Wenn ein Gespenst Schatten wirft

Berlin-Wahl Deuteln im Zahlensatz und warum es für den Kanzler besser wäre, Berlin in einen "District of Columbia" umzumodeln

Möglicherweise. Nur ist nicht so recht klar: Was? Auch im Berliner Wahlkampf spielte der Terror eine Rolle. Die CDU forderte schon frühzeitig, die PDS gehöre ausgeschlossen aus der Reihe der möglichen Koalitionskandidaten für Berlin, weil sie nicht uneingeschränkt und unverbrüchlich zur großen Sache stehe. Offenbar meinten einige der CDU-Strategen, nun ganz taktisch, ihre Partei käme wieder ins Spiel, wenn es für die "Ampel" am Ende doch nicht reichen sollte. Mit dem roten Gespenst hatten sie die SPD immerhin ein Jahrzehnt lang in die "Große" Koalition genötigt. Nun sollte des Gespenstes Schatten noch erwirken, dass rot-rot verunmöglicht wird.

Indessen: Das Wahlergebnis lässt sich nicht mehr mit früheren Ansammlungen ehemaliger Funktionsträger und ähnlichen Ausflüchten erklären. PDS und CDU stehen sich nun in Berlin auf gleicher Augenhöhe gegenüber: der Unterschied macht noch 1,1 Prozent der Zweitstimmen oder zwei Sitze im Abgeordnetenhaus aus.

PDS-ferne Analytiker beziehen PDS-Erfolge noch immer und wieder auf sich, nach der Devise: was will der PDS-Wähler der CDU mitteilen, indem er PDS wählte? Solch eine Sicht geht auch im zwölften Jahr der deutschen Einheit noch immer davon aus, dass PDS-Wählen etwas Abnormes sei. Vielleicht wollte aber der Wähler nichts anderes tun, als einfach nur wählen, in diesem Falle PDS, und aus dem angebotenen Sortiment von Politikern den ihm Genehmen oder am wenigsten Unangenehmen, auswählen.

Der Regierende Bürgermeister Wowereit hielt sich in der Koalitionsfrage bedeckt und verwies darauf, dass Außenpolitik Bundessache sei, nicht Länderkompetenz. Die gegensätzlichen Positionen von SPD und PDS zum Kriegstreiben in und um Afghanistan sollte die Berliner Konstellationen nicht stören. Ansonsten betonte er, am liebsten hätte er weiter rot-grün regiert. Aber er wusste natürlich, wie alle anderen auch, dass es dafür nicht reichen konnte, dann also lieber die "Ampel". Die Grünen kritisierten in ihrem Wahlkampf die Resultate der verblichenen "Großen Koalition", mühten sich aber, ihren jetzigen Koalitionspartner möglichst ungeschoren zu lassen. An der Bankenkrise, die die Krise der CDU, die Abwahl von Diepgen und Landowsky und die Neuwahlen am Ende bewirkt hat, sei eigentlich doch nur die CDU Schuld gewesen.

Derweil versprach die FDP in Gestalt von Günter Rexrodt "Mehr Schwung für die Berliner Wirtschaft", wenn sie bzw. er nur etwas zu sagen hätte. Die Grünen haben den Ball aufgenommen und holzten zurück, dass dieser vermeintliche "Mister Wirtschaft" eigentlich ein "Mister Misswirtschaft" sei, und verwiesen auf sein Versagen als Aufsichtsrat einer Telekommunikations-Firma sowie auf sein segenreiches Wirken als Bundeswirtschaftsminister unter Kohl im Dunstkreis von Rüstungsexportrichtlinien, steuerlicher Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern und dem Waffenlobbyisten Schreiber. So ging es zu in diesem Wahlkampf, und nun soll das in eine Koalition passen.

Denn der SPD-Landesvorstand hat beschlossen, dass nach den stattgehabten Sondierungen die "Ampel" mit Grünen und FDP verhandelt werden soll, obwohl die Mehrheit nur 73 Sitze hätte, gegenüber 77 in der Variante rot-rot. Die Koalition soll fünf Jahre halten. Landesvorsitzender Strieder hob die Stimmenverteilung hervor: 17 für diese Variante, 8 dagegen und 3 Enthaltungen. Rot-rot blieb ausgespart. Der Kanzler hatte unterdessen zweimal gemahnt, dass die "Ampel" seine Präferenz sei. Offenbar will er zur Bundestagswahl im Westen nicht anderes erklären müssen. Auch sei "den Amerikanern" rot-rot schwer zu vermitteln.

Auch Klaus Wowereit erklärt seine "Solidarität mit Amerika". Wenn die Regierung schon das Volk nicht auflösen kann, wie Brecht empfahl, gäbe es noch eine andere Variante: Berlin nach amerikanischem Vorbild zur einer Art District of Columbia zu erklären: die Hauptstadt untersteht dem Bundesparlament und hat keine Rolle als übliches Glied der Föderation zu spielen. Aber das müsste den Berlinern auch erst mal jemand erklären. Solange wird wohl jede Regierung damit leben müssen, was schon für Bismarck, Wilhelm II. und Ulbricht ein Problem war: die Berliner sind anders, wählen trotz Meckerns am Ende doch rot und lassen sich ungern von oben gängeln.

Frank Steffel, glückloser Spitzenkandidat der CDU, hat sich unterdessen als Fraktionsführer seiner Partei bestätigen lassen. Im Wahlkampf wurde betont, er komme aus dem "bodenständigen Bezirk Reinickendorf". Wieso ist eigentlich Reinickendorf "bodenständig"? Sind Treptow und "Pankoff" weniger oder gar nicht bodenständig? Am 23. Oktober erklärte Wolfgang Schäuble in einem Vortrag vor der Konrad-Adenauer-Stiftung, das Berliner Wahlergebnis zeige die Folgen der tiefen deutschen Spaltung, und dies wohl am stärksten in Westberlin. Die politische Verantwortung für den tiefsten Sturz eines CDU-Landesverbandes liegt nun nicht bei ihm, sondern bleibt bei jenen Westberliner Gruppierungen, deren Spross Steffel ist.

Aber auch die "Ampel" wird ein Geschäft unter vornehmlich westbezogenen politischen Kreisen sein. Wowereit streitet dies ab und verweist auf die ausgeglichene Zustimmung zur SPD in beiden Stadthälften. Das ist eine recht freihändige Interpretation. Im Osten hatte die SPD 23,2 Prozent, die PDS 47,6. Aber die Entscheidung der Berliner SPD hat für Gregor Gysi auch ihre Vorzüge: er kann im Bundestag bleiben und ist für die avisierten Grausamkeiten der Berliner Haushaltspolitik nicht mitverantwortlich.

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