Fragende Mienen

Interviews David Ranan untersucht den muslimischen Antisemitismus und findet wenig religiöse Motivation
Ausgabe 16/2018

Seit den Demonstrationen gegen die Ankündigung von US-Präsident Trump, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, und nach antisemitischen Vorfällen an Berliner Schulen wird kontroverser denn je über einen muslimischen Antisemitismus diskutiert. Aber worüber reden wir dabei eigentlich? Der in Israel geborene Kultur- und Politikwissenschaftler David Ranan schafft mit seinem Buch Muslimischer Antisemitismus eine wichtige Grundlage für eine nötige Debatte, die jenseits der Verharmlosung, aber auch der Panikmache verlaufen sollte. Der öffentliche Diskurs über Antisemitismus unter Muslimen neigt für Ranan dazu, Schlagzeilen zu produzieren und sich von ihnen zu nähren. Die medialen Reaktionen auf die Demonstrationen am Brandenburger Tor führt er als Beispiel an. Schnell sprangen Akteure mit auf den Zug und versuchten so, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung anzugreifen, nach dem Motto: Mit den muslimischen Flüchtlingen haben wir uns einen neuen Antisemitismus ins Land geholt. Dafür, der politischen Instrumentalisierung des Problems etwas entgegenzusetzen, ist das Buch hilfreich.

Denn Ranan geht es darum, Narrative sichtbar zu machen, die oft den Diskurs und die öffentliche Meinung dominieren. Dafür hat er mit 70 Muslimen qualitative Interviews geführt. Die Befragten sind allesamt Akademiker und Studenten, die vor allem in Deutschland leben. Ranan erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Er will ergründen, wie es um den Antisemitismus in dieser Bevölkerungsgruppe steht. Er kommt zu dem Schluss, dass viele Stereotype, Vorurteile und Verschwörungstheorien kursieren, der Koran oder Religion insgesamt aber für die Meinung über Juden keine Rolle spiele, wie oft vermutet. Vielmehr sei der Nahostkonflikt für die Einstellungen zu Juden entscheidend. Obwohl Ranan bildungsnahe Menschen befragte, wurden viele Vorurteile über jüdischen Reichtum, jüdisches Geld und jüdische Macht geäußert. Gerade von Akademikern würde man eigentlich erwarten, dass sie anders sprechen, selbst wenn sie an Verschwörungstheorien oder Klischees glauben. Auffällig ist neben der zentralen Rolle des Israel-Palästina-Themas das große Unwissen über die Geschichte des Konflikts. Obwohl er bei den meisten Interviewpartnern das Hauptmotiv für die negative Einstellung zu Juden ist, hatten sie nur oberflächliche Kenntnisse. Den meisten war auch die Differenzierung zwischen den Begriffen Zionist, Israeli und Jude nicht möglich. Und das, obwohl gerade Muslime selbst begriffliche Ungenauigkeit immer wieder kritisieren, wenn von Islamisten oder Muslimen die Rede ist.

Ranan macht es sich bei diesem sensiblen Thema nicht einfach. Deutlich wird das vor allem in der Kritik an NGOs, die sich Antisemitismusbekämpfung zur Aufgabe gemacht haben. Sie verfolgten eine mediale Strategie der Wahrnehmungserhöhung. Ranan spricht von Einflussagenten, die politischen Druck ausüben, in dem Glauben, so ihren Zielen gut nachzukommen, jedoch für Übertreibungen anfällig werden.

Verzerrung in den Medien

So sind in 87 Ausgaben der Wochenzeitung Jüdische Allgemeine zwischen November 2015 und Juli 2017 80 Artikel zum muslimischen Antisemitismus zu finden. Im gleichen Zeitraum wurde dagegen viel weniger über rechten (14 Treffer) und linken Antisemitismus (2 Treffer) berichtet. Im Februar 2018 berichtete der Tagesspiegel über die Antwort der Bundesregierung auf Fragen Petra Paus (Linke). Demnach wurden 2017 insgesamt 1.453 antisemitische Delikte gezählt. Bei 1.377 davon gehe man von rechtsmotivierten Tätern aus. Diese Daueraufmerksamkeit zeigt Wirkung. Ranan berichtet, dass fast jeder, dem er von seiner Arbeit erzählte, ihn mit fragender Miene anschaute: Was es denn da zu recherchieren gäbe?

So wichtig Differenzierungen auch sind: Es besteht die Gefahr der Instrumentalisierung. Manche werden Ranan Verharmlosung vorwerfen. Er ist ein kritischer Geist, der die israelische Politik und das teils unverhältnismäßige Vorgehen des Militärs kritisiert. Einige wittern dahinter Verharmlosung von muslimischem Antisemitismus als pure Reaktion hierauf. So werden auch manche Akteure des politischen Islams argumentieren und sagen: Schaut her, das ist bloß eine Reaktion auf Ungerechtigkeiten der Besatzer. Doch Antisemitismus ist fester Bestandteil der Identität vieler radikaler Gruppen wie der Hamas. Diese Akteure versuchen bei jeder Gelegenheit, mit Verweis auf das brutale Vorgehen des israelischen Militärs Ressentiments gegen Juden anzustacheln.

Bild schließlich druckte im März unter der Schlagzeile „Wie Muslime über Juden denken“ Zitate aus dem Buch und suggerierte dabei eine Repräsentativität, die Ranan niemals angestrebt hatte. Unter den Zitaten fanden sich dann nur krasseste antisemitische Vorurteile, die den Eindruck vermitteln, Muslime in Deutschland litten flächendeckend unter antisemitischer Verblendung.

Instrumentalisierung kann natürlich kein Autor ganz verhindern. Umso wichtiger ist verantwortlicher Umgang mit diesem wichtigen Thema. Sowohl mit Panikmache und Pauschalisierung als auch mit Verharmlosung und Flucht vor einer ungemütlichen Auseinandersetzung wird man nur die radikalen Ränder stärken. Es gibt Antisemitismus unter Muslimen. Man muss ihn benennen. Aber man kann ihm nur Einhalt gebieten, wenn Juden und Muslime miteinander sprechen. Ehrlich, offen, selbstkritisch, kontrovers, aber immer mit dem Ziel, politischen Scharfmachern nicht auf den Leim zu gehen.

Info

Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland? David Ranan Dietz 2018, 224 S., 19,90 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden