Ein Montaigne für den ÖPNV

Sachlich richtig Literaturprofessor Erhard Schütz befasst sich in seiner Kolumne diesmal mit dem Vergnügen des Menschenverstehens
Ein Montaigne für den ÖPNV

Illustration: Otto

„Hier bin ich Mensch, hier les ich rein.“ Der Spruch auf dem Titel zeigt den ganzen Jammer der reinlesenden Menschheit: Was als Kolumne oder im Blog erfolgreich war, möchte der Autor gerne zwischen Buchdeckeln sehen, und der Leser greift zu, weil er’s gerne nachlesen mag. Für den Autor funktioniert der Buchtrick, für den Kunden nicht. Sobald er ein paar dieser Texte hintereinander verschlingt, schleicht sich Ödnis ein. Mit Tom Königs Irrwitzigem aus der Servicewelt ging es mir jedenfalls so. Was ich nebenbei gerne zum Schmunzeln oder Runzeln las – hier wirkt es, als stünde ein bucklicht Männlein neben mir: Haha, hast du den Witz auch verstanden? Also, kommt ein Mann ins Bauhaus, gerät in die Warteschleife, bekommt sein Päckchen nicht. Gut nicht? Nochmal. Kriegt einer seine Daten nicht zurück, bestellt im Internet, braucht ein Ersatzpasswort – und dann meldet er sich auch noch bei 1&1 an! Zurückgeben? Verschenken? Irgendwo liegen lassen? Behalten – als Memo.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen so wenig über sich und andere wissen – allen voran derjenige, den man im Spiegel sieht. Wenn man nur wüsste, wer einem den Trick verraten kann. Martin Betschart ist, ausweislich Klappentext, „einer der renommiertesten Keynote-Speaker“. Er will uns, die wir ihn nicht live hören können, im Buch erklären: „Wie man Menschen durchschaut.“ Da haben sich meine Tasten gleich auf Krawall eingestellt und die Nackenhaare der Maus gesträubt. Soll man aber nicht, wenn man professioneller Menschenkenner werden will, sagt Herr Betschart, sondern die Perspektive des andern übernehmen. Habe ich zu tun versucht. Und: Das ist ja alles gar nicht so doof. Der zentrale Ratschlag sitzt nun: Behandele den anderen nicht wie du behandelt werden willst, sondern wie er behandelt werden möchte. Also: endlich ein Buch, das durchschaut, wie ich ticke!

Der unvergleichliche Michael Althen. Warum musste er so früh an Krebs sterben? Nicht zum Trost, aber wenigstens das: Es gibt ein Bändchen. Nein, nicht seiner Filmkritiken. Die wird es, dann in stattlicher Wucht, hoffentlich in nicht allzu großer Ferne auch noch geben. Hier erst einmal seine Geschichten aus dem wahren Leben, seine FAZ-Kolumnen und die Kindergespräche aus der SZ. Anders als die üblicherweise dahingepfiffenen Witzigkeiten sind das haltbare Stücke, schon durch das Mäandern der Gedanken und Einfälle, das einsetzt, kaum hat die Frau etwas gesagt. Was soll ich dir schenken? Was schenken wir? Lass uns spielen. Ich habe nachgedacht. Ja, guter Wille und hinhaltender Widerstand hilft da nicht. Und schon taumelt die arme Seele treppab, von Missgeschick zu Vergesslichkeit. Hermann Hesses Stufen sind da gar nix. Aber wir begreifen mit ihm, dass Banken auch nichts anderes sind als die Zeugen Jehovas und das Überflüssigmachen von Passwörtern nur zu abgeschnittenen Fingerkuppen führt. Dies Bändchen hingegen führt zum melancholischen Vergnügen des Menschenverstehens. Ein, sagen wir, Montaigne für den ÖNVP.

„Letztlich ist Kochen wohl so eine Interpretationssache. Man muss die Fähigkeit entwickeln, aus dem Verfügbaren jene Schlüsse zu ziehen, die man in keinem Kochbuch lernen kann.“ Michael Althens Vermutung würde sich Julian Barnes wohl anschließen. Obwohl der Pedant in der Küche, der sich strikt an die Kochbücher hält, schnell in Panik gerät: Wie viel ist hinreichend Butter, wie groß ist eine mittlere Zwiebel? Julian Barnes kennt sie alle, die Ängste des kochenden Mannes. Zerrt sie aus dem Küchendunst unters Leselicht und macht daraus ein schieres Vergnügen. Die Kochbuchklassiker, mit denen er sich herumschlägt, sind hierzulande fast alle unbekannt, macht aber nichts, weil man sofort die deutschen Gegenstücke herbeiimaginieren kann. Mann sollte es sich selber besorgen, ehe Frau es tut. Dann hat man eins für die Eselsohren und das andere zum Verschenken.

Ich bin ein Kunde, holt mich hier raus. Irrwitziges aus der Servicewelt Tom König KiWi 2012, 240 S., 8,99 €

Ich weiß, wie du tickst. Wie man Menschen durchschaut Martin Betschart dtv 2012, 192 S., 9,90 €

„Meine Frau sagt …“ Geschichten aus dem wahren Leben Michael Althen Blessing 2012, 176 S., 14,95 €

Fein gehackt und grob gewürfelt. Der Pedant in der Küche Julian Barnes KiWi 2012, 144 S., 8,60 €

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