Nächstes Jahr wird der Erste Weltkrieg hundertjahrjubilatorisch zu Ende gegangen sein und es wird gedenksam weitergehen, einmal mehr. Der Historiker Robert Gerwarth hat die Zeit nach 1918 in den Blick genommen. Anders als jüngst Jörg Leonhard oder Ian Kershaw liefert er ein europäisches Panorama jener Zeit aus der Perspektive der Staatenzerschlagungen und -neubildungen und der damit einhergehenden ethnischen Säuberungen, Bürgerkriege, Massaker – allemal Gewalträusche.
Die baltischen Staaten, die Ukraine, Polen, Österreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Griechenland, die Türkei und der Nahe Osten rücken so in den Fokus. Die Bürgerkriege in Finnland und Irland beispielsweise, die zum Teil unvorstellbaren Kriegsbrutalit&
rstellbaren Kriegsbrutalitäten zwischen Polen und Russland, Rumänien und Ungarn, Griechenland und der Türkei – hier besonders grausige Massaker – begleiten, ja konstituieren die Nationenbildungen und -einbildungen. Interessant nun, wie Gerwarth diese Massenbrutalität erklärt, nämlich weniger aus der Verrohung im vorangegangenen Krieg als aus den Kränkungen der Niederlagen und der revolutionären Wirren.Der Historiker Edgar Wolfrum ist fest entschlossen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts zwar nicht zu beschönigen, aber doch die positiveren Seiten gebührend herauszustreichen. Arbeitslosenversicherung, Urlaubsgeld, Fernseher und PC? Nicht ganz so schlicht, aber doch recht nach der Määnzer Fassenacht. Das wartet mit vielen bemerkenswerten Konstellationen und frischen Draufblicken auf: Impfung und Kampf gegen den Analphabetismus, befreitere Künste, Kampf gegen den Hunger und gegen die Pfunde, Freiheit von und für Religion.Aber, bei allem Respekt vor solch Syntheseleistung, man hätte es gern etwas klarer gehabt in dem, was man um des „Fortschritts“ willen hinnehmen muss. Indes bietet Wolfrum doch vielfältige Facetten des Jahrhunderts, das so wenig auf den Begriff zu bringen ist, von dem man sich nicht einmal einig ist, ob es kurz oder lang war.Wann begann die Zukunft? Sicher ist, dass das ausgehende 19. Jahrhundert geradezu zukunftstrunken war, wie Lucian Hölscher vor vielen Jahren in einer fulminanten Studie dargelegt hat. Die visionierten Zukünfte lagen meist dermaßen daneben, dass es den Späteren ein Spottsport wurde, sie aufzuspießen, so etwa in der Wiederauflage der Experten-Umfrage-Serie von 1908 des umtriebigen Arthur Brehmer: Die Welt in 100 Jahren. Eine neue Hochphase der Zukunft gab es nach dem Zweiten Weltkrieg und Joachim Radkau hat sich der Zukunftsprognosen nach 1945 angenommen. Das Ergebnis ist recht ordentlich: Naturgemäß dürfen auch die Erwartungen an atomare Zukunft nicht fehlen, es herrschte ja nicht nur Untergangsangst. Nichts, was nicht mit Atom betrieben werden sollte, von der Zahnbürste bis zu, ja, Kühen. Adenauer, der atomar in eine dunkle Zukunft sah, vertraute zugleich darauf, dass die Reproduktionsraten so hoch wie zuvor bleiben (und so die Rentenzukunft sichern) würden. Die technophile DDR nahm Kybernetik als Allheilmittel, doch kam ihr die Zukunft der Mikroelektronik noch weniger in den Sinn als dem Westen. Und auch die Ölkrise oder das Waldsterben fehlen nicht.Mit 2030 hält Yuval Noah Harari sich gar nicht erst auf. Er spekuliert weit, weit in die Zukunft, in der „wir lieber vor uns selbst Angst haben“ sollten. Harari hat vor ein paar Jahren eine dicke Kurze Geschichte der Menschheit vorgelegt – ein Welterfolg, souverän und süffig geschrieben. Hier nun geht es in die Verlängerung der Menschheitsgeschichte bis ultimo. Das beginnt mit einer Art Agenda und einer positiven Bilanz, die der Wolfrums in nichts nachsteht: Hunger, Seuchen, Kriege und Bürgerkriege sind – bei aller gegenteiligen Wahrnehmung – auf dem absteigenden Ast. Bis hierher rekapituliert Harari, wie es zum Anthropozän kam, was den Nochnichtbesitzern des Vorgängerbuchs dessen Zukauf erspart. Die Tierart Mensch hat sich über alle Mittiere erhoben, indem sie im Übergang zur agrarischen Sesshaftigkeit dergestalt eine kognitive Revolution vollzog, dass sie sich auf Fiktionen, vulgo: Götter, einigte. Im Namen dieser Autofiktion machten die Menschen sich zu Göttern der Tiere und die Erde untertan.Nun haben aber die Menschen, diese organischen Algorithmen, perfektere Algorithmen entwickelt, zum einen für sich perfektionierende künstliche Intelligenzen, zum anderen, um sich und andere Bios in einem höheren Zustand zu optimieren. Das massentierzüchtende Tier wird zum Massenoptimierungszüchter seiner selbst, upgradet sich vom Homo sapiens zum Homo deus. Für die zukünftigen KI-Götter, die alles besser können, werden die Menschen nichts weiter als verwertbares oder verwerfliches Massengetier sein. Believe it or not. Liest man dieses genialische Huibuuh indes nicht nur als ernsthafte Wissenschaft, sondern als auch fröhliche Belletristik, dann macht es ein ungemeines Vergnügen, zumal es prall von den allerschönsten Anekdoten aus dem Leben und Nachleben der Menschheit ist!Placeholder infobox-1