Stephen Fry hat griechische Mythen nacherzählt. Das ist nicht so vollständig wie weiland Gustav Schwab und auch nicht so kindgerecht, eher fürs ehedem so benamste Rüpelalter und sein Spaßrepertoire. Was Fry aus der Götterei macht, changiert zwischen P. G. Wodehouse und Monthy Python. Und er hat mehr Spaß an List und Tücke, Mord und Totschlag sowie der sexuellen Vielfalt, die Schwab eher gar nicht verhandelte. Doch auch unsereins, für Eseleien immer noch zu haben, findet daran diebisches Vergnügen, denn Fry ist höchst gebildet. So ist, was scherzhaft wie flott daherkommt, fundiert und hintergründig. So, wenn er den Wettstreit zwischen dem Flöte spielenden Marsyas und Apollon mit der Leier nacherzählt, an dessen Ende der Sieger den Marsyas häutet. Wem das für den „ansonsten bewundernswerten Gott“ arg brutal erscheint, den verweist Fry auf den Mythenforscher Kerény: Apoll habe dem Satyr nur dessen sortentypische Fellkleidung ausgezogen. (Man kann’s auch als Geburt des Dudelsacks lesen.) Apropos diebisches Vergnügen: Hermes, gerade einen Tag alt, stiehlt, nachdem er en passant die heute verpönte Schildkrötensuppe erfunden hat, Halbbruder Apollon die Viehherde. Der darob arg Wütende ist besänftigt, als er die Lyra entdeckt, die Hermes aus dem Schildkrötenpanzer gefertigt hatte. „Bald zupften und klimperten sie wie aufgekratzte Teenager“. Naja …
Die Himmelsscheibe von Nebra ist so singulär wie ihre Geschichte abenteuerlich. Zunächst einmal die ihrer Habhaftwerdung – ein Thriller um einen pfiffigen sachsen-anhaltinischen Landesarchäologen, der sie Raubgräbern mithilfe der Schweizer Polizei auf einer Herrentoilette in Basel abluchste. Der, Harald Meller, hat nun einen ganzen Kosmos um sie gebaut. Oder gezaubert? Manchmal klingt es, als sei Erich von Däniken aus dem Weltraum retour. Demnach hat es vor 4.000 Jahren eine mitteleuropäische Kultur zwischen Ostdeutschland und Westpolen gegeben, die von Aunjetitz, deren Leistungen staunen lassen. Die Scheibe selbst ist eine mythenfreie Himmelsdarstellung, ein „Memogramm“, Darstellung der Phasenwechsel von Mond- und Sonnenjahr. Ihre Zutaten stammen aus Fernhandel: Gold aus England, Kupfer aus den Alpen, das Wissen aus dem Orient und die Herstellungstechnik aus Mykene. Selbst wenn man die darum gesponne‑ne despotie- weil schriftfreie Kultur für etwas tollkühn hält : ein spannender, aspektereicher Tauchgang in die Bronzezeit.
Nun zu den Bienen. Nicht zu Melissa, die die Götter mit Honig erfreute, sondern zu tänzelnden. Eigentlich zu Karl von Frisch, Entschlüssler der Bienensprache. Auch wenn man heute von komplexeren Bedeutungen dieser Tänze ausgeht, so wäre das ohne den darob nobelgepriesenen Österreicher unmöglich gewesen. Tanja Munz liefert eine ganz eigene historische Pointe. Die Nazis wollten von Frisch als „Vierteljuden“ zwangspensionieren. Wohl durch Einsatz von Bernhard Grzimek durfte er „kriegswichtig“ weiterforschen, offiziell über die Bienenseuche Nosemose. Gegen Kriegsende gelang ihm dann der Durchbruch in der Tanzentschlüsselung …
Von der Tanzsprache zum Nuschelsänger. Bescheiden Udo titelt sich die Biografie, die Thomas Hüetlin über dieses wundersame Unterhaltungsphänomen zusammen mit Selbigem geschrieben hat. Das kommt mit vollem lakonisch-nöligem Lässigkeitsduktus im Kurzsatzmodus daher, wie er dem Meister eignet. Es ist die klassische Erzählung von Aufstieg, Suff, Absturz und Errettung im Comeback zur Großkarriere, zum Karl Lagerfeld des Rock. Zugleich ist es nicht nur die Geschichte des deutschen „Panikpräsidenten“, sondern auch eine exemplarische Entwicklungsgeschichte der BRD.
Im Winter 1816/17 gab’s statt Schildkröten- massenhaft Rumfordsuppe. Die wurde zwar schon 1795 erfunden, aber weil sie, aus Graupen und Erbsen zubereitet, so preiswert wie nahrhaft war, wurde sie nun in Europa und Nordamerika flächendeckend zur Armenspeisung eingesetzt. Nötig war das, weil der gewaltige Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 die Welt mit einem Ascheschleier umzog, unter dem es radikal abkühlte. Auch bei Wolfgang Behringer wird breit gesehen. Das Naturereignis wird nicht nur mit Hungersnöten und Armenfürsorge, sondern auch mit ökonomischen, politischen und kulturellen Großwirkungen verbunden, mit Migrationsbewegungen und Pogromen, Antiliberalismus, Despotismus ebenso wie Endzeithysterie und schließlich noch dem Weihnachtslied Stille Nacht, heilige Nacht. Gleichwohl ist das packend in den facettierten, bewegenden und ungeheuerlichen Geschichten und auch in den Perspektiven: Behringer weitet den allzu engen wirtschaftlich-sozialen Blick auf die Rolle von Naturkatastrophen als weltgesellschaftliche Herausforderungen – ob nun menschen- oder erdgemacht.
Info
Mythos. Was uns die Götter heute sagen Stephen Fry Aufbau 2018, 448 S., 24 €
Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas Harald Meller, Kai Michel Propyläen 2018, 384 S., 25 €
Tambora und das Jahr ohne Sommer Wolfgang Behringer DTV 2018, 400 S., 14,90 €
Der Tanz der Bienen. Karl von Frisch und die Entdeckung der Bienensprache Tania Munz Czernin 2018, 360 S., 25 €
Udo Udo Lindenberg mit Thomas Hüetlin Kiepenheuer & Witsch 2018, 352 S., 24 €
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