Eine Art Stammbuch wäre das für jeden friedensfreundlichen Haushalt: Zwischen den Kriegen. Blätter gegen die Zeit – haben Werner Riegel und Peter Rühmkorf ihre Zeitschrift genannt, die zwischen Dezember 1952 und August 1956 – im Juli 1956 ist Riegel an einem Hirntumor gestorben – hektographiert in einer Auflage von 100 bis 150 Exemplaren erschien. Sie hatte ein großes Thema und kaum Wirkung. Finisten nannten sie sich: „Finismus ist kein Negativismus. Er verneint nicht, er bejaht das Ende.“ Mag man heute von dieser Untergangsfixierung sieben Jahre nach dem untergegangenen Zweiten Weltkrieg verwundert sein, damals war angesichts von Korea-, heißlaufendem Kalten Krieg und Atombewaffnung keineswegs ausgemacht, dass man By the Skin of our Teeth (so das Stück Thornton Wilders) davonkäme. Orientiert waren die jungen Männer am pazifistischen Expressionismus um und nach dem Ersten Weltkrieg. „Im Hintergrund die Säulen / Des toten Griechenlands. Die Engel schrein, die Eulen / Zum nächsten Totentanz“ – steht neben dem finistischen Credo, ist von Peter Rühmkorf, aber eigentlich von Gottfried Benn her. Gemengelage. Genauer, was Werner Riegel „Schizographie“ und Rühmkorf „Schreiben mit gespaltener Feder“ nannte – Zerrissenheit zwischen Politik und Dichtung. Ein archäologisches Musterstück vom aufrechten Gang – und ein philologisches Vorzeigewerk: Sorgfältig reproduziert, mit der ganzen Patina des Hektographierten, aber auch kommentiert mit der ganzen Akribie editorischer Leidenschaft. Ein wahrer Schatz!
Doch nicht wenige sehnen sich nach den vermeintlich klar geordneten Verhältnissen des Kalten Krieges zurück. Das ist aus vielerlei Gründen ein Trug, nicht zuletzt wegen der starken Fixierung auf Europa. Denn der Kalte Krieg hat die gesamte Welt hineingezogen in die Konfrontation der Blöcke und Ideologien. Unter dem „Gleichgewicht des Schreckens“ wurden Kriege, Revolutionen, Umstürze und Bürgerkriege angezettelt. In Finnland, Japan, Korea, Vietnam, Persien und so fort. Es bliebe auch bei einer ganzen Zeitungsseite Platz vermessen, die 760 Seiten dieser Weltgeschichte des Kalten Krieges des norwegischen Historikers Odd Arne Westad angemessen wiedergeben zu wollen, zumal sie – sehr plausibel – weit zurückgeht, bis ins Ende des 19. Jahrhunderts. Da muss auch nach längeren Lesemonaten die kurze, aber nachdrückliche Versicherung reichen: Das ist eine Globalgeschichte, die viele andere ersetzt. Vor allem nicht kalt lässt! Als spekulative ‚Parabel zum Grundmodell scheiternder Abschreckung und innerer Aufweichung der beiden Seiten ist übrigens Cixin Lius SF-Wälzer Der dunkle Wald (übersetzt von Karin Betz, Heyne Verlag 2018, 816 S., 16,99 €), das Mittelstück der Trisolaris-Trilogie, höchst zu empfehlen.
Vorm Einfrieren des Kriegs wurde bekanntlich besonders hart gekämpft und geschlachtet. Durch Steffen Kopetzkys Roman Propaganda (Rowohlt Berlin 2019, 496 S., 25 €; siehe der Freitag 40/2019)wurde jüngst die besonders grausame Schlacht im Hürtgenwald in der Nordeifel 1944 wieder in den Fokus gerückt. Ernest Hemingways Depeschen gelten als legendäres Musterstück dazu. Die knappen Kriegsberichte, die W. C. Heinz – später mit Hiester Richard Hornberger Jr. unter dem Pseudonym Richard Hooker Co-Autor des Romans MASH , der einen erfolgreichen Film und eine langlebige Serie nach sich zog – parallel dazu vom dortigen Schauplatz schrieb, sind indes noch viel beeindruckender, zuverlässiger wohl allemal. „Die noch Lebenden saßen auf den Rücksitzen, und manche […] auf den Motorhauben, weil die Jeeps so überfüllt waren.“ Die nüchterne Beschreibung dessen, was man gedankenlos Blutzoll zu nennen pflegt, wurde als einzige seiner Reportagen nicht gedruckt, weil, so die Redaktion, sie erst in Verbindung mit der Berichterstattung zu den Konzentrationslagern zuzumuten gewesen wäre.
Im Nachkriegs-Berlin fühlte sich Curt Riess, der aus dem Exil einen Ausweis als „War Correspondent“ mitgebracht hatte, weiterhin als Kriegsreporter, einer des Kalten Kriegs. Doch auch über heiße Kriege wurde berichtet, indes blieben – so meine Erinnerung – die Reporter dahinter unhinterfragt. Erst 1979, mit Nicolas Borns eindrucksvollem Roman über einen Korrespondenten im libanesischen Bürgerkrieg, Die Fälschung, rückte dies „Handwerk“ in all seinen Fragwürdigkeiten so recht in den Fokus. Seither ist viel geschehen und geschieht leider immer noch. Es bedurfte nicht Peter Handkes, wieder danach zu fragen. Trotz der 17 befragten Journalistinnen und -en ist Konstantin Flemigs Band im Umfang recht knapp, jedoch nicht im Inhalt. Lakonisch, desillusioniert, selbstkritisch, in der Klarheit und Nüchternheit beeindruckend, geben sie ihren Alltag zu Protokoll. Einer, zu dem die eigene wie die Gefahr anderer gehören, das Grausen, Warten und der Kampf um die Wahrheit. Am Anfang sagt Benjamin Hiller, der „krasseste Kriegsreporter Deutschlands“, schien es in Syrien cool. Doch: „Es war nicht cool, es ist nicht cool.“
Info
Zwischen den Kriegen. Blätter gegen die Zeit. Eine Zeitschrift von Werner Riegel und Peter Rühmkorf Martin Kölbel Wallstein 2019, 616 S., 50 €
Der kalte Krieg. Eine Weltgeschichte Odd Arne Westad Klett-Cotta 2019, 763 S., 34 €
Unter blühenden Magnolien. Kriegsreportagen. W. C. Heinz Steidl 2019, 160 S., 18 €
Alltag in der Hölle. Kriegsreporter erzählen Konstantin Flemig klartext 2019, 190 S., 19,95 €
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