Das freut Kulturminister Gysi

Roman Harald Martenstein und Tom Peuckert haben einen hintersinnigen Roman auch über den eigenen Opportunismus geschrieben
Ausgabe 37/2015
Das freut Kulturminister Gysi

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Harald Martenstein ist ja nicht nur Kolumnist, sondern auch Romanautor. Wenngleich lang her. Heimweg wurde 2007 auf dem Höhepunkt des kollektiven Gedächtnisrausches zu einem durchtriebenen Roman über die bundesdeutschen Wunderjahre. Nun legt der aus Mainz stammende Wahlwestberliner neuerlich vor, diesmal zusammen mit dem Theaterautor und Regisseur Tom Peuckert, einem geborenen Ostmenschen. Auf den ersten Blick eine kontrafaktische Geschichtsschreibung zum Ausgang der DDR. Allein das lässt aufmerken. Denn zwar gibt es unzählige solcher Unternehmungen national wie international zur Nazizeit, aber zur DDR kann man das an einer Hand abzählen, Jörg-Uwe Albig, Thomas Brussig, Fritz Rudolf Fries – das war’s fast schon.

Um dies hier nun entsprechend goutieren zu können, muss man allerdings eine Unmöglichkeit und eine Unwahrscheinlichkeit voraussetzen: die Unmöglichkeit, dass unter der Ostsee das größte Erdölfeld der Welt lagern könnte, gar unentdeckt, und die Unwahrscheinlichkeit, dass die Verkündung von dessen Ausbeutung durch die DDR zur Maueröffnung am 9. November 1989 irgendjemanden, der nicht mehr in dieser DDR bleiben wollte, zurückgehalten hätte, abgesehen vielleicht von Christa Wolf.

Wenn man das vorauszusetzen willens ist, dann kann man ein frechwitziges, einfallsreiches, teils nachdenkliches, teils fingerhakelndes Buch über Opportunismus lesen. Westlichen wie östlichen. Zunächst einmal skurrile Einfälle zuhauf. Ausgangspunkt der Einfallskaskaden dürfte wohl Frank Castorfs Bayreuther Ring gewesen sein, Erdöl als „Betriebsstoff der modernen Zivilisation“ – das spiegelt nun im Roman die 25 Jahre DDR seither. Castorf war darin bis 2013 „der ästhetische Imperator des DDR-Theaters“ gewesen, von der Partei immer wieder bemisstraut und kritisiert. Aufgrund der ölkritischen Wagneraufführung entzieht man ihm die Staatsbürgerschaft. Castorf reist jedoch illegal wieder ein. Kulturminister Gysi verzeiht ihm.

Nun probt er auf dem ehemaligen Landgut der von Arnims mit der Dorfbevölkerung den Faust. Sahra Wagenknecht ist erfolgreiche Yogalehrerin, Helene Fischer heißt jetzt Jelena und ist die Lady Gaga der DDR. Sascha Anderson ist Direktor der Leipziger Buchmesse. Kati Witt bekommt den Walter-Benjamin-Preis. Die SED-Bonzen tragen ihr Parteiabzeichen an massiven Goldketten. Dynamo Dresden spielt die Bayern in Grund und Boden. Aufgrund des unverhofften Reichtums saust und braust es wie in Saudi-Arabien. Die DDR ist hier zugleich so etwas wie weiland Westfalen für Voltaires Candide. Der Westen macht zur Arbeit rüber. Allermeist in niederen Positionen, als Handlanger, Putzkräfte, Kellner und so fort.

Aber auch Prominente suchen dort ihre neue Chance: Karl-Theodor zu Guttenberg ist Wirtschaftsminister der DDR. Will sie für den Weltmarkt fit machen. „Was ist unsere Ressource, wenn das Öl eines Tages ausfällt? In welchem Bereich sind wir richtig gut? Ich sage es Ihnen: Sicherheit. (…) Wir wissen, wie man ein System hochmotivierter Kundschafter aufbaut, die den Bürger und die Bürgerin vor Schmutz, vor Verirrungen, vor Lügen und vor Propaganda schützen. Ich weiß, wovon ich rede, ich bin ja selber im Westen ein Opfer dieses Schmutzes geworden. Wir fangen gerade erst damit an, unser Weißwie zu exportieren, die Nachfrage ist enorm. Amerikaner, Russen, Chinesen, alles steht Schlange. Die DDR steht erst am Anfang ihrer Erfolgsgeschichte, glauben Sie mir. Wir sind kein Auslaufmodell, wir sind ein Zukunftsmodell.“

Last but not least: Hartmut Mehdorn ist seit 1997 Generaldirektor von Robotron. Robotron ist eine Weltfirma, die aber alles bei Apple und anderen einkauft, um nurmehr die Marke draufzukleben. Die wird noch strenger gehütet als die fingierten Reinräume. Doch der liebenswerte Mehdorn vertraut sich schluchzend Tom Peuckert an, der daraus eine Reportageserie macht.

Und damit wären wir auf der eigentlichen, der interessantesten Ebene des Romans. Gewiss, die Fabulierlust ist Quell immer neuer Vergnügen, aber zum amüsanten delectare gibt es auch ein hintersinnigeres prodesse. Harald Martenstein und Tom Peuckert treten nämlich selbst im Roman als Journalisten auf – und ihre Texte dazu. So wird der Roman zur gedankenexperimentellen Selbstprüfung. Einerseits Dekonstruktion rechthaberischer Rächergewissheiten, menschheitsbeglückender Opferwarte in der durchgespielten Konvergenz der Systeme, ist er andererseits eben der selbstironische Blick auf die eigene Profession, auf Eitelkeit und Verführbarkeit, Gratismut und Pech, auf den aufrichtigen wie unaufrichtigen Opportunismus. Und schließlich auch auf die Fragwürdigkeit der Konstruktionen von Medienbiografien wie eben der Guttenbergs oder Mehdorns.

Info

Schwarzes Gold aus Warnemünde Harald Martenstein, Tom Peuckert Aufbau-Verlag 2015, 256 S., 19,95 €

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