Eine reichere Umwelt

Kunstförderung Ist der Staat verpflichtet, für ästhetische Reichhaltigkeit zu sorgen?

Im Zeichen der luxuriösen Schulden öffentlicher Kassen spürt die Kunst, die sich ohnehin nie genug gefördert fühlte, den Druck zum Einsparen besonders heftig. Über den Wursteleien der lavierenden Geldverteiler und den Wuseleien der konkurrierenden Empfänger vergisst man jedoch nur allzu leicht, nach den Konditionen zu fragen, unter denen da agiert und lamentiert wird.

Das wurde zuletzt wieder deutlich durch die insgesamt löbliche und auch interessante Tagung zum "Bündnis für Theater", wo für das Versprechen verbesserter Marketingstrategien, vermehrter Medienpartnerschaften und gesteigerter Publikumsnähe im Gegenzug die Festschreibung der Kultur als kommunale Pflichtaufgabe gefordert wurde (s. Freitag 48/2003). Es war übrigens ausgerechnet der Deutsche Städtetag, die Vertretung der Kommunen, die ersteres wohl, letzteres aber gar nicht gern hörte. Bei der Titanic-Situation der meisten Städte nicht verwunderlich. Denn wer, wenn nicht die Kommunen, müssten die so eingeforderte Pflicht erfüllen? Aber warum überhaupt sollen sie sich den Appell zur Pflicht überhaupt anhören? Welche Gründe werden denn geltend gemacht, außer der Not der Künstler, der Kultur- und Kunstinstitutionen und der schwindenden Versorgung und Wahlfreiheit des Publikums? Es ist schon erstaunlich, wie wenig man sich einfallen lässt, um jene vagen Gründe, die zudem schon in früheren, besseren Zeiten längst verschlissen worden sind, durch handfestere Argumentationen zu ersetzen. Dass das nicht geschieht, liegt - zugestanden - vorderhand nicht bloß an Einfallslosigkeit oder Denkfaulheit der professionellen Kulturministranten, sondern ist der Sache selbst nach höchst prekär.

Sowohl Künstler als auch Kunstinstitutionen fühlen nicht nur Druck und Not, sondern stecken objektiv in einer bemerkenswerten Klemme. Auf der einen Seite hat sich ihre Zahl in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt so sehr vermehrt, dass ihre Alimentation auch unter den alten, besseren Bedingungen zunehmend schwieriger geworden ist. Was überm Jammer gerne vergessen wird: Die öffentlichen Zuwendungen insgesamt sind in den zurückliegenden Jahrzehnten kontinuierlich und deutlich angewachsen! Aber da die öffentlich geförderten Institutionen vor allem durch die Personal- und Fixkosten gewürgt werden, und zugleich die Zahl derjenigen, die als Einzelkämpfer oder in Gruppen Unterstützung einfordern, in wesentlich höherem Maße gestiegen ist, erscheinen selbst die größeren öffentlichen Zuwendungen als relativer Rückgang. Nun kommt ein realer Reduktionsdruck hinzu, nicht nur öffentlich, sondern auch privatwirtschaftlich. Denn auch in der Wirtschaft sind Gebefreudigkeit, Offenheit gegenüber Newcomern und die Bereitschaft, sich dauerhaft zu binden, kräftig geschwunden. Auch die Wirtschaft sieht sich gezwungen, wirtschaftlicher zu denken. In jedem Falle üben öffentliche wie private Geldgeber entschieden höheren Druck zur Rationalisierung aus - und dies geschieht zunehmend unter Kontrolle und Steuerung durch die Zuwender. Dadurch beschränkt sich Denken in Kategorien des Marketing zunehmend nicht mehr nur auf die institutionelle Seite, sondern tangiert die Produkte und Produktionen selbst. Auch dies ist eine Spirale im "Steigerungsspiel" (Gerhard Schulze).

Auf der anderen Seite werden Künstler und Künste just von jenem Marketing, in dessen Namen sie dem Controlling unterworfen werden, hofiert: kaum eine neuere Veröffentlichung zum Management, in der sie nicht als Vorbilder kreativer Selbststeigerung empfohlen werden. Eine Wirtschaft, die ihre Kategorien von der Kunst bezieht, ein Management, das sich als künstlerisch empfindet, kassiert den Spiel- und Existenzraum der Kunst. Der Medienphilosoph Norbert Bolz eilt dem einmal mehr voraus, indem er schon ihren Umzug vom Elfenbein- in den Kontrollturm verkündet. Wäre dem so, dann wären die Künste auf jenem Wege, an dessen Ende die Unternehmensberater zu stehen pflegen, die "Nischenkehrer, Umständlichkeitsglätter und Zufallsvernichter" (Klaus Kurbjuweit). Kurz, sie arbeiteten der Vereinfältigung der Welt zu, deren Vervielfältigung gerade ihnen als "Möglichkeitsermöglichern" (Niklas Luhmann) doch aufgegeben ist. Während also von der einen Seite eine legitimatorische Expropriation der Kunst betrieben wird, entziehen auf der anderen die finanziellen Nötigungen der öffentlichen Hand einer realen Vielfalt die Basis.

Die Krux in alledem scheint nun allerdings, dass - abgesehen vom Gewohnheitsrecht des Lamentierens - die öffentliche Förderung von Kunst gar nicht so ohne weiteres zu legitimieren ist. Und sie wäre es noch weniger, wenn sie das würde, was sie den wirtschaftenden Theoretikern nach sein soll, eben ökonomische Innovationsressource und Kreativpotenzial fürs Management. Kunstförderung wäre dann kaum mehr anderes als eine Form der Wirtschaftsförderung. Bisher waren die Begründungen für Kunstförderung ja eher am anderen Ende angesiedelt, nahe der Sozialhilfe. Denn unter der grundsätzlichen Annahme staatlicher Neutralität in Fragen ästhetischer Wertung hat staatliche Kunstförderung nach bundesrepublikanischer Art bisher in einer Dämmer- oder Grau-in-grau-Zone des Sozialstaatlichen stattgefunden - Künstlerförderung als fürsorgliche Unterstützung solcher, die aufgrund finanzieller Not in ihrer Kunstausübung behindert waren. Oder, etwas genereller und kunstnäher gefasst, in der Formel: "Fördern, was es schwer hat." Was freilich im Blick auf zum Beispiel den öffentlichen Ankauf von Kunstwerken Verblichener für Museen durch die öffentliche Hand nicht mehr recht geltend gemacht werden konnte, es sei denn hinsichtlich der sozialstaatlichen Fürsorge für das geistige Wohl der potentiellen Besucher. Die jedoch gehören bekanntlich in der Regel zu einer recht distinkten Schicht, die es weder intellektuell noch finanziell gar so schwer hat. Da schiene eine konsequente Nichtmehrförderung zumindest im Blick auf Egalität wesentlich gerechter. Und das um so mehr, wenn zukünftig durch eine noch vereinzeltere und noch stärker auswählende Förderung potentielle Fehlentscheidungen, Ignoranzen oder Spezeleien noch krassere Schieflagen hervorbringen würden.

Hier nun könnte ungeahnte Hilfe kommen - ausgerechnet vom Staatsrecht her. Jedenfalls dann, wenn man der Argumentation folgt, die im vergangenen Jahr Stefan Huster vorgelegt hat. Huster, dessen kluge Rechtskommentare man immer mal wieder im Merkur lesen konnte, hat nämlich 2002 eine hochinteressante Habilitationsschrift zur ethischen Neutralität des Staates veröffentlicht. Darin setzt er sich in einem großen Kapitel mit der staatlichen Kunstförderung auseinander. Nach seiner Argumentation nun hätte der Staat nicht nur wie bisher ein - zudem recht ungewisses - Recht, Kunst zu fördern, sondern rundweg die Pflicht dazu! Bisher hat man die Freiheitsgarantie gegenüber der Kunst (GG. Art. 5, Abs. 2) ja eher lavierend als Gebot eines auch aktiven Schutzes durch den Staat ausgelegt, ohne dabei die grundlegende Freiheit der Kunst vor dem Staat antasten zu wollen. Huster geht nun einen anderen Weg. Er argumentiert nicht im Blick auf mögliche Sonderkonditionen für Künstler, Kunstwerke und Kunstinstitutionen, sondern auf das staatliche Gesamt. Er geht davon aus, dass Kunst die Welt reichhaltiger mache als sie ist und als sie die Ökonomie macht: "Ästhetisch ambitionierte Kunst führt zu einer reichhaltigeren, differenzierteren und komplexeren Struktur der intellektuellen und ästhetischen Umwelt." Die Kunst völlig dem Markt zu überlassen, bewirkte hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit, "daß die kulturelle Struktur ärmer wird, weil sich die Interessen an ihrer Verbesserung und der Erhaltung ihrer Pluralität nicht vollständig in den Marktbeziehungen niederschlagen." Wenn diese Annahmen gelten, dann wäre eine staatliche Förderung von Kunst als Förderung eines öffentlichen Gutes, von dessen Vorteilen auch nicht unmittelbar an Kunst Interessierte profitierten, zwingend geboten. Der Staat erfüllte damit nämlich seinen ethischen Auftrag zur Optimierung der allgemeinen Lebensumstände in seinem Geltungsbereich.

Hier wird also staatliche Förderung gerade nicht aus dem individuellen künstlerischen Freiheitsgebrauch gerechtfertigt, sondern dient der Korrektur der Ergebnisse eines individuellen ökonomischen Freiheitsgebrauchs. Insofern müsste es Kunstförderung nicht wegen, sondern trotz der Kunstfreiheitsgarantie geben. Denn Kunst als ein öffentliches Gut zu begreifen, schließt nicht das Anrecht eines Individuums ein, in seiner Kunstausübung staatlich gefördert zu werden. Der Einzelne hat als Bürger wohl ein Anrecht darauf, dass Kunst gefördert wird, aber in seiner Eigenschaft als Künstler kein Anrecht auf Förderung seiner Kunst. Und sei sie noch so gut. Für die vielen, gar nicht oder nur geringfügig an Kunst Interessierten wiederum bedeutete Kunstförderung keine Verletzung des Gebotes staatlicher Neutralität: Die Zumutung, zu etwas beizusteuern, das einen gar nicht interessiert, wäre durch den Erhalt und Verbesserung einer reichhaltigeren Umwelt und kultureller Strukturen gerechtfertigt. Sie kämen ja allen Lebensweisen innerhalb des Staates mittelbar zugute. Insofern wäre die Förderung von Kunst vergleichbar mit der Förderung von zum Beispiel Grundlagenforschung oder der Bereitstellung und Verbesserung technologischer Infrastrukturen.

Dieser Argumentationsgang erscheint zunächst einmal ebenso zwingend wie verführerisch. Selbst die Kommunen könnten leichteren Herzens und noch leereren Säckels dieser Pflichtaufgabe zustimmen, da sie erst einmal den Bund und die Länder in die Pflicht nähme, sie in den Stand kultureller Versorgung ihrer Bürger zu versetzen. Aber bei nur oberflächlichem Hinsehen schon ergeben sich aus diesem verlockenden Argumentationsgang brisante, knifflige, allerdings auch streitenbare Fragen. Zuerst einmal müsste nämlich über Kunst und Kultur nicht mehr nur in sozial-ethischen Kategorien diskutiert werden, sondern endlich auch in ästhetischen. Zuallererst müsste die Grundannahme der größeren Vielfalt und dann die einer so richtigen und guten Vielfalt erhärtet werden. Nimmt man einmal an, das sei geschehen, und der Staat habe wegen kultureller Vielfalt und komplexerer intellektueller und ästhetischer Strukturen die Pflicht zur Kunstförderung, dann hat er allerdings auch die Pflicht, zwischen Künsten und Kunstwerken zu unterscheiden und zu werten: Ob sie nämlich der Vielfalt und Reichhaltigkeit mehr oder weniger gerecht werden. Er hätte mithin zwischen guter und weniger guter Kunst zu unterscheiden - und könnte nicht mehr auf einem Gebot zu ästhetischer Neutralität gründen.

Sodann wäre zu klären, ob er sich der Bewahrung, dem Erhalt und der Zugänglichkeit bestehender Kunst widmen oder nicht ebenso - im Sinne der Nachhaltigkeit - für die Entstehung neuer, guter Kunst Sorge tragen muss. Wie lässt sich überhaupt eine Förderung von Kunst, die erst noch welche werden will, begründen? Welche Kriterien gäbe es zu einer Gewichtung der einzelnen Künste unter- und gegeneinander? Muss zum Beispiel die Filmförderung finanziell höher liegen als - sagen wir - die Literaturförderung, nur weil es teurer ist, einen Film zu produzieren? Ja, wie ließe sich überhaupt die derzeitige Filmförderung noch rechtfertigen, wenn Marktangepasstheit im begründeten Verdacht stünde, eher zur Verarmung als zur Verreichlichung beizutragen? Und was passiert, wenn geförderte Kunst sich als ausgesprochen marktgängig erweist? Förderte die Förderung von noch mehr bildender Kunst noch mehr Vielfalt oder bloß die verstärkte Präsenz von Einfalt? Und so fort.

Da bei der Realisierung dieses juristischen Gedankenspiels nahezu alle Akteure und Profiteure der noch so verarmenden öffentlichen Hand vorderhand sich um ihr Verbleiben im Spiel sorgen müssten, wird es wohl beim bisherigen Wursteln und Wuseln bleiben. Ein Ausweg jedoch würde sowohl die alten Unzulänglichkeiten wie die neuen Schwierigkeiten beseitigen: Wenn man nämlich aus dem plausiblen Gebot der Förderung ästhetischer und intellektueller Reichhaltigkeit den Schluss zöge, alle mögliche Förderung in die Ausbildung der Urteils- und Hervorbringungsfähigkeit aller Bürger zu investieren, dann wäre eine weitergehende Förderung ohnehin nicht mehr nötig. Zwischenzeitlich, auf dem Wege dahin könnte jedenfalls eine allgemeinere Diskussion dieses Ansatzes und seiner Konsequenzen zumindest die Argumente der Interessierten schärfen - und das wäre in jedem Falle der Kunst förderlich.


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