Das Schaf – Liebesobjekt und Menschenfresser

Sachlich richtig Erhard Schütz liest und lernt über das Tier auf der Wiese, in der Luft – und über Verstecke auf der schönen Insel Hiddensee
Ausgabe 33/2017
Eine der „99 Besonderheiten der Insel“: das Grab von Gret Palucca
Eine der „99 Besonderheiten der Insel“: das Grab von Gret Palucca

Foto: Ipon/Imago

Wie es war, als Buchverlage noch Kulturträger und Verlegernamen ehrfurchtgebietend waren – schön, davon mal wieder lesen zu können. Klaus Walther, lange Lektor im Mitteldeutschen Verlag, von 1991 bis 2001 dessen Leiter, der Achtzigjährige kennt sie alle, zum Teil noch persönlich, es sind also alle versammelt: Samuel Fischer, Eugen Diederichs, Reinhard Piper, Peter Suhrkamp, Siegfried Unseld. Der Aufbau Verlag wie der Greifenverlag in Rudolstadt finden ihren Platz, ebenso die Verleger zu DDR-Zeiten: Hans Marquardt, Elmar Faber und Konrad Reich.

Die Gentlemen sind Walther am liebsten, so Albert Langen oder Anton Kippenberg von Insel. Immer wieder geht es um Gründeranekdoten und Mythen. Strenge Kritik ist Walthers Sache eher nicht. So kommt der alte Rowohlt besser durch die Nazizeit als in Wirklichkeit. Doch sehr wohl weiß Walther feine Akzente der Distanzierung oder Befremdung zu setzen, so, wenn Klaus Gysi als „wendig“ erscheint, Caspar Witsch als regelrechter Wendehals, der von den Nazis bruchlos zu den Kommunisten, von dort zum CIA-finanzierten Kaltkrieger sich bewegte. Denen jedenfalls, die ihre unmaßgeblichen Lebenserinnerungen als Book-on-Demand „verlegen“, schreibt er ins Stammbuch: „Einen Verlag macht man nicht, man lebt ihn“!

Bleiben wir bei Walthers seinerzeitigem Verlag, dem Mitteldeutschen. Andreas H. Apelt ist da so etwas wie der Hiddensee-Spezialist, seit 2012 sein autobiografisch motivierter Roman Ende einer Reise erschien, der auf Hiddensee spielt.

Sein inzwischen drittes Hiddensee-Buch ist ein Führer zu 99 Besonderheiten der Insel (99 oder 111 sind ja inzwischen einschlägig eine conditio sine qua non). Das geht kompakt und kundig kreuz und quer von Gerhart Hauptmanns Sommersitz zum Grab von Gret Palucca, zum Woodstock der DDR (die Huckekonzerte). Neben dem Haus Muthesius finden wir Holger Teschke und die Seebühne Hiddensee, neben Renate Seydel und der Buchhandlung Koralle Haus Weidermann und Hotel Heiderose.

Wilhelm Pieck und die blühenden Landschaften nicht zu vergessen. Das alles ist illustriert und animiert durch hellsommerlich verlockende Fotos von Günter Pump. Nun ist zwar der Sommer ziemlich dahin, aber dies Hiddensee noch lange nicht!

Wer Schäfer oder Schäferin für ein Schäferstündchen sucht, hat schlechte Karten. Die „Tierwirte, Fachrichtung Schaf“ (so die offizielle Bezeichnung) sind recht selten geworden. Sie haben kaum Zeit, Hand anzulegen, weil sie alle Hände voll zu tun haben, zum Beispiel mit Bürokratie und Wölfen. Wer von Landlust und deren unzähligen Derivaten angeödet ist, kann die Zeitschrift Schafzucht abonnieren. Da findet sich Nützliches rund ums Schaf. Nützlich machen können Naturfreund und -in sich auch, indem sie eine Freiwilligenausbildung zum Schutz der Schafe vor Wölfen absolvieren. In der Schweiz nennt man sie nett Hirtenhilfe. (Ist allemal besser als Bürgerwehr!) Ach ja, das Schaf: Einerseits gibt es so viele Sorten, dass man im Singular gar nicht von ihm sprechen kann, andererseits haben die allesamt keine Probleme damit, sich untereinander einzukreuzen, wenn man sie denn lässt. Dieses geduldigste unter den Menschheitsbekleidungs- und -ernährungsliefertieren ist, erfahren wir in Eckhard Fuhrs eleganter Eloge, nicht nur tragikomisches Liebesobjekt für Woolite-Trinker bei Woody Allen.

Es gab nicht nur schwarze, sondern auch menschenfressende Schafe. So nannte Thomas Morus die Herden, die die Feudalbesitzer in England sich zulegten und so die konventionelle Landwirtschaft zerstörten, die Kleinbauern in die Industriestädte vertrieben, Karl Marx wiederum zur Einsicht in die primäre Akkumulation verhalfen sowie aus dem schottischen Hochland jene Wüste machten, die späterhin als urtümlich verklärt wurde. Solches und viel, viel mehr weiß – wie in der Reihe Naturkunden selbstverständlich, mit artigen Illustrationen geschmückt – Eckhard Fuhr vom Schafe zu berichten.

Und nun abermalens Vögel: Rowohlt legt zur Stimulierung und Vertiefung einen Band vor, der 2016 in England erfolgreich war und uns die Genies der Lüfte preist. So langsam ist man, auch nur halbwegs aufmerksam, ja darüber informiert, wie pfiffig, ja, geradezu unheimlich lernfähig Vögel – oder zumindest bestimmte Arten – sein können. Selbst Städtebewohner könnten das mit eigenen Augen an den Krähen beobachten, die die Lufthoheit zu übernehmen bereit sind. Krähen spielen denn auch in Ackermans Beweisführung eine nicht geringe Rolle. Doch hat sie dabei nahezu die gesamte Voliere im Blick. Wie gute erzählende Sachliteratur sein soll, so berichtet sie profund in Publikationen wie bei Experten recherchiert, gut geschrieben, immer wieder mit persönlichen Anekdoten aufgefrischt, lässt so ein facettenreiches Bild entstehen und beglaubigt ihre Botschaft, dass Vögel auf ganz besondere Weise befähigt sind, sich veränderten Lebensverhältnissen anzupassen.

Info

Die Büchermacher. Von Verlegern und ihren Verlagen Klaus Walther Quintus 2017, 160 S., 20 €

Hiddensee. 99 Besonderheiten der Insel Andreas H. Apelt und Günter Pump Mitteldeutscher Verlag 2017, 160 S., 12,99 €

Schafe. Ein Portrait Eckhard Fuhr Matthes & Seitz, Naturkunden 2017, 136 S., 18 €

Die Genies der Lüfte. Die erstaunlichen Talente der Vögel Jennifer Ackerman Rowohlt 2017, 448 S., 24,95 €

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