Freund und Genuss

Six-Pack Sachbuch

Um gleich mit dem dicksten Brocken zu beginnen: Am 9. Januar 2008 wird Wilhelm Busch vor hundert Jahren dahingeschieden sein. Das ist kein Grund zum Feiern, aber um so mehr zur gründlichen Dankbarkeit. In meiner Generation war er das heilsamste Antidot zu Karl May, den man etwas später las. Wo anders als bei Busch hätte man so elementar früh etwas über die grundsätzliche Einrichtung der Welt und der Menschen lernen können? Vor allem: ohne dass man merkte, etwas zu lernen? Die in der Erinnerung zumindest wunderbare Ausgabe der Kindheit ist unter den Händen meines Bruders vollends zerfleddert, eine später gekaufte, von Rolf Hochhuth betreute, hat mich ästhetisch nie befriedigen können. (Wofür ausnahmsweise Hochhuth nichts konnte.) Dann habe ich zu spät reagiert, als eine historisch- kritische Gesamtausgabe angekündigt wurde. Sie war blitzschnell restlos weg. Bei ZVAB wurde sie bald für 600 Euro gehandelt. Und jetzt die frohe Botschaft: Es gibt eine zweite, überarbeitete Auflage davon. Als ich davon las, habe ich ohne Besinnung bei Amazon mit einem Klick bestellt. Der Postbote meinte, ich hätte einen Kleinsafe voll Münzen geordert. Drei Bände, so schwer, dass einen davon ins Bett zu nehmen, schon auf dem Weg dahin scheitert. Jetzt habe ich sie, die ultimative Ausgabe. Wunderbar sorgfältig gedruckt und rührend umsichtig kommentiert. (Wenn zum Beispiel ein Davidstern auftaucht, gemahnt die Fußnote, dass das nichts mit So-oder-So-Semitismus, sondern mit der Tradition deutscher Wirtshausschilde zu tun habe.) Wer von den Bildern noch nicht hinreichend gefesselt ist, der kann über den extensiven Erläuterungstexten den Schlaf des Gerechten finden. Na ja, bleibt der Preis. Rund einen halben Schnäppchen-Laptop kostet das.

Wilhelm Busch Die Bildergeschichten. 3 Bände. 2., überarbeitete Auflage, Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2007, Zigtausend S., 249 EUR


Gleich noch ein Hammer, einer der ganz anderen Art. (Ist je im Freitag ein Buch über Wein besprochen worden?) Etwa in Format und Gewicht einem Busch-Band gleich, hat Stuart Pigott, einer der wahrscheinlich vertraubarsten (Jetzt gibt es das Wort) Weinexperten zusammen mit einer Crew den deutschen Wein besucht. Und das hebt sich so deutlich aus all´ dem wiedergekäuten Gemähre, den wohlfeilen Mätzchen heraus, dass man´s geradewegs zur Hausbibel machen könnte. Der Hymniker gibt zu, dass er seit Würzburger Studientagen ein Frankenweinfan ist. Wirsching, Müller I, Schmitts Kinder, zuletzt auch Stahl - ach, man freut sich ja, wenn man mit seinem Geschmack nicht ganz daneben liegt. Und so gestärkt, findet man sich bereit, Exkursionen zu unternehmen, nach Rheinhessen, an die Nahe, ins Elsass und an die Schweizer Seen, nach Sachsen und in die Steiermark. Selbst wenn morgen die Leber schrumpfte, ich könnte übermorgen noch immer mit Genuss und Freude darin stöbern. Ein Glücksfall, so ehrlich und haltbar, wie hoffentlich der deutschsprachige Wein ist oder wenigstens wird ...

Stuart Pigott Wein spricht deutsch. Weine. Winzer. Weinlandschaft. S. Fischer Frankfurt am Main 2007, 720 S., 79 EUR


Aller guten Dinge sind drei. Sondermann ist so oder so ein wunderlich Ding. Fast 20 Jahre hat Bernd Pfarr, leider 2004 viel zu früh verstorben, Herrn Sondermann auf seinem Lebensweg zeichnend und textend begleitet, ja, man könnte fast sagen: erfunden. Wer je irgendwann aus Alters- oder Dauerpubertätsgründen für die Welt der Titanic anfällig war, der wird Sondermann inhaliert haben. Und nun wird das Virus retroaktiv. Nahezu eine Überdosis. Von höchster Reinheit. Wie Sondermann, da er Gottes Täppischkeit und Hilflosigkeit sah, beschloss, ihn nicht mehr länger mit allabendlichen Gebeten für eine bessere Welt zu behelligen - und wie er sein Vertrauen in den musikantischen Weltenlenker wiederfand - Dergleichen kann man nicht in einem einzigen Kopf aushalten, das muss man teilen.

Bernd Pfarr Sondermann. Steidl, Göttingen 2007, 504 großformatige S., 48 EUR


Karl May - da seiner nun schon Erwähnung getan wurde, wie es zu seiner Zeit wohl geheißen hätte, wollen wir ihn nicht übergehen. Es gibt eine wirklich sehenswerte Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, bis zum 6. Januar 2008. Wer´s nicht schafft, der kann sich an den Katalog halten. Das Beste, was man seit langem über Karl May zusammengetragen hat, in Bild wie Text. Urgroßvaters und Großvaters Träume vom deutschen Geistreich zwischen Hadschihalefomar-Land und Winnetou-Country. Unser sächsischer Großphantast immer mitten drin, zumindest als Postkarte. Dazu gibt es vielfältige Analysen zur Herkunft wie zur Nachwirkung, erhellend, natürlich kritisch, aber doch so, dass sie die Kinderträume nicht zertrampeln. Selbst die New York Times hat Notiz davon genommen. Wenn das nichts ist ...

Karl May Imaginäre Reisen. Kettler, Bönnen 2007., 357 S., 39 EUR


Wo bleibt die Hochkultur? Heinrich Detering hat zumindest für die Lyrik über die Saison hinaus Abhilfe geschaffen. Die Lyrik ist gerettet. Definitiv. Nun gut, Conradys großer Lyrik-Wälzer ist schwerlich zu überbieten. Salomonisch sagen wir: Dies ist zumindest ein Twin Peak. Eine wunderreiche, ebenso wohl überlegte, vielfältige wie überraschende Sammlung deutscher Lyrik von den Anfängen bis heute - das zum Beispiel - mutig wie sachdienlich - nun auch unter Einschluss von besonders gelungenen Übersetzungen. Das ist ein starker Vorrat, haltbar weit, weit über das Erscheinungsjahr hinaus. Das kann man getrost den Enkeln hindonnern. So gewichtig wie die Sammlung ist, werden sie´s kaum mit einem MP3-Player verwechseln.

Heinrich Detering (Hg.) Reclams großes Buch der deutschen Gedichte. Reclam, Stuttgart 2007, 1002 S., 36,90 EUR


Was könnte noch länger halten? Außer Goethes Faust, wie man billig sagen könnte? Thomas Manns Doktor Faustus. Der Kommentar schüchtert und trichtert es uns ein. Mit 740 Seiten übertrifft er das Kommentierte immerhin um gut ein Drittel. Zwar ist der Roman, ein literarisches Vermächtnis des 20. Jahrhunderts sondergleichen, der Generationen von Interpreten, glücklicherweise aber auch kommune Leserinnen und Leser, immer wieder neu angestachelt hat, auch ohne Kommentar zu goutieren. Nimmt man aber den Kommentar hinzu, dann bewundert man um so mehr - Thomas Mann wie seine findigen Exegeten. Nicht zuletzt auch den Verlag, der es auf sich nahm, das auf den Weg zu bringen.

Thomas Mann Doktor Faustus. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. 2 Bände, S.Fischer, Frankfurt am Main 2007, 741 u. 1269 S., 84 EUR

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