Es ist noch nicht gar so lange her, da waren die Feuilletons plötzlich voll davon, dass das Feuilleton der FAZ plötzlich voll war mit Nanobotik und Gentechnologie und dergleichen horriblen Hirnprodukten der Natur- und Technowissenschaften. Craig Venter, Billy Joy und wie sie alle hießen - die mal Schurken, mal himmlischen Boten, mal Lord Helmchen mal Darth Vader einer selbstgeschöpften Menschheitszukunft. Wir, niemand anders mehr, hatten unser Schicksal selbst in der Hand. Wofern das Wir nicht weniger als die ganze Menschheit meinte. Und wir waren dabei, uns in Geiselhaft von einigen Figuren und Firmen zu begeben, um etwas anderes zu machen als die bisherige Menschheit. Nichts schien es zu geben, was mehr von Belang hätte sein können als eben dies. Allenfalls noch, ob der Ethikrat nicht international, anders besetzt oder von anderen berufen werden müsse. Der interessierte Leser nahm, fasziniert und gequält zugleich, an einer ungeheuren Ausarbeitung all dessen teil, was schon da, möglich und denkbar sein, bitte doch gemacht oder unbedingt unterlassen bleiben, mindestens verboten sein sollte. Und in alledem beschlich den interessierten Leser zunehmend die skeptische Gewissheit, dass, was gedacht werden könnte, auch gemacht werden würde.
Dann kam der 11. September.
Seither sind Nanobotik und Stammzellen-Kulturen öffentlich verschwunden als wären sie nie gewesen. Statt der als unsere nicht mehr so ferne Zukunft visionierten Hybriden und Chimären wird nun die Sau des schweinischen Terrorismus durchs mediale Dorf getrieben. Das ist unsere neue Zukunft. Und sonst gar nichts mehr. Immerhin schlug damit unvermutet die Stunde der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler. Ganz plötzlich bekamen die vermeintlich Hinterletzten der scientific community das Wort der ersten Reihe - Religionskundler, Sprachwissenschaftler, Kulturgeographen oder Friedensforscher. Was nun aus der Geschichte, wie tief auch immer, plötzlich wieder aktuell wurde! Die Kreuzzüge und Nostradamus, englische Lyrik des 19. Jahrhunderts und Friedrich Engels Analysen zu Afghanistan. Ob Assassinen und der Alte vom Berge, ob Bin oder ob Ben, nichts, was nicht plötzlich von Belang war. Wieder wurde gewarnt und gesonnen - was alles denkbar und was alles noch möglich sei. Ein großer Wettstreit darum, wie man es immer noch besser schlimmer machen könnte: Bio-Waffen, geheime Botschaften in Pornobildern, horizontale Netzwerkstrukturen. Wo sich Kombattanten und Anschlusstäter finden ließen: Piraten, Rechtsradikale, Muttersöhnchen. Und was man, wäre man selbst dazu in der Lage, als Nächstes sich vornehmen würde: Hollywood, das die Ideen lieferte. London, der Hyde Park der abgedrehten Hetzer, La Defense. Vielleicht noch der Potsdamer Platz, damit auch für uns hier was dabei wäre. Statt Ethikrat nun Sicherheitsrat. Frank Schirrmacher blieb es vorbehalten, in Alternative zu den auftrumpfenden Aufrufen elegant diplomatisch in selbsterfüllender Prophezeiung Bush für eine Besonnenheit zu loben, die er noch gar nicht gezeigt hatte. Es schien zu wirken. Jetzt ist die Zurückhaltung zu Ende und es wird sich zeigen müssen, wie viel Besonnenheit am Ende übrig geblieben sein wird.
Aber während wir darauf starren, was als nächstes unserer bisherigen Imaginationen Wirklichkeit werden könnte, welcher Schlag und Gegenschlag, vergaste U-Bahnen oder infizierte Malls, pulverisierte Ruinen oder annihilierte Nomaden, während die einen bedrückt oder verzweifelt, andere auch lustvoll stöhnend Zerstörung bedenken, gibt es welche, die ganz unberührt davon produzieren. Sie sampeln aus Stammzellen und kreuzen quer durch Brehms Tierleben. Weitgehend unbeachtet schöpfen sie nach ihrem Eingebilde. Unnormal life goes on.
Unsere Aufmerksamkeit scheint entschieden. Wir starren auf die Zerstörung. Aber wer wird am Ende wohl den Wettlauf um die Veränderung unserer Welt gewinnen - die derzeit unbeachteten Schöpfer oder die fortwährend beäugten Zerstörer? Gleich, wer im Rennen der Transformation von Zivilisation und Spezies schließlich vorn liegen wird, der Unterschied zwischen diesen beiden wird allemal geringer sein als zwischen ihnen und dem, was wir bisher meinten zu sein. Zudem ist überhaupt nicht ausgemacht, ob es nicht zu noch fataleren Koalitionen zwischen Terror und Technobios kommen könnte.
Denn wir werden uns wohl auf uns verlassen können: Was gedacht wird, das wird auch gemacht werden. Und auch das: Dass einmal mehr sich zeigen wird, dass wir doch wieder nicht an alles gedacht haben werden.
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