Wie war zu Köln es doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem..." Als August Kopischs Ballade Furore machte, steckte man zugleich mitten im Zukunftsaufbruch. So kann man in einer sehr kompakten und anregenden Studie des Historikers Lucian Hölscher lesen. Die Entdeckung der Zukunft, so Hölscher, begann, wo bei den Sattelzeitlern alles begann, 1770. Aber in Fahrt kam sie erst seit 1830 und dann hatte die Zukunft ab 1890 so richtig Konjunktur. Nicht nur Zukunftsromane und unzählige Zeitschriften mit Zukunft im Titel zeugen davon. Seit 1950 aber befindet sich die Zukunft im Niedergang. Und vollends in unserer Gegenwart verliert sie sich in vielerlei Zukünfte und -künftelchen. Sie verschwindet gewissermaßen in den Zuklüften.
Seit die Zukunft aus der Mode ist, hat die Mode Zukunft. Mode ist aber leider viel anstrengender als Zukunft. Während man an die Zukunft bloß glauben musste, macht Mode verdammt viel Arbeit: Erst muss man alles beobachten und alles merken (und zwar rechtzeitig!) und dann muss man es auch noch bezahlen können. Da ist es tröstlich, wenn man eine zarte Hand gereicht bekommt oder gar mehrere. Magisch angezogen ist eine solch vielhändige Reichung, so viel, dass man lieber nicht in einem Stück lesen soll, weil es einem sonst schnell reicht. Aber schön portioniert, bekommt man alles pret a porter - zwischen Eventnomadismus und hintersassigem Nadelkissen, dazu Accessoires von Kopf (Gameboy) bis Fuß ( Weiberromancier Polyticki über Stöckelschuhe), von der Hand (Tomboy Meinecke über Handtaschen) bis in den Mund (Birgit Vanderbeke über Speisekarten). Gehört alles dazu! Erweiterter Markenbegriff!
Wem das zu häppchenhaft ist, der fühlt sich leicht zur Frage nach dem Sinn des Lebens getrieben. Dem kann geholfen werden, mit einem happigen Wälzer von fast 600 Seiten. Der, jedenfalls ihr Sinn des Lebens, so erklären die herausgebenden drei Leipziger Philosophen (Leipzig kommt!), hat einen Kern und eine Schale. Das Inhaltsverzeichnis verspricht uns das, was früher einmal bei Geselligkeiten Illustrierte Platte hieß - von Heinrich Heine bis Douglas Adams, Goethe bis Monty Python. Damit man aber vor lauter Schalen nicht das Kernige vergisst, folgt noch ein kleines Verzeichnis, das die armen Philosophen aus der bunten Gesellschaft zerrt und an den Professionspranger stellt: Günter Anders bis Susan Wolf. Aber so richtig weiß man schließlich nicht, warum das alles durch das Schüttelsieb musste, um am Ende Sisyphos und seinen Stein übrig zu behalten. Vielleicht ist das aber auch die Strafe dafür, dass man nach dem Sinn des Lebens fragt.
Wir müssen uns den Leser als einen glücklichen Menschen vorstellen. Damit wir das können, muss das Leben weitergehen. Leider ist ja in unseren Breiten, anders als bei den Indern, wie Herr Rüttgers klagt, es weder mit Informatikern noch mit Kindern überhaupt so gut bestellt, wie vordem in der DDR oder in jenen Zeiten, als noch nicht jede(r) das Recht auf einen eigenen Orgasmus beanspruchte. Insofern zeigt Linus Reichlins Parole: Kampf dem Orgasmus! vielleicht nicht den einzigen, aber doch einen Ausweg. In jedem Falle hat man an diesen zartfühlenden wie -knospenden Beobachtungen des intellektuellen Alltags eine vollauf entschädigende Lektüre anstatt. DTV setzt in dieser Hinsicht dagegen mehr auf Lebens-Hilfe. Der heimliche Spiegel versammelt erotische Erzählungen aus dem mal mehr, mal weniger prominenten Angloamerikanischen. Die Gefahr der Ablenkung vom frühlingshaften Anwehen ist ziemlich gering. Das meiste ist doch eher nicht so überzeugend, dass es zu Wehen kommen könnte. Immerhin macht u.a. Zeus mit, diesmal sozusagen als Leda. Beim Zeus beginnt auch ein Büchlein, das allen, die immer schon mal wissen wollten, woher die verbotenen Bücher kommen, trotz illustrativer ÂStellen auf insgesamt schickliche und kalorienarme Weise (Du darfst!) erklärt, wie es die unzüchtigen Schreibbienen machen: Der verbotene Eros. Unstatthafte Lektüren.
Eine weise Frau soll einmal gesagt haben, das ganze Unglück der Menschheit komme daher, dass die Leute, statt unterwegs zu sein, ständig nur ins Bett wollten. Der Frühling ist bekanntermaßen die beste Zeit, sich in dieser Hinsicht zu bessern. Karl May, um gleich mit einem anzufangen, der es darin zur höchsten Vollendung gebracht hat, indem er vom Schreibtisch aus reiste, hat hier viel Gutes bewirkt. Zwar waren die Frauen im richtigen Leben doch nicht so leicht aus der Knabenwelt zu halten, wie Winnetous Schwesterlein, aber immerhin nahm man fürs weitere Leben mit, dass jedenfalls, wenn überhaupt, eine Amerikanerin nicht in Frage käme, denn die hat "kleine Füße und winzige Hände, aber desto größere Ansprüche". Das Karl May ABC erinnert nicht nur hieran, sondern weiß in immer neuen, gar launigen (manchmal zu garen) Stichworten den Großfabulator zu alphabetisieren, der schon mal unter dem Namen Gisela schrieb, dem aber, entgegen Wiglaf Drostes Verleumdung, ihm sei kein Fünkchen Humor zu eigen, eben dieser in so überaus hohem Maße aufs Unfreiwilligste sich zugesellte!
Ziemlich lang gehalten hat ja auch die Hanse. Sie war für ältere Leser (was natürlich eine Tautologie ist) in ihrer Jugend sozusagen die konstruktivere Seite der Störtebeker-Träume. Dass Die Hanse aber gar nicht so sehr zur See stattfand, hat man damals gerne vergessen. Das kann man jetzt in einem knappen und dichten, allerdings, da es mehr auf dem Land spielt, auch etwas trockenen, Büchlein korrigieren. Zudem liefert es mit der Hanse ein sehr schönes Modell für das gegenwärtige Europa der Regionen - ein Bündnis erfolgreicher Egoisten. Immerhin, wie gesagt, war das einige Jahrhunderte recht erfolgreich. Nicht ganz so erfolgreich ist der Karibische Traum des Schnüffel-Duos Biebert und Krollmann. Wenn man denn meint, einen Berlin-Krimi lesen zu sollen, unterhält J. Th. Barkelts Roman bei moderatem Gleichstrom zu einem geziemenden Preis-Leistungs-Verhältnis. Wenn man aber die Wechselspannungen von Heulen und Jaulen, Röhren und Gerührtheit erleben will, dann muss man zum Ruhrgebiet greifen, der Erz- und Kohleheimat des alten Bundes. Wolfgang Welt - welch ein Name! - sitzt, so erfahren wir im Vorwort von Leander Haußmann, als Nachtwächter im Bochumer Theater und schreibt. Peggy Sue, die Welt zwischen Fußball und Platten, langen Haaren und längerem Trunk aus jener Zeit, als die Lichtburg noch nicht plus war. Der Mann, von dem Niedecken den Titel "Universaldilettant" geklaut hat. Sagt er. Ein Muss! Außerdem beginnt es so: "Etwa zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung machte mir Sabine am Telefon Aussicht auf einen Fick, allerdings nicht mit ihr selber, sondern mit ihrer jüngeren Schwester." Womit wir am Ende wieder beim Lesen wären.,
Wer aber lieber nach literarisch bewährtem Vorbild seinen Kohl bauen will, sollte dennoch zu einem Buch greifen. Das Gartenlexikon stellt Fragen, die man gar nicht alle im Kopf behalten kann, und gibt darauf Antworten, die man verstehen und ausprobieren kann.
Lesen und Reisen, Zeugen und Gärtnern - Oh sinnvolle Frühlingszwiebeln des Lebens, tränenfrei mild!
Lucian Hölscher: Die Entdeckung der Zukunft, Fischer Tb 60137; 24,80 DM
Susanne Becker und Stefanie Schütte: Magisch angezogen. Mode. Medien. Markenwelten, Beck'sche Reihe 1313; 19,90 DM
Der Sinn des Lebens, hg. v. Ch. Fehige, G. Meggle u. U. Wessels, dtv 30744; 48,- DM
Linus Reichlin: Kampf dem Orgasmus!, Eichborn; 19,90 DM
Der heimliche Spiegel. Erotische Erzählungen, dtv 20295; 17,50 DM
Der verbotene Eros. Unstatthafte Lektüren. Hg. v. M. Ch. Graeff, dtv20274; 17,50 DM
R.-B. Essig u. G. Schury: Karl May ABC, Reclam Leipzig 1671; 19,00 DM
Rolf Hammel-Kiesow: Die Hanse, Beck'sche Reihe 2131; 14,80 DM
Johannes Th. Barkelt: Karibischer Traum. Kriminalroman, Aufbau Tb. 1611, 13,90 DM
Wolfgang Welt: Peggy Sue. Roman, Heyne 10982; 12,90 DM
dtv Gartenlexikon, dtv24203; 30,- DM
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.