Erich Mielke und das Homogenozän

Sachlich richtig Literaturprofessor Erhard Schütz über erweiterte Geschichtsschreibung
Ausgabe 48/2013

Cola und Burger allüberall in der Welt. Die Pommes dazu kamen mal aus Peru, die dazu passende Blaufäule wiederum machte u. a. Irland arm und ließ massenhaft Iren die USA bestücken. Zuckerrohr kam aus Neuguinea schließlich in die Karibik, die passenden Sklaven aus Afrika. Solche Sachen kennt man noch aus dem Unterricht, der Erdkunde hieß. Was alles mehr an Pflanzen, Tieren, Krankheiten und Menschen zum weltweiten Austausch gehörte und wie grundsätzlich das unsere Welt prägt und prägen wird, hat Charles C. Mann mit dem Begriff Homogenozän zu fassen versucht und in faszinierenden, gut lesbaren Kapiteln aufgefächert.

Dass der wirtschaftliche und kulturelle Austausch schon zu Höhlenbewohners Zeiten geradezu weltweite Ausmaße hatte, wird immer mal wieder von Forschern verkündet. Die Geschichte der Menschheit seither könnte man in ihrer Dynamik mit Begriffspaaren wie Austausch / Abgrenzung, Homogenisierung / Differenzierung, Ko- / Kontraexistenz u. Ä. zu fassen versuchen, aber könnte man sie so auch erzählen? Der junge israelische Historiker Harari bewegt sich zwar entlang solcher und ähnlicher Kategorien, seine kurze, aber dicke Geschichte der Menschheit lässt er über die Stationen: kognitive Revolution, die die anderen Primaten zurückließ, landwirtschaftliche Revolution, Vereinigung der Menschheit qua Geld und Gott und daraus folgernde Weltreichvisionen in die wissenschaftliche Revolution übergehen, um am dicken Ende das Ende des Homo sapiens auszurufen. Seine Nachgedanken zum menschlichen Weg vom Tier zum Gott sind zwar lau, aber alles davor ist von beeindruckender Vielfalt und Klarheit.

Die Numantier kennt man nur noch, weil römische Geschichtsschreiber ihren vergeblichen Freiheitskampf im iberischen Norden gegen das Imperium festhielten. Imperien werden von Knaben geträumt und von Weisen gefürchtet. Und selbst Imperatoren werden sie irgendwann zu viel. Mark Mazower hält sich erst gar nicht bei den Römern auf, sondern beginnt mit der Zeit vor 200 Jahren, mithin mit Napoleon und den Folgen. Aber er erzählt dann gar nicht so sehr die unrechten Versuche zur Weltherrschaft als vielmehr die Versuche, dem eine vernünftige Weltorganisation entgegenzusetzen: die ursprünglichen Impulse zur arbeiterlichen Internationale z. B., ehe sie zur stalinistischen KI wurde; der Optimismus einer welteinigenden Wissenschaftlichkeit; nach 1914 der Völkerbund. Dann die UNO, Versuche zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die NGOs, deren jeweilige Impulse, Versagen und Gegenspieler. Ein bedenkenswertes Buch.

Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen – Na ich liebe doch – Ich setze mich doch dafür ein.“ – so seinerzeit ein gewisser Erich Mielke. Er hat’s wohl wirklich geglaubt. Jedenfalls liegt das nahe, wenn man Stefan Wolles Geschichte zu Alltag und Herrschaft in der DDR 1949 bis 1961 liest, den dritten, nachgetragenen Band zu seiner Gesamtdarstellung bis 1989. Für die Kominform war 1947 klar: Die kapitalistische Wirtschaft muss aus der Welt verschwinden. Wollte aber nicht. Dann gab es da noch die Amerikaner – der Buhmann bedrohte mit Bomben und Bananen den sowjetischen Weltfrieden. Moskaus unantastbare Führung, die SU als Vorbild, mithin Parteidiktatur und Planwirtschaft, die Teilung Deutschlands in die zukunftsweisende Ost- und die rückwärtige freiheitslügende Westwelt – und in alledem die Herrschaft des fixen Glaubens über jedwede Realität, mal väterchenhaft, meist aber exorzistisch. Anhand dieser Leitlinien geht Stefan Wolle zurück ins ideologische Schrifttum – um noch einmal die Mixtur aus Blauäugigkeit und bestem Willen, aus Borniertheit und Schläue, Opportunismus und Beseeltheit, Feigheit und Chuzpe, Unfähigkeit und Unberatenheit, vor allem aber Selbstbeschiss und Fremdbetrug erstehen zu lassen.

Kolumbus’ Erbe
Charles C. Mann Rowohlt 2013, 807 S., 34,95 €

Eine kurze Geschichte der Menschheit
Yuval Noah Harari DVA 2013, 526 S., 24,90 €

Die Welt regieren. Eine Idee und ihre Geschichte
Mark Mazower C. H. Beck 2013, 464 S., 27, 95 €

Der große Plan. Alltag und Herrschaft in der DDR 1949 – 1961
Stefan Wolle Ch. Links 2013, 438 S., 29,90 €

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