Ein Mann ist ein Mann ist kein Mann

KLAUS MANN Nicole Schaenzler hat die bisher umfassendste Klaus-Mann-Biographie vorgelegt

Im Jahre 1932 notiert Klaus Mann ins Tagebuch: »Herr von Droste zu Hülshoff, Münsterischer Anzeiger, wünscht, dass ich bei Langemarck gefallen wäre; Sport im Bild lobt mich als mondänen Unterhaltungsschriftsteller, prophezeit, ich könne ein ›vielgelesenes Kind unserer Zeit‹ werden u.s.w.« Mit derzeit um die 9.000 Seiten im Druck, gibt es viel von ihm zu lesen, doch ist er nicht wirklich vielgelesen, schon gar nicht wie der Vater.

»Er war homosexuell. Er war süchtig. Er war der Sohn Thomas Manns. Also war er dreifach geschlagen.« Marcel Reich-Ranicki trifft den Nagel auf den Kopf, wie immer mit dem Hammer dort, wo es eher der Pinzette bedürfte. Ja, Klaus Mann lebte seine Homosexualität demonstrativ und machte sie literarisch zum Skandal einer Zeit, in der schwul sein noch mit h geschrieben und als Unzucht unter Männern scharf bestraft wurde. Er war süchtig. Er nahm Drogen. Er war todes-, schreibsüchtig und süchtig nach Anerkennung durch Thomas Mann. Daß er dessen Sohn war, hat er zu spüren bekommen. Die einen wollten im Angriff auf ihn den Vater treffen, andere lobten ihn aus Liebedienerei gegenüber dem Vater. Wieder andere haben ihm die komfortable Herkunft mißgönnt, den Startvorteil im Rattenrennen des Kulturbetriebs. Und Thomas Mann hat sich ihm gegenüber distanziert bis »tückisch« verhalten - wie er später selbst dem Sohn bekannte. Aber war der deshalb mit dem Vater geschlagen? Hat er nicht eher den Wunsch des Vaters nach dem Sohn als »Fortsetzung und Wiederbeginn« seiner selbst erfüllt, wie solche Wünsche eben erfüllt zu werden pflegen - als Horror? Oder war, wie der Sohn der väterlichen Schreib- und Lebenswelt zusetzte, eher ein Buhlen um die Zuwendung einer überlebensgroßen ›Mama‹ - die er in Form von Verachtung erhielt? April 1938, zur Entziehungskur, notiert er die Fragen des Psychiaters Ludwig Binswanger: »Heimweh zur Erde, zur MUTTER?«, kommentiert: »Es hilft mir auch nicht recht weiter.« Nicole Schaenzler folgert daraus: »Den ›Vater-Komplex‹ hatte der Arzt auf seiner Suche nach den psychologischen Motiven offenbar unbeachtet gelassen.« So blind wird der Psychiater nicht gewesen sein. Eher notiert der Patient hier seine Abwehr. Der Vater als ›Mutter‹. Wenn man schon psychologisieren will, dann wäre jedes Spiel über die Bande Klaus Mann angemessener als die Befolgung der üblichen hausbackenen Rezepte. Die bisher umfassendste Biographie, die zudem angemessen und wohl abgewogen aufs Werk eingeht, Nicole Schaenzlers insgesamt zuverlässiges und informatives Buch, ist in der Rezeptur der Einfühlung arg brav, geradezu mütterchenhaft, wenn sie Klaus Mann unbedingt in festen Bindungen sehen will, von denen sie offenbar annimmt, daß sie ihn von sich erlöst hätten. Was, wenn er statt der dauerhaften Beziehung eher die Sehnsucht nach der festen Bindung brauchte? Es ist unwahrscheinlich, daß Klaus Mann nur »geschlagen« war. Wahrscheinlicher ist, daß er auch getroffen hat - sich wie die anderen. »Das ist ein Mann und doch kein Mann«- hatte Kadidja Wedekind 1924 zur Verlobung ihrer Schwester Pamela mit Klaus Mann in einem Spottgedicht geschrieben - im Faksimile nachzulesen in dem außergewöhnlich umfassenden, sorgfältig und kenntnisreich zusammengestellten Bildband von Uwe Naumann. Er war auf andere Weise als der Vater ›kein Mann‹ und er war weder Thomas Mann noch ausschließlich dessen Sohn. Warum soll man einen solch professionell selbstbeobachtenden Selbstdarsteller nicht ernst, beim Wort und als das nehmen, was er behauptete zu sein: »Kind dieser Zeit«?

Der Titel der Autobiographie von 1932 hat dem Vater die Vaterschaft genommen. In ihm bekannte er sich zu einer denkbar schlechten Kinderstube, zu einer Herkunft, die alle anderen seiner Zeit strikt leugneten. Natürlich zeigte das Buch, was es hieß, als Kind der Mann-Familie aufzuwachsen, zu der auch der bewunderte Onkel gehörte. Er trug den Zwist schon im Namen: Klaus Heinrich Thomas Mann. Diese Kindheit und Jugend steht von Anfang an unter Medienpräsenz, unter Literalität und Theatralik, Produktionszwang und Kritik - des Vaters, dessen illustrer Freunde wie der eigenen. Er attestiert sich »dünkelhaften und zerknirschten Narzißmus«, offenbart, daß er das »Extravagante, Exzentrische, Anrüchige« bewußt gegen das Maßvolle des Vaters gesetzt habe, obendrein, daß erst »nach den Geständnissen das eigentliche und wahre Geheimnis beginnt«.

Er hat sich da bereits zwei eigene Domänen erobert, in deren Namen er schreibt und spricht: Jugend und Europa. Dieses ist nicht nur politisch, sondern auch mondän, jene nicht nur frisch und gläubig, sondern skandalös egozentrisch, triebversessen und süchtig.

Es dauert nicht lange, da werden ihm beide entzogen. Europa ist, wo nicht bereits faschistisch, von der Okkupation durch den Nationalsozialismus bedroht. Die Jugend marschiert hinter den Rattenfängern, und die eigene Jugendlichkeit schwindet im Rauschgift.

An die Stelle von Jugend und Europa treten Familie und Nation. Bewußt setzt er die Familie ein, um die personality-süchtigen Amerikaner antifaschistisch einzunehmen: »Ein Ausländer, der ein typisches deutsches, bürgerlich gebildetes Haus sehen wollte, konnte kein typischeres finden als das unsere«, in dem »zwei recht überzüchtete, recht reife Familien sich regenerieren, indem sie sich vermischten.« Besser hätte das auch der Vater nicht kalkulieren können. Er, der angeblich so Indezente und Skandalgrelle, zeigt die Quelle seines nahezu untrüglichen Gespürs für die Nuancen der Zeit - bürgerliche Geschmacksbildung: »Gegen die peinlichen Eigenschaften der eigenen Nation ist man empfindlich; man reagiert auf sie mit schmerzhaft geschärften Sinnen.« Das schreibt er im Pariser Exil in einer Besprechung von Filmkomödien aus dem Nazi-Reich, um sich darin effektvoll vor den »hochbezahlten Puppen« Albers, Meyrinck, Gründgens, mangelnder Anmut und Humorferne zu ekeln.

Klaus Mann schreibt und schreibt. Sein Tagebuch legt »mit der trockenen Akkuratesse eines Buchhalters der Firma Buddenbrook« (so treffend Ulrich Weinzierl) unablässig Rechnung nicht nur über Morphium-, Sexkonsum und Suizidversuche, sondern auch übers Geschriebene. Läßt man die Theater- und Cabaret-Stücke, die Reisebücher und das beiher Hingeworfene außer acht, dann sind das fünf ineinander verflochtene Stränge: Publizistisches und Tagebuch, die beiden Autobiographien - Kind dieser Zeit und The Turningpoint (1942) / Der Wendepunkt (1952) -, historisch fernere oder nähere Spiegelprojektionen: Alexander der Große in Alexander (1930), Tschaikowski in Symphonie pathétique (1935), Ludwig II. in Vergittertes Fenster (1937) und Andre Gide (1943/1948). Und es sind schließlich die Bücher erklärter Zeitgenossenschaft, Bücher, die nicht zum Kanon des Bedeutendsten gehören, die aber zunehmend konkurrenzlos sind, wenn es darum geht, Jüngere zur Auseinandersetzung mit der ersten Hälfte des Jahrhunderts in ihrer Komplexität des Politischen wie Privaten zu verlocken und herauszufordern: Treffpunkt im Unendlichen (1932) und die Zwillinge Mephisto (1936) und Der Vulkan (1939) - Karriere im Reich und Schicksale der Emigration. Mephisto, der ihm wahrscheinlich fernste Roman, enthält seinen »Bruder Hitler«, Hendrik Höfgen. In ihm prozessiert er mit dem Selbstverdacht des bloß Komödiantischen, Simulatorischen und Chamäleonhaften. In ihm kapselt er die Selbstzweifel ab, in zunehmender Gewißheit, eine ernsthafte Aufgabe gefunden zu haben. Das Exil als Aufgabe. Gerade darin zeigt sich der Fond seiner Selbstzweifel, des Sogs in die Sucht, der Todessehnsucht, nämlich ein ganz eigentümliches, ursprüngliches Vertrauen, eine geradezu kindliche Anhänglichkeit und Arglosigkeit. Wenn er die Zeitschrift Die Sammlung konzipiert, dann glaubt er daran, daß man ihm in seinen Absichten vertrauen, daß ihm gelingen wird, alle die disparaten und bis zur Heimtücke verfeindeten Kräfte des Exils zu bündeln. Er verhält sich so, wie er meint, daß auch die anderen es können müßten. Der ›Komödiant‹ ist ehrlich, und der Selbstbekümmerte nimmt sich fürs gemeinsame Ziel zurück. Er ist gegen den Stalinismus gefeit wie nur irgend jemand, aber er wird als stalinistischer Agent verdächtigt. Er nimmt das hin, wie die Enttäuschungen der Liebe: unglücklich, gekränkt - und verzeihensbereit. Er gerät, mehr durch andere als durch sich, ins Abseits, aus dem er, der inzwischen nur noch in englischer Sprache publizierte, in amerikanischer Uniform wieder herauskam, soweit das überhaupt möglich war. Dabei wäre sein Eintritt in die Armee beinahe gescheitert. Angeblich wegen seiner Syphilis, tatsächlich aber wegen der FBI-Akten voll übelster und irrster Denunziationen, wurde er mehrfach zurückgewiesen, bis er dann Januar 1943 die Uniform anziehen und ein Jahr später in Neapel seinen Dienst bei der psychologischen Kriegsführung antreten konnte.

Zwei Tage nach der deutschen Kapitulation stand er vor dem schwer zerstörten Elternhaus in München. Mit Kriegsende verstärkten sich wieder die Depressionen und Qualen - neuerliche Suizidversuche, vom Vater als Disziplinlosigkeit mißbilligt.

Am 21. Mai 1949 wachte er nach einer Überdosis eines ›Entwöhnungsmittels‹ nicht mehr auf. Bis auf den Bruder Michael, fehlten Freunde und Familie bei der Beerdigung. Auf dem Grabstein in Cannes steht in englischer Sprache der Bibelvers: »wer aber sein Leben verliert, der wird's erhalten.«

Nicole Schaenzler: Klaus Mann. Eine Biographie, Frankfurt a. M. u. New York: Campus 1999, 464 Seiten, 48 DM

Uwe Naumann (Hg.): »Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß«. Klaus Mann (1906 - 1949). Bilder und Dokumente, Reinbek: Rowohlt 1999, 351 Seiten, 600 Abbildungen, 98 DM

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