Die Anbiederer der Macht

Stromlinienbraun Zwei Bücher zu Biographien im Nationalsozialismus

"Hitler, Adolf. Führer und Reichskanzler, ab. 4. 2. 1938 auch Oberbefehlshaber der Wehrmacht." So beginnt der einschlägige Artikel in Ernst Klees Personenlexikon zum "Dritten Reich". Man kann berechtigt zweifeln, ob insgesamt 18 Zeilen, im wesentlichen aus zwei Zitaten bestehend, die Hitlers Antisemitismus belegen sollen, hinreichen. Andererseits: Wer will nun ausgerechnet im Kontext von weit über 4.000 Kurzbiographien zu NS-Vor-, Mit- und Durchläufern, zu Fanatikern und Opportunisten, unfeinen Feingeistern und rüden Schlächtern, ergänzt aber auch um Gegner, sich erschöpfend über Hitler informieren müssen?

Ein merkwürdiges Lexikon, fürwahr. Da folgt zum Beispiel auf den germanistischen Karrieristen und nachmals in Bonn notorischen "Großordinarius" Benno von Wiese unmittelbar Simon Wiesenthal, KZ-Häftling in 13 Lagern und Gründer des Dokumentationszentrums des Bundes jüdischer Verfolgter in Wien. Klee möchte eben nicht nur die Täter-, sondern auch die Opferseite dokumentieren. Doch ist hier zwangsweise das Missverhältnis in den Proportionen besonders groß, wie auch zwischen den reichlich Medizinern und Naturwissenschaftlern - Klees Spezialgebiet - und Geisteswissenschaftlern, Künstlern, Militärs und Ingenieuren. So findet man den Chirurgen Ernst Seifert, aber nicht den "Reichslandschaftsanwalt" und Ost-Verschönerer Alwin Seifert, zwar den Verhütungsspezialisten Hermann Knaus, aber nicht den Vizepräsidenten der Lufthansa und späteren Luftwaffengeneral Robert Knauss. Die Schieflage kann man nicht Klee zum Vorwurf machen, zeigt sie doch eher einen Mangel der einschlägigen historischen Forschung bisher.

Dabei konturiert Klees für einen einzelnen ohnehin stupende Arbeit nachdrücklich, wozu eine umfassende Recherche der NS-Eliten nach wie vor nützlich wäre - nicht zur nachgetragenen Großelternbespitzelung, sondern als Grundlage, über eine kollektive Lebenslüge nachzudenken, der zu Folge es insbesondere die Brutalen, Dummen und Zukurzgekommenen gewesen sein sollen, aus denen der NS-Staat sich rekrutierte. Klees Lexikon zeigt indes, dass es nur allzu oft aus akademisch vorgebildetem Hause stammende Karrierebewusste waren, Technokraten der Macht, Konjunkturisten und Managertypen eher denn stiernackige Schlächter oder geifernde Fanatiker. Die konnten ihr Handwerk nur so ungehindert und so lange ausüben, weil von Ingenieuren bis Juristen, Medizinern bis Historikern, Wirtschaftsleuten bis Theologen alle in einem System mittaten, das ihnen entsprechende Privilegien und Gratifikationen gab. Sie mochten Sympathisanten oder Verächter sein, oft beides zugleich, allemal waren sie Profiteure.

"Bade, Wilfried. Reichsamtsleiter der Reichspressestelle der NSDAP. *4.2.1906 Berlin. Ministerialrat, Leiter der Abt. Zeitschriften in der Presseabteilung. Verbleib unbekannt." Zu diesen kargen Zeilen im Lexikon gibt es nun ein weit über die Person hinaus erhellendes Buch. Dass darin Klees Angaben, beginnend beim Vornamen, nämlich Wilfrid, und endend mit drei Varianten seines Todes in den letzten Kriegstagen, korrigiert werden, ist nicht so entscheidend wie das Signal des Titels: Stromlinien. Eine Stromlinien-Karriere. Oder genauer - eine Karriere, die sich nach der Stromlinie sehnte und daher durch alle erdenklichen Höhen und Tiefen, Sachgebiete und Personenkonstellationen schlingerte. Einer aus der Generation der "Unbedingten" (Michael Wildt), ein Vertreter "zynischer Sachlichkeit", der nicht zögerte, von Blut und Boden zu schwärmen.

Christian Härtel hat in seinem Buch, das auf akribischen Recherchen beruht und im besten Sinne klar und spannend geschriebenen ist, mehr als nur die Biographie dieses Stromlinigen geliefert, nämlich zugleich einen Einblick in die monströse Alltagswelt der NS-Propaganda. Es ist eine paradoxe Mischung aus Mediokrität und Exaltiertheit, die einem in diesem Bade, einer Figur im Schnittfeld von Kulturpolitik, Propaganda, Publizistik und "Dichtung", begegnet. Äußerlich könnte man die wesentliche Spanne der Biographie Bades als eine zwischen der Position des Regierungsrates und der Beförderung auf die des Oberregierungsrates kennzeichnen, dramatisch in Frage gestellt durch einen Autounfall mit tödlichem Personenschaden. Aber allein das schon, wie dieser Karrieremakel nach und nach aus der Berufsbiographie eskamotiert wurde, die Mischung aus Chuzpe und Larmoyanz, publizistischer Offensive und Antichambrieren im Netzwerk macht es zu einer Miniatur des Ganzen - und nicht nur des Lebens von Wilfrid Bade, sondern des kulturellen Subsystems wie des politischen Systems, in denen es angesiedelt war und die es mitproduzierte.

Die Brachialität des demonstrativen Autofahrers Bade könnte als Symbol des Ganzen dienen. Denn im Kern geht es um Technikfaszination, die über Verkehrs- Medien- und Kriegstechnik hinaus das Technische der Technik angeht: Macht- und Sozialtechnik. Im Kern dieser Biographie, steht eine unbedingte Markt- und Effizienzorientierung - bis hin zur Mimikry an den jeweiligen Partner oder Adressaten. Es ist der immer wieder vordrängende Selbstentwurf aus der Deckung der zweiten Reihe. Der sich zum Dichter berufen fühlende Bade, der sich als Journalist wiederum als "Nachrichtenindianer" geriert, der Apparatschik im System Goebbels, der den Dandy gibt, wie umgekehrt der verbummelte Bohemien, der mit Effizienz und Funktionalität des Apparates kokettiert, der private Liebhaber des Surrealismus eines Edgar Ende, der technokratische Unterhaltungspropaganda liefert, der Anbiederer der Macht, der zwischen den Kontrahenten Dietrich und Goebbels laviert, sich dabei zugleich selbst von Anbiederern hofieren lässt.

Einer, den es befriedigt, entscheiden zu können, welches Mitglied der Dichterakademie groß (zum Beispiel Blunck) und welches klein (zum Beispiel Benn) im Bild erscheinen darf. Bade selbst schreibt Buch um Buch. Auf Die SA erobert Berlin folgt Das Auto erobert die Welt. Von seinem utopischen Roman Gloria über der Welt gibt es eine technikfeindliche und eine technikfreundliche Variante. Er schreibt Gedichte von der Front, die er der Karriere wegen besucht, in denen wird der Panzer zur Heimat. Er gibt Eichendorffs stille Töne heraus und übersetzt Politrhetorik in Signale der Kunstanmutung, macht sich an Himmler heran, um als Opfer- und Untergangs-Dramatiker der SS einen letzten Griff nach "unsterblichem Ruhm" zu versuchen. Schließlich setzt er sich brachial für die Rettung des Nachlasses von Gerhart Hauptmann ein, um darin das Sammelsurium seines eigenen Lebens bis hin zur Hotelquittung als ein Kuckucksei einzuschleusen und es dergestalt auf die Nachwelt kommen zu lassen - nicht ohne die umsichtige Beigabe von Windeln für die Tochter ...

Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, S. Fischer, Frankfurt am Main 2003, 672 S., 29,90 EUR

Christian Härtel: Stromlinien. Wilfrid Bade. Eine Karriere im Dritten Reich, Berlin: be.bra 2004, 287 S., 24,90 EUR


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