategie war, seit Jahren gegen ihn zu intervenieren. Und ob man den Kampf jetzt zu einem offenen Stellvertreterkrieg eskalieren lassen will.

Zum Abschluss will ich deshalb nur noch auf eine Meldung vom Juni aus der Washington Post verweisen, die bizarrerweise offenbar keine Resonanz in den deutschen Medien gefunden hat. Mit Bezug auf Dokumente, die Edward Snowden geleakt hat, ist es ihr nämlich zum ersten mal gelungen, genau den Umfang des CIA-Programmes in Syrien zum Zwecke des Sturzes Assads zu umreißen. 1 Milliarde Dollar jährlich, um eine militärische Infrastruktur im Hinterland zu organisieren, von dem indirekt selbst radikal-islamistische Milizen profitieren. Dazu die Unterstützung aller NATO-Geheimdienste, auch des deutschen. Dazu Waffen und Geld von unseren Verbündeten aus Arabien und der Türkei. Dazu Bombenangriffe auf den Islamischen Staat, und von Israel unmittelbar gegen Assad und Hezbollah. Ist das denn nicht Krieg genug? Oder ist er nicht schön genug?

At $1 billion, Syria-related operations account for about $1 of every $15 in the CIA’s overall budget, judging by spending levels revealed in documents The Washington Post obtained from former U.S. intelligence contractor Edward Snowden.
U.S. officials said the CIA has trained and equipped nearly 10,000 fighters sent into Syria over the past several years — meaning that the agency is spending roughly $100,000 per year for every anti-Assad rebel who has gone through the program.
The CIA declined to comment on the program or its budget. But U.S. officials defended the scale of the expenditures, saying the money goes toward much more than salaries and weapons and is part of a broader, multibillion-dollar effort involving Saudi Arabia, Qatar and Turkey to bolster a coalition of militias known as the Southern Front of the Free Syrian Army.
Much of the CIA’s money goes toward running secret training camps in Jordan, gathering intelligence to help guide the operations of agency-backed militias and managing a sprawling logistics network used to move fighters, ammunition and weapons into the country.
[...]
Opposition leaders in southern Syria, where the CIA-trained fighters are concentrated, said the groups have recently become better organized and more effective in their use of heavier weapons, including U.S.-made TOW antitank missiles.
[..]
Despite those gains south of Damascus, experts and officials said that the most significant pressure on Assad’s regime is in northern Syria, where the Islamic State is on the offensive. At the same time, a separate coalition of rebel groups known as the Army of Conquest has taken advantage of infusions of new weapons and cash from Saudi Arabia, Turkey and Qatar.

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