Klappe, Tronje!

Literatur Brunhild, Antigone, Zippora – In Feridun Zaimoglus neuem Roman kommen legendäre Frauenfiguren endlich selber zu Wort
Ausgabe 10/2019

Leyla, das Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen in der Türkei, das als Gastarbeiterin der ersten Stunde nach West-Berlin auswandert. Brunhild, die Walküre an der Schwelle zum Frühmittelalter, von den blutdürstig pervertierten Nibelungen-Helden durch List ihrer übernatürlichen Kraft beraubt und zur beherrschbaren Ehefrau gemacht. Antigone, Inzest-Schwester-Tochter des Ödipus, für die einen eine Hure, für die anderen eine Heilige.

Einige der Figuren in Feridun Zaimoglus Roman Die Geschichte der Frau sind bereits aus anderen Büchern und Stücken des Autors bekannt. Auch die wechselnden Settings erinnern teilweise an das Theaterstück Siegfrieds Erben, das Zaimoglu zusammen mit Günter Senkel schrieb. Wie in der Nibelungensage bewegen sich alle Frauen in Die Geschichte der Frau in Umbruchsituationen, in denen sie dem männlichen Macht- und Deutungshunger unterworfen sind. Doch sie stellen sich gegen ihre Unterwerfung, gegen ihre Verdammnis zum Schweigen und gegen ihre Auslöschung.

In zehn Kapiteln treten zehn Frauenfiguren sprechend aus dem Dämmer der Geschichte. Die Figuren sind bekannt aus der Mythologie, der Welt der Legenden und Sagen und der Geschichte. Aber bei Zaimoglu erzählen sie ihre Geschichte selbst. Und sie klagen nicht, sie handeln. Die Rede der Frauen formt sich so zum Gegennarrativ zu den Lügengeschichten der Männer. All diesen Frauen ist gemein, dass sie sich in einer von irrationalen, zerstörerischen Männern beherrschten Welt bewegen, die alle und alles mit sich in den Untergang reißen. In ihnen verkörpert sich die Hoffnung auf einen anderen Verlauf der Geschichte, auch wenn sie mal zur Mörderin werden können.

Im Einzelnen: Es gärt im Zeltlager der Israeliten. Zippora, Tochter des Priesters Jethro und Frau von Moses, ist nächste Zeugin des Unmuts in der Gemeinschaft, die aus Ägypten ausgezogen ist. Erschöpfung und Hunger mischen sich in den Streit über den wahren Glauben. Zippora und ihre Kinder werden von der Elite im Lager bedroht – weil sie Schwarze sind. Auch weil sie mit Moses die Gefolgschaft der Israeliten teilen. Ihre Hasser „träumen von Blut und Ruhm“. Zippora spricht aus dieser Situation des sozialen Umbruchs in der Glaubensgemeinschaft: Die ehemaligen Sklaven sind nun Propheten.

Die ehemaligen Könige und Priester würden sie am liebsten vernichten, weil sie ihre Privilegien bedrohen. Moses’ Schwester Mirjam, für die Gemeinschaft eine Prophetin, lebt als eine Verstoßene außerhalb des Lagers, nur Zippora kümmert sich um die Aussätzige, der Prophet will nichts an ihrer Situation ändern. Die Männer sind in diesen Geschichten die Bockigen. Die Frauen die Widerständigen.

Von den wandernden Israeliten springt die Geschichte zur Mythologie der griechischen Antike, und Antigone, Tochter und Schwester des „Blutschänders“ Ödipus, beginnt zu sprechen. Antigone leidet unter dem Fluch, Inzest-Tochter ihres Bruders Ödipus zu sein, und widersetzt sich dem Herrscher von Theben.

Radikal feministisch

Als Nächstes spricht Judith, die Frau des Judas und Zeugin der Auferstehung Jesu. Ihr Drang, das Geheimnis von Jesu Tod mit den Jüngern zu teilen, wird vom Männerbund unterdrückt: „Die Freude unseres Glaubens kränkt die Männer.“ Von den eigenen Eltern abgelehnt, von den Jüngern Jesu nicht richtig angenommen, wird Judith mit einer Gruppe anderer Frauen von Jesus in den Kreis der Seligen aufgenommen. Maria schwebt über allem. Es folgt die Fußwaschung Jesu an seinen ausschließlich weiblichen Jüngern. Im Gespräch zwischen Jesus und Judith vor seiner Entrückung wird angedeutet, dass die Botschaft des „Menschensohnes“ bereits kurz nach dessen Tod pervertiert werden wird. Jesus weiß dies und weist Judith an, nicht den „Feinden Gottes“ zu folgen. Die frühchristliche Geschichte erfährt in Zaimoglus Buch eine radikal-feministische Umdeutung.

Es folgt Brunhild, die mit Gewalt bezwungene Kriegerkönigin, sie hat seherische Fähigkeiten und weiß, dass die nach Blut lechzenden Männer von Burgund bald den Hunnen zum Opfer fallen werden. Brunhild steht für die gewaltsame Unterwerfung der Frau unter eine machthungrige Clique von Männern.

Die Männer in diesem Roman, etwa der Prophet Moses, wirken zerrissen und orientierungslos, die Frauen resolut und zielorientiert. In einigen Geschichten führen die Frauen sogar die Männer, während sie sich ihnen still widersetzen. Was alle diese Frauen eint, ist ihr Widerstand in einem System, dem sie nicht entfliehen sollen. Dieser Widerstand nimmt im Lauf der Erzählung an Intensität zu, mit drastischen Folgen für die Männer. So rächen sich Leylas hart arbeitende Freundinnen in West-Berlin an der Vergewaltigung ihrer Mitbewohnerin. Lore Lay macht den Dichter, der sich ein sexistisches Bild von ihr zusammenreimt und sie sogar sexuell belästigt, im wahrsten Sinne des Wortes mundtot. Valerie Solanas setzt ihr feministisches Manifest in die Tat um und richtet die Waffe gegen Andy Warhol. Nach der Lektüre des Buchs erscheint ihre Tat als einzig mögliche, einzig vernünftige.

Mit der Welt, in der sie sich bewegen, verändern sich aber auch Sprache und Duktus der Erzählungen. Es beginnt biblisch-archaisch mit Zippora, Judith, Antigone und Brunhild und wird mäandernd bei Leyla. Auch wenn Zaimoglu ausschließlich weibliche Protagonisten sprechen lässt, versteckt er sich nicht als männlicher Autor. In Sprache und Erzählduktus geizt er nicht an harter Wortwahl und aggressiver Taktung. Auch die Dialoge sind konzis, wie hier zwischen Hagen und Brunhild:

„Kriemhild“, sagt er, „du und sie, zwei Königinnen in einer Burg. Die eine schweigt, die andere raunt, wem erlausch ich wohl ein Geheimnis?“ / „Mir ist sie unterworfen“, rufe ich, „ich gebiete, ich verbiete.“ / „Ein König herrscht über Burgund. Vergiss das nicht.“ / „Der Burgunder Gunter, dem die hohe Krone den Scheitel presst.“

Doch auch an Selbstironie fehlt es in diesem Roman nicht. So treibt Zaimoglu sein Spiel mit der Figur des männlichen Dichters und dem weiblichen Objekt der Dichtkunst in „Lore Lay“ auf die Spitze.

Bei aller feministischen Programmatik bleibt diese Geschichte der Frau sehr eurozentrisch. Daran ändern auch die schwarze Zippora, die semitische Judith und die türkische Leyla nichts: Fast alle Frauen sind bekannt aus Erzählungen, die in Europa besungen wurden. Mit der erfrischenden Ausnahme von der Gastarbeiterin Leyla im West-Berlin der 1960er Jahre.

Info

Die Geschichte der Frau: Roman Feridun Zaimoglu Kiepenheuer & Witsch 2019, 400 S., 24 €

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