Das Dirndl-Dekolleté benötigt Sonnenschutz

Sachlich richtig Literaturprofessor Erhard Schütz über Bienenkommunikation, den Verdauungstrakt und §§-Wahnsinn
Ausgabe 19/2014
Das Dirndl-Dekolleté benötigt Sonnenschutz

Illustration: Otto für der Freitag

Unlängst hat Niels Werber gezeigt, wer uns ständig die Ameisen als Vorbild unterjubeln will, und warum. Die Bienen haben dagegen – anders zu früher – als Gesellschaftsvorbilder ziemlich ausgedient. Vielleicht, weil sie als fleißig gelten, dazu Brauchbares produzieren? Vielleicht auch, weil sie monarchistisch sind? Thomas D. Seeley, der beim Ameisenpapst Wilson studiert und seine ganzes Leben die Bienen beforscht hat, will man sich mit diesem Vorbildsverlust nicht abfinden. Verständlich. Höchst verständlich schreibt er über die Bienen und die Forschungen zu ihnen. Verständlich auch, dass er nun meint, uns unbedingt die Bienen als neue gesellschaftliche Leitbilder aufmontieren zu müssen. Indem er sich vor allem auf interne „Diskussionen“ fokussiert, kann er sie zu Demokraten machen, die externe Informationen im Schwarm aushandeln und zum „Konsens“ finden. Das ist, mit Verlaub, eher Kappes. Interessant an seinen durchaus faszinationsfähigen Darstellungen ist schlicht das umfangreiche Wissen, das er souverän ausbreitet. Und an einzelne Aspekte der Koppelung von Kommunikation und Entscheidung könnte man sogar aktualisierend anschließen. So, wenn der gemeinsame Abflug zu einem neuen Platz davon abhängt, dass eine bestimmte Massierung von einschlägigen Meldungen eintrifft und damit den Zeitaufwand abschätzen lässt. Bemerkenswert auch, dass solche Entscheidungen im Vertrauen auf wenige Prozent Sachkundige getroffen werden. Aber soll man damit Google oder die repräsentative Demokratie erklären? Nein, Seeleys Buch ist auch ohne das ein Musterstück für Forschungspopularisierung.

Zu sagen, in uns gehe es zu wie im Bienenstock, wäre ziemlich untertrieben. Es sind einfach zu viele Mitbewohner. Zudem haben sie nicht mal Hand und Fuß. Dafür aber durchaus Sinn. Nämlich den, uns am Leben, bei Gesundheit und obendrein bei Stimmung zu halten. Obwohl wir mit ihnen meist das genaue Gegenteil verbinden, panische Angst vor ihnen haben, deshalb alles tun, um sie in Schach zu halten: Bakterien. Es geht also ins Mikrobakterielle. Man sollte nicht allzu viel Analogienphantasie mitbringen und gleich an Flashmob oder NSA denken. Etwa 100 Billionen Mikroorganismen bevölkern das, was wir als Körper unser eigen nennen. Da versagt die Vorstellungskraft ohnehin. In einem spannenden Durchgang mustern hier zwei wissenschaftliche Kenner wie journalistische Könner die mikrobakterielle Welt, ihre Zusammensetzung und Funktionen, unsere nicht nur heilsamen, sondern zunehmend gefährlichen Eingriffe darein – Stichwort: Antibiotika und falschverstandene Hygiene –, aber auch die alltäglichen Nutzanwendungen wie die einschlägige Industrie und ihre Versprechen. Ein rundum informatives Buch! (Bonustip: Essig im Dressing macht aus unerwünschten Bakterien Nahrhaftes.)

Der Darm ist natürlich ein special case der bakteriellen Lebenswelt. Doch ist er nur ein Zwischenstück auf dem Weg vom Schmecken zum Sch…. Den meisten wird buchstäblich die Spucke wegbleiben, einigen das Wasser im Munde zusammenlaufen – angesichts all der Vorgänge und Substanzen, die da zwischengeschaltet sind. Mary Roach gilt als die schrägste Wissenschaftsautorin der USA. Sie hat sich in der Vergangenheit sehr erfolgreich dem lebendigen, toten und sexbesessenen Körper gewidmet, nun gibt sie sich dem Verdauungstrakt hin. Von der Bristol-Stuhlformenskala bis zu Elvis Presleys obstipiertem Megakolon, vom Rektum als kriminellem Transportbehälter bis zu den Überlebenschancen von lebendig Verschlucktem. Das ist in seinen grotesken Anekdoten manchmal eklig bis pubertär, aber erstaunlich informativ und raffiniert angelegt. Vor allem ist es eine Revue eines kuriosen Spezialistentums. Für den Teatable vielleicht nicht passend, tut es gewiss an jenem Ort gute Dienste.

Auch dieses gehört in die Kategorie lokal anwendbarer Bücher. Schon wegen der kurzen Texte. Man kann sie so wenig am Stück lesen, wie Vermischtes aus der Tageszeitung als Jahrbuch. Zudem scheint das, wovon es handelt, eher aus der Region des Sitzfleisches zu kommen, des bürokratischen speziell. Mal nicht die krumme Gurke, die für EU-Blödsinn immer herhalten muss, aber schon das verbotene Olivenkännchen in Restaurants. Doch ist es ja nicht nur die EU. Behördenmitarbeiter in Köln sollten Plastikblumen mit Brandschutzmiteln besprühen, in Kindergärten wird Selbstgebackenes zurückgewiesen, kellnernde Dirndl benötigen Sonnenschutz vorm Busenansatz. Warnung: Brot kann Salz enthalten, Fisch Gräten. Und warum wird sich das noch steigern? Weil es immer mehr paranoide Eltern, klagewütige Vollidioten und vor allem zelotische Zwangsbeglücker gibt. Und in deren Namen werden die Agenten einer hypertrophen Jurismusindustrie sich weiterhin wechselseitig aufschaukeln.

Bienendemokratie. Wie Bienen kollektiv entscheiden und was wir davon lernen können

Thomas D. Seeley S. Fischer 2014, 320 S., 22,99 €

Bund fürs leben. Warum Bakterien unsere Freunde sind Hanno Charisius und Richard Friebe Hanser 2014, 319 S., 19,90 €

Schluck. Auf Entdeckungsreise durch unseren Verdauungstrakt Mary Roach DVA 2014, 384 S., 14,99 €

Vorsicht, Fisch kann Gräten enthalten! Bürokratischer Wahnsinn in Deutschland und Europa Ulrich Gineiger emons 2014, 192 S., 12,95 €

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