Zum 25. Todestag von Ernst Jünger: Dandytum der Desinvolture
Zeitgenossenschaft „Strahlungen“ lautet der Titel der vorbildlich editierten historisch-kritischen Ausgabe von Ernst Jüngers Tagebuchkomplex aus den Jahren 1939–1948, herausgegeben von Joana van de Löcht und Helmuth Kiesel
Er benannte die Barbarei, wenngleich ziemlich verschmockt
Foto: Isolde Ohlbaum/laif
Ernst Jünger war ein notorischer Streicher, Ergänzer, Ersetzer, Verbesserer – und Anpasser. In der ersten Fassung von Das abenteuerliche Herz räsonierte er 1929, zu einer Zeit, als er als möglichst kaltschnäuziger und schneidiger Demokratieverächter wahrgenommen werden wollte: „Wer zu lesen versteht, wittert aus mancher Seite Prosa, dass sie in der Handschrift einem von weg gemähten Worten bedeckten Schlachtfelde geglichen haben muss. Gedruckt erinnert sie an eine von Schüssen durchsiebte Scheibe, die man so überklebt hat, dass uns die Treffer, die ins Zentrum schlugen, noch sichtbar sind.“ Sein bis dato Renommierbuch, In Stahlgewittern, hat Helmuth Kiesel 2013 in einer fulminanten kritischen Ausgabe herausgebracht, in der die
gebracht, in der die wahrlich zahlreichen Überklebungen Jüngers, die ständigen Umarbeitungen, in den Varianten farblich sichtbar und so lesbar gemacht wurden.Nun, nahezu ein Jahrzehnt später, folgt der vorbildlich edierte Tagebuchkomplex zum Zweiten Weltkrieg, unter dem Titel Strahlungen zusammengefasst. In drei mächtigen, von stupender Arbeit zeugenden und doch lesefreundlich eingerichteten Bänden zu den fünf Tagebüchern 1939 bis 1948. Deren Publikationsgeschichte wäre eine eigene Erzählung wert, von den durch Goebbels aus taktischen Gründen zum Druck erlaubten Gärten und Straßen bis hin zur verstockten Nachkriegsmuckerei von Jahre der Okkupation des sich zu Unrecht ausgegrenzt Fühlenden.Anders als vielen anderen kann man ihm tatsächlich keine Anbiederung an das Nazipack nachweisen, im Gegenteil. Das macht ihn nicht zur Lichtgestalt des Widerstands. Wiewohl in Kontakt zu militärischen Widerständlern, hielt er sich auch von denen möglichst fern. Immerhin gehörte er zu jenen wenigen in der Wehrmacht, die sich in keine Verbrechen verwickeln ließen. Vielmehr benannte er die Barbarei, wenngleich ziemlich verschmockt und mit preziös antiquarischen Begriffen, als „Schindehütte“, „Meintaten“ von „Lemuren“. Während seine Bezeichnung für Hitler, „Kniébolo“, der Tarnung dienen mochte, war das andere eher Versuch, es aus dem Konkreten ins Mythische zu entrücken. Er sah sich da ja längst der Zeitgenossenschaft gegenüber exterritorial, als ein Solitär der tellurischen Menschheitsbetrachtung, zwischen Bibellektüre, Naturbetrachtungen und kosmischen Spekulationen. Zwar mittendrin, doch danebenstehend. So etwa kühl angesichts der asiatischen Hilfstruppen, die zum Militärdienst gepresst worden waren. „In der Métro bestaunen die Pariser jetzt Mongolen in deutscher Uniform. Gelbe Ameisenstämme werden absorbiert.“ Er kultivierte sein Dandytum der Desinvolture.Ernst Jünger war in Paris umgeben von IntellektuellenAm meisten hat bei Erscheinen der ersten Ausgabe 1949 wohl eine Szene unter Datum des 27. Mai 1944 die intellektuelle Szenerie erregt: Wo er auf dem Dach des Hotels Raphael bei Sonnenuntergang die alliierten Bomber beobachtet, „ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand“. Paris „lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zur tödlichen Befruchtung überflogen wird“. Am 8. August muss er sich von dort verabschieden. „Ich sah die Steine in der heißen Sonne zittern wie in Erwartung neuer historischer Umarmungen. Die Städte sind weiblich und nur dem Sieger hold.“Er kehrt nach Kirchhorst zurück, wo ihn seine Frau und er das Kriegsende erwartete. Die weibliche Huld dem Sieger gegenüber hatte er bis dato handfest ausgekostet. Zum Leidwesen seiner „Perpetua“. Auch hier werden nun die Überklebungen transparent – und zeugen nicht durchweg von jenem guten Stil, auf den er sich ansonsten so viel zugutehielt. Vor allem hatte er in Paris ausgiebig Umgang mit der dortigen intellektuellen und künstlerischen Prominenz gepflegt, die allerdings umgekehrt auch gern mit ihm und den anderen „kultivierten“ Besatzern. Paris, das war der Schauplatz der beiderseitigen Eliteprätendenten. Von französischer Seite etwa Georges Braque, Louis-Ferdinand Céline, Jean Cocteau, Pierre Drieu la Rochelle, Sacha Guitry, Jean Paulhan, Pablo Picasso oder Marcel Jouhandeau.Hier sind die Eintragungen nicht nur interessant hinsichtlich der Netzwerke, der Gespräche über die Künste, Philosophie oder Religion, sondern überhaupt zu seinen wahrlich weitgespannten Lektüren. Über weite Strecken ergibt sich der Eindruck eines unbeschwerten Bildungsgenusses statt des Kriegszustands. Den freilich hatte er, zwischen den Paris-Aufenthalten, 1942/43 in Russland und der Ukraine umso drastischer erlebt. Hier scheint er öfters nur mühsam die Fassung wahren zu können, indem er zu seltsamen Vergleichen greift und dabei das Grauen verschiebt: „Die automatische Gewohnheit des Tötens bringt physiognomisch die gleichen Verheerungen zustande wie die automatisch geübte Sexualität, deren Zeichen sich in die furchtbaren, wie aus den Spiegeln von Eishöllen aufsteigenden Gesichtern von alten Huren eingraben.“Oder als Fazit aus einem Gespräch über die Schandtaten der Zeit: „Der Mensch fühlt sich in einer großen Maschine, aus der es kein Entrinnen gibt. Die maßlose Angst, die die Welt erfüllt, erinnert an Zeiten der Herrschaft dämonischer Lehren, wie sie die Hexenverfolgungen einleiteten. (…) Wo auch zwei Menschen einander begegnen, sind sie sich verdächtig.“Zwischen privater Schreibpraxis und öffentlichem WerkDie Tagebücher stehen, wie Joana van de Löcht und Helmuth Kiesel schreiben, „an der Grenze zwischen privater Schreibpraxis am eigenen öffentlichen Werk“, zudem finden sich darin Rekurse, wenn er ältere Eintragungen wieder liest. Naturgemäß spielen jeweilige Notizsituation und ihre zeitgenössischen Umstände wie dann die der jeweiligen Publikationen eine Rolle – sodass man es letztlich mit bis zu sieben Schichten zu tun hat.Die Umarbeitungen betreffen oft stilistische Verbesserungen, auch Aufwertungen, wie die von Hausschuhen über Schuhe zu Stiefeln, vor allem Anpassungen an die Zeitumstände und ihre Opportunitäten. Gewiss, die obstinate Selbstbezüglichkeit der Durch- und Umarbeitungen hat durchaus narzisstische Züge, zugleich freilich auch etwas von meditativer Selbstversenkung, gar okkasionellen Selbstläuterungsversuchen – wenn schon nicht am Charakter, dann wenigstens an dem, was im Englischen als characters benannt wird, am Buchstäblichen.So ist die Lektüre eine Lektion zur noch immer und wieder virulenten Geschichte aus Kriegen und dem, was darin den Firnis des Humanen absprengt und als blutige Brutalität hervortritt, wie eine zur Ohnmacht all der Versuche, dem durch die Riten des Gebildeten, Kultivierten, des Geschichts- wie Naturkundlichen zu widerstehen. Wie die Lektüre schließlich eine Übung in Geduld mit der eigentümlichen Monotonie und Leere ist, die diese Versuche erzeugen, um dabei hin und wieder jäh auf die Wappnungen durch abgründigere Einsichten zu stoßen. „Daß man mehr Kraft hat als die anderen, das zeigt sich auf höheren Rängen als denen der physischen Gewalt, die doch nur die Subalternen erzeugt.“Placeholder infobox-1