Jede Zeit bringt ihren eigenen Geist hervor. Wenn die Mächtigen des Westens nach 1989/91 meinten, mit dem Dahinscheiden des Realsozialismus liege ihnen die Welt nunmehr zu Füßen, so entfaltete sich in den neunziger Jahren eine Protestbewegung, die den Sirenenklängen einer neuen Stufe kapitalistischer Durchdringung der Welt zutiefst misstraut. Spätestens 1999, als in Seattle (USA) 70.000 Menschen gegen die Welthandelsorganisation (WTO) demonstrierten, wurde die Kritik an der Globalisierung unübersehbar. Das Weltsozialforum markiert inzwischen den Übergang von der Verneinung zu einer "Kultur des Ja", so Bernard Cassen, bis vor kurzem Präsident von Attac Frankreich und Mitglied des Internationalen Rates des Weltsozialforums. Die Behauptung des Neoliberalismus seit Margaret Thatcher war und ist immer wieder, es gäbe "keine Alternative". Das Weltsozialforum ist dagegen der Raum, in dem offen und mit großem Ernst über Alternativen zur gegenwärtigen Welt debattiert wird.
Im vergangenen Jahr hatte Noam Chomsky in Porto Alegre, bewusst vereinfachend, betont, es handele sich um einen Konflikt zwischen den konzentrierten Machtzentren, staatlichen und privaten, auf der einen Seite, und der Weltbevölkerung auf der anderen: "In altmodischen Begriffen würde man das Klassenkampf nennen." Und diese "konzentrierte Macht führte einen unerbittlichen und sehr selbstbewussten Krieg", um "die Bevölkerung auf die eine oder andere Weise zu disziplinieren". Angesichts des angekündigten Irak-Krieges der USA, in dem es nicht nur um Öl und Geopolitik, sondern auch um Einschüchterung geht, ist Chomkys Warnung aktueller denn je. Fast zeitgleich mit dem diesjährigen Weltsozialforum steht der Bericht der UN-Inspektoren ins Haus, und der UN-Sicherheitsrat wird sich positionieren müssen. Der feine Unterschied, ob es eine Auflassung für den Krieg durch den Sicherheitsrat geben wird oder ob die USA sich auch ganz offensichtlich über das Völkerrecht hinwegsetzen müssen, um ihren Krieg zu führen, wird auch in Porto Alegre zu diskutieren sein. So beginnt das Programm am 24. Januar mit einer großen Veranstaltung "Gegen Militarisierung und Krieg" und wird beschlossen mit einer Konferenz zum Thema: "Wie kann man dem Empire widerstehen?"
Das Weltsozialforum 2003 gruppiert sich um fünf thematische Achsen: Demokratische und nachhaltige Entwicklung; Prinzipien, Werte, Menschenrechte, Vielfalt und Gleichheit; Medien, Kultur und Gegen-Hegemonie; Politische Macht, Zivilgesellschaft und Demokratie; Demokratische Weltordnung und Kampf gegen den Krieg. Alle Debatten zielen auf die Entwicklung von Alternativen. Auf der Tagesordnung zum Komplex "Demokratische und nachhaltige Entwicklung" beispielsweise stehen alternatives, solidarisches Wirtschaften und lokale Ökonomie, die Entwicklung der Welthandelsorganisation (WTO), Eigentum und Biodiversität nach dem Weltgipfel von Johannesburg sowie Vollbeschäftigung und Arbeit.
Neben den zentralen Konferenzen und Panels, für die der Internationale Rat und das Sekretariat des Weltforums verantwortlich zeichnen, finden Seminare und Workshops statt, die von den teilnehmenden Organisationen, Initiativen und Gruppen angeboten werden. Außerdem wird es spezielle thematische Treffen geben, darunter ein Weltforum der Parlamentarier, ein Kommunalpolitisches Forum, ein Welt-Bildungs-Forum, ein Forum von Gewerkschaftern sowie ein Interkontinentales Jugendcamp, zu dem etwa 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet werden.
Wie auch in der Vergangenheit fasst das Weltsozialforum als solches keine Beschlüsse. Das machte es in der Vergangenheit manchem Beobachter schwer, das Forum zu verorten. Gleichwohl gibt es Papiere und Texte, Reden und Stellungnahmen, die zusammen genommen das Bild einer anderen, friedlichen, solidarischen Welt ergeben. Die Breite der Bewegung wurde aber nur möglich, weil es diese zurückhaltenden Spielregeln des "Geistes von Porto Alegre" gibt. Mittlerweile hat sich das Weltsozialforum regionalisiert. Anfang November fand erstmals das Europäische Sozialforum mit 50.000 Teilnehmern in Florenz statt. In der ersten Januarwoche folgten die Sozialforen für Asien im indischen Hyderabad und für Afrika in Addis Abeba.
Der Erfolg von Florenz hat auch in Deutschland Spuren hinterlassen und im Vorfeld von Porto Alegre 2003 für entsprechende Publizität gesorgt. Die Zahl der Organisationen, Initiativen und Gruppen, die dieses Mal dabei sein wollen, ist deutlich größer als vor zwölf Monaten. So werden Attac und der Evangelische Entwicklungsdienst, die Deutsche Bischofskonferenz, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung, das DGB-Bildungswerk, die Kooperation Brasilien (KoBra) und viele andere teilnehmen. Auf die Tagesordnung gerückt ist auch eine engere Koordinierung und Verzahnung der Arbeit in Deutschland, zumal im vergangenen Jahr die Vorbereitung auf Porto Alegre und später auf Florenz nicht optimal verlief. Das soll beim zweiten Europäischen Sozialforum, das im November in Paris stattfinden wird, anders werden. Außerdem ist ein Deutsches Sozialforum geplant. Ein erstes Vorbereitungstreffen wird am 16. Februar in Berlin stattfinden.
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