Im Jahr 1979 hatte Oswald Wiener ein Papierschifflein namens Wir möchten auch vom Arno-Schmidt-Jahr profitieren ins Büchermeer gesetzt. Über den Büchern, die avantgardistisch der zehnten Wiederkehr des Todestags von Ernst Jünger, also dem 17. Februar, vorausgestürmt sind, könnte Nämliches stehen. Allerdings sind es schwerste Tanker: Helmuth Kiesels Siebenhundertseiter trägt den ultimativen Untertitel Die Biographie und Heimo Schwilks 600 Seiten proklamieren Ein Jahrhundertleben. Gemessen an Umfang und Ausstattung sind allerdings die Preise beider moderat. Ein harter Wettbewerb, der den Rezensenten zum Schiedsrichter macht, wo er doch lieber Zuschauer wäre. Schiffbruch, das vorab, erleidet keiner der beiden.
Sie kollidieren nicht einmal - weil sie auf unterschiedlichen Routen fahren. Dennoch könnte man verführt sein, sich mit dem Hinweis auf einen Dritten aus der Affäre zu ziehen: Hans Blumenbergs bis ins Jahr 1949 zurückgehende Notizen zu Ernst Jünger, in einer sehr sorgfältigen Edition. So eindeutig wie Blumenbergs zunehmend kritischer werdende, analytische Urteile wird man die beiden Biografien nicht finden. "Das erfüllte Jahrhundert, dem er Gestalt gibt, ist nur eine Phrasierung für die Ratlosen, die dem Zeitfluß ausgeliefert sind." Das könnte man als Kommentar zu Schwilk lesen. Und so wie sich Blumenberg immer mal über die "Gefährdung des gelebten Lebens durch den metaphysischen Kitsch" im Werk Jüngers mokiert, wäre das ein Einwand gegen Kiesels feine Zurückhaltung. Blumenberg: "Am Anfang steht eine prägnante Konfrontation: der Vater und der Komet, der Bürger und der Vagant."
Helmuth Kiesel beginnt mit eben dem Kometen. "Noch fehlt der Komet", so Jünger 1979, Hinweis auf das selbstgesetzte Ziel, dem Halleyschen Kometen, den er als Knabe 1910 gesehen hatte, noch einmal zu begegnen. Am 15. April 1986 war es soweit. Um sicher zu gehen, war Jünger nach Kuala Lumpur geflogen. Heimo Schwilk hingegen beginnt, nach einer einprägsamen Schilderung von Jüngers Beerdigung, mit dessen Vater, einem Wilhelminer par excellence. Von diesen Startpunkten aus ziehen sich beider Linien fort: Der Literaturwissenschaftler Kiesel sieht auf äußere Konstellationen und Jüngers Verortung und Veränderungen darin. Er liefert eine Werkbiografie, eingebettet in die Kulturgeschichte des Jahrhunderts - von der Wilhelminischen Nervosität bis zur Post-Postmoderne. Schwilk, leitender Redakteur der Welt am Sonntag, hingegen interessiert der geistige Vater. An ihm erkennt er "das Kind im Greis", einen von der Schule derart Traumatisierten, dass der lebenslang allen Prüfungen des Bürgerlebens aus dem Wege ging, sich dafür aber ständig selbstgemachten Prüfungen unterzog.
Schwilk erzählt eine Biografie, in der weder die Liebesbriefe des Vaters noch des Sohnes Liebschaften fehlen. Doch belässt er es nicht bei Bunker und Bett. Reichhaltig instrumentiert, führt er vor, als welch hochfahrender Rabauke Jünger seit 1927 in Berlin auftrat, die Hitlerei wegen ihrer mangelnden revolutionären Substanz verachtend und Terror gegen die Republik propagierend. "Mein Ziel ist nicht die künstlerische, sondern kriegerische Mobilisation unserer Werte." Ein Hassprediger der konservativen Revolution.
Dann der Weg nach Paris, Dienst in der Feindaufklärung und Abwehr, der ihm genügend Zeit ließ, sich in der ungemein reichhaltigen kulturellen Szene zu bewegen, zwischen Cocteau, Morand, Picasso und vielen anderen, ihm aber auch zunehmend Gelegenheit gibt, seinen Habitus der Nichtinvolviertheit zu erproben. Oder die Nachkriegsrenitenz und deren gewählte Manier der Vagheit. Schließlich das allmähliche bundesrepublikanische Umwachsenwerden, während er der subtilen Jagden und der Tagebuchpflege oblag. Schwilk ist ein respektvoll getreuer, aber keineswegs unkritischer Biograf.
Auch Kiesel hält Distanz. Doch meint er immer mal wieder, Jünger verteidigen zu müssen. Doch gegen wen? Spätestens der Abdruck von Tagebuchnotizen Jüngers in Sinn und Form 1993, wogegen Walter Jens vergebens aufheulte, markiert allerspätestens, dass Jünger zum Leitfossil geworden war. Während man bei Schwilk das gerade immer Nötige zu Jüngers Werken erfährt, gibt Kiesel dem Werk gründlich Raum. Hier liegt die ganz große Stärke seines Buchs: Ausgiebig, in stets klarer Argumentation stellt er Charakteristika, Strukturen und Thesen der einzelnen Werke heraus, von den gerüchtehaft berüchtigten Kriegsschriften seit In Stahlgewittern, über die Traumnotate in Das abenteuerliche Herz und den ambitionierten Pamphlet-Essay Der Arbeiter zu den Marmorklippen, dem, so Thomas Mann, "Renommierbuch der 12 Jahre", hin zu der phantasieschwache phantasy von Heliopolis oder zum Waldgang, dem Virtuosenstück anzüglicher Vagheiten.
Die Tagebuchmassive, der eigentlich bundesrepublikanische Teil des Werks, finden dagegen kaum Beachtung. Auch bei Schwilk übrigens nicht. Als Kenner der klassischen Moderne konzentriert Kiesel sich auf zeit- und kulturgeschichtliche Einbettungen. Dabei konturieren sich sehr klar die Übergänge, Verschiebungen und Überschreibungen der Jüngerschen Positionen vom "Nationalisten zum Abendländer" (K. Prümm) - oder mit dem Titel einer ausgezeichneten geschichtswissenschaftlichen Dissertation zu Heidegger und den Brüdern Jünger: Von der Tat zur Gelassenheit.
Helmuth KieselErnst Jünger. Die Biographie. Siedler, München 2007, 717 S.,
24,95 EUR
Heimo SchwilkErnst Jünger. Ein Jahrhundertleben. Piper, München 2007, 623 S., 24,90 EUR
Hans BlumenbergDer Mann vom Mond. Über Ernst Jünger. Suhrkamp Frankfurt am Main 2007, 186 S., 19,80 EUR
Daniel MoratVon der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920 - 1960 Wallstein, Göttingen 2007, 624 S., 47 EUR
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.