Das musste ja endlich geschehen, in einem Buch die Autoren des 20. Jahrhunderts mit ihren Vehikeln zusammenzubringen, nicht mit den Füllfedern und Schreibmaschinen, sondern mit ihren Jaguars, Lancias, Fords oder "singenden Steyr-Wägen", wie Bertolt Brecht sie andichtete, bekanntermaßen dafür einen erhielt, zu Schrott fuhr und ersetzt bekam. Thomas Mann hingegen konnte keine so hohe Textrendite erzielen. Er musste immerhin die Einnahmen aus dem dicken Zauberberg einsetzen, um an seine vom Gründer der Jaguar-Werke entworfene Fiat-Prachtkutsche zu kommen, damit er standesgemäß in die Stadt einfahren konnte, ganz "Königliche Hoheit", "nach allen Seiten leutselig grüßend". War für den Vater das Auto jener unumgängliche Standes-Komfort, von dem Robert Musil bissig meinte, dass er unbedingt zum "Großschriftsteller" gehöre, so setzte das Töchterlein Ford und Autofahren selbst als Gewinnquelle ein. Erika Mann gewann Rennen und schrieb darüber für die Eitelkeitsmagazine, aber auch für Fords Werkzeitschrift. Ulf Geyersbach hat sie sich alle vorgenommen, die Dichter und Lenker. Kaum einer entkommt ihm, notfalls wird er vorm Taxi erwischt, wie Erich Kästner. Aber auch Edgar Wallace, der es mit seinen Krimis zum stattlichen Rolls Royce brachte, Samuel Beckett - ein, um das mindeste zu sagen, ebenso theatralischer wie gefährlicher Autofahrer. Oder Marcel Proust mit dem geliebten Chauffeur. Die Zeichnung im entsprechenden Brief macht freilich aus dem Rennwagen eher ein Himmelbett ... Ein prächtiges Nachweihnachts- und Alljahresbuch zum vergnügten Anekdotisieren und Anschauen.
Ulf Geyersbach: ...und so habe ich mir denn ein Auto angeschafft. Schriftsteller und ihre Automobile. Nicolai, Bwerlin 2006, 128 S., zahlr. Abb., 34,90 EUR
Mein Organismus erlebt eine neue Dimension", schrieb Walter Hasenclever 1927 fasziniert von sich und seinem Auto. Die sah freilich, siehe Brecht, nicht selten nach Straßengraben aus. Das rief die Polizei auf den Plan. Und die rückte zunehmend mit der Kamera aus. Jedenfalls Arnold Odermatt in der Schweiz. Seine überwirklichen Aufnahmen von Unfallautos und -orten sind inzwischen legendär. Nun folgt ein ganz besonderes Buch dem nach. Odermatt hat nämlich auch in Schulen Diavorträge über die Arbeit der Verkehrspolizei gehalten. Ein Foto dokumentiert auch das. Welche Kindheit noch! Odermatt hat Reklame gemacht für seinen Beruf, dem um ´68 der Nachwuchs auszugehen drohte. Das Ergebnis zumindest an Bildern ist schlichtweg grandios. Eine kunstfarbige Zeitreise in ein Ganzanderland. Polizeigestalten zwischen Louis de Funes und Science fiction, ergänzt um wiederum die wundersamsten Unfall-Fotos, inniglich verbogenes Blech und akkurat arbeitende Beamte. Unbezweifelbarer Höhepunkt jedoch ist eine Serie geschmolzener Rücklichter - Beuys meets Oldenbourg in Surreality. Schöner und friedlicher kann die Welt nie wieder werden.
Arnold Odermatt: Im Dienst. Steidl, Göttingen 2006, 335 S., 158 großformatige Farbtafeln, 65 EUR
Straßen kommen nicht eigens drin vor, wohl aber findet man Städtebau in Reclams Buch der Architektur. Auf den ersten Blick erscheint es als ein weiteres Exempel von Wissens-Eventisierung. Bildumzingelte Texthäppchen im Großformat und Überblick im Kleingedruckten, gefrorene Websites, vom kunsthistorischen Diavortrag so weit entfernt wie die Plug-in-City von der Idealstadt der Renaissance. Doch täuscht das. Aufs Ganze gesehen und erst einmal mit seiner Struktur vertraut, kann man das wissenschaftlich solide Buch, das durch eine sorgfältige Bebilderung besticht, wie ein Kombinatorium benutzen. Es erschließt sich der Zugang für Zapper ebenso wie für gezielt Suchende, für 0-Kenner wie für Fortgeschrittenere. Architekturtheorie wird anschaulich, verzahnt mit Baugestaltung, Bauaufgaben mit Lösungen - und das alles historisch fortschreitend, beginnend mit Ausgrabungen in Anatolien und - nicht ohne eine gewisse PoMo-Ironie - nach den Stichworten Weltstadt und Schloßdebatte mit dem Potsdamer Platz in Berlin endend.
Klaus Jan Philipp: Das Reclam Buch der Architektur, Ph. Reclam jun., Stuttgart 2006, 463 S., 359 Abb., 39,90 EUR
Vom Automobil nicht, aber vom Perpetuum Mobile ist in Joachim Kalkas Essay-Bändchen die Rede, gleich eingangs, gefolgt von Geisterbeschwörung und Cagliostros Magie. Ein Buch über das 18. Jahrhundert, über die Gut- und Leichtgläubigkeiten des aufgeklärten Jahrhunderts. Doch nicht nur. Man mag sich über den Landgrafen von Hessen-Kassel lustig machen, der J. E. E. Beßler, der sich selbst in einen klangvollen Orffyré verwandelte, abnahm, das ewigwährend sich drehende Rad erfunden zu haben, dessen Geheimnis aber neben einer guten Mechanik in einer fleißig drehenden Magd im Nebenraum bestand. Man mag sich über die Logenbrüder und Blaublüter amüsieren, die in Leipzig und anderswo vor des Gastwirts Schrepfer (oder Schröpfer) Geistererscheinungen auf dem Bauch lagen und sich dabei schröpfen ließen, oder schließlich über die Faszination aufgeklärter Köpfe jener Zeit für den "Mysterienschwindler" Cagliostro sich kopfschüttelnd verwundern. Auch wenn man eine allzu einfach aktualisierte Moral für unsere Gegenwart dabei meiden will, der naserümpfende Optimismus des 19. Jahrhunderts gegenüber den Nachtseiten der Dummheit im vorhergehenden will sich nicht mehr einstellen. Dabei verfährt hier Joachim Kalka durchaus dem Stil des 19. Jahrhunderts nicht unähnlich, die zusammengetragenen Erkenntnisse anderer in bedächtige wie bedachtsame Erzähl-Essays übersetzend, die zu lesen ein großer Genuss sind. Es sind das schließlich auch freundliche Verbeugungen vor der Dummheit, der im letzten Beitrag die Ehre erwiesen wird, sie vielfältig aufzufächern. Denn die Dummheit ist nie nur dumm, sondern am Ende bloß zu wenig gewitzt für ihre Zeit.
Joachim Kalka: Phantome der Aufklärung. Von Geistern, Schwindlern und dem Perpetuum Mobile. Berenberg, Berlin 2006, 107 S., 19 EUR
Burkhard Müller ist mehr als gewitzt; er scheint ungemein klug und gebildet, wenn gebildet sein heißt, das, was man weiß und denkt, so ausdrücken zu können, dass auch der weniger Kluge sich daran aufrichten kann. Die einzige Voraussetzung: Man muss Zeit mitbringen. Das Buch handelt von der Zeit, von ihrem Entzug, vom Tod, von der Geschichte und der Überlieferung. Es sind je kleine Studien, die sich einzeln lesen lassen, als Memorierstücke, aber auch nach und nach zusammengesetzt, als Spiegel einer hochgestimmten Melancholie, die mit Fragen beginnt, wie: "Was hat es mit der Geschichte auf sich?" Oder: "Muß geschehen, was geschieht?" Oder: "Wo sind die Toten geblieben." Wir Menschen haben, so Thomas Mann im Zauberberg, leider kein "Zeitorgan" mit dem wir Zeit wahrnehmen könnten. "Vielleicht ist Depression", schreibt Müller einmal wie nebenher, "nichts anderes als dies: das Vorhandensein eines Organs für den Verlauf von Zeit, den bloßen Verlauf." Indem er sich diesem widmet, hütet und verwahrt sich, was er schreibt, gegen den bloßen Verlauf, geht er das Todesproblem, das sich allgemein in einem "verwahrlosten Zustand befindet" ebenso an, wie das Gedächtnis der "geflügelten Worte". Diesem Buch wären eine Reihe davon zu entreißen, aber das hieße, es foltern. Dem, der sich in sie versenkt, geben die Essays ihre Sentenzen wie Essenzen ganz von selbst.
Burkhard Müller: Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der toten. zur Klampen, Springe 2006, 224 S., 18 EUR
Dandys haben es gut bei uns. Wir sind ja schon bereit, jeden, der nette Worte für seine Barbour-Jacke oder IWC-Uhr (nun auch schon wieder demodé) zu finden weiß, oder uns in der U-Bahn unversehens mit Gamaschen entgegentritt oder nicht ins Stadion geht, weil er dorthin sein Spazierstöckchen nicht ausführen darf, als Dandy zu bezeichnen. Aber vielleicht war der wahre Dandy, von dessen Vorbild nurmehr kopierte Gebrauchsanweisungen existieren, gar nicht so amüsant. Vielleicht war er eher traurig über die notgedrungene Lächerlichkeit seiner Abweichung, zu der deutlicher allemal als irgend exzentrische Kleidung oder verschrobene Haltung der Verzicht auf Profitabilität gehörte, im Finanziellen wie im Familiären: der Verzicht auf die hohe Kante wie auf wechselweise garantierten Gebrauch der Zeitigungsorgane. Was die Zeitfrage stellt. Nein, nicht wieder die Story von den spazieren geführten Schildkröten! Ob der Dandy wieder an der Zeit ist, es überhaupt sein kann, diese Frage lässt sich nun lesend prüfen, nämlich an Jules Barbey d´Aurevillys Über das Dandytum (letzte Fassung von 1879), und nicht zuletzt in den dem schönen Band beigegebenen zeitgenössischen Zeugnissen zum Autor.
Jules Barbey d´Aurevilly: Über das Dandytum Matthes u. Seitz, Berlin 2006, 191 S., 19,80 EUR
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