Jubiläumsgewinnler, tiefer gehängt

Sachlich richtig Von Karl May, Preußenseligkeit, Kantinengerüchten und Nostalgie: Literaturprofessor Erhard Schütz befasst sich dieses Mal mit Varianten des Biografischen

2012 ist Karl-May-Jahr! Wenn zu entscheiden wäre, wer fataler für die deutsche Geschichte war… Gnade, dafür habe ich als Knabe ihn zu sehr verschlungen, gegen die Warnung des Lehrers, dass er ein Lügner und gegen die des Pastors, dass er ein Katholenpropagandist sei. Diese Jugendsünde ist hoffentlich das Einzige, das ich mit Hitler teile, der einer Kolportage zufolge bei jenem legendären Vortrag Mays in Wien im März 1912, wenige Tage vor seinem Tode, „Empor ins Reich der Edelmenschen“, zugegen gewesen sein soll. Er ist dennoch kein Pazifist geworden, Edelmensch schon gar nicht. Bis zu diesem Ruhm war es für May ein langer Weg vom kränkelnd Hungernden zum hochgestapelten Augenarzt Dr. Heilig (!), folglich zum Knast – und dann in die Kolportage. Hin zu jener Welt aus Canyons und Schluchten, Prärien und Wüsten, in der er nie war, die aber niemals eindrucksvoller fürs jugendliche Herz hätten sein können als eben deshalb. Auch zu seinem 100. Todestag gibt es allerlei hoffende Jubiläumsgewinnler. Bestimmt sind sie je auf ihre Weise gut. Einen sollte man indes gelesen haben, schon, weil von einem großen Häuptling der Radebeulianer: Helmut Schmiedts Biografie ist solide faktenreich und doch kompakt, durchweg interessant und denkbar umfassend. Gerade ihre Nüchternheit wird dem Phänomen des fabulösen Phantasten höchst gerecht. Und den Interessen der Leser obendrein!

„Bitte, tiefer hängen.“ – soll er des Öfteren gesagt haben. Nun, bitte, wir hängen nicht ihn, sondern bloß die geballte mediale Meute niedriger, die ihn durchs Jubeljahr jagte, ob als den ‚alten Fritz‘, Friedrich den Großen oder Müllerschreck von Sanssouci. War er nun schwul, hatte er was mit Hitler oder nur mit seinen Windspielen? Wir hängen nicht nur tiefer, sondern auch gelassen hinterher. Wir legen das ­gefühlte Dutzend nichtgelesener Fritz­bücher beiseite, manche ­wahrscheinlich ganz zu Unrecht, und ­loben karg aber überzeugt zwei selbstgelesene, nämlich zum einen das selbst ­karge, doch präzise, ausgewogene und durchweg getragen von jener Klarheit, die aus einer langewährenden und souveränen Befassung stammt: Johannes Kunischs Bändchen ist nur knapp 130 Seiten dünn, aber stark in gediegener Information, wie fast alles aus der Beck’schen Wissensreihe.

Und dann noch Jens Bisky, Günter de Bruyns verdienstvoller Preußen-Erbe. Das Buch ist von vorn bis hinten ein intellektueller, lebendiger Genuß – sowohl in Biskys eigenen wie in den von ihm ausgesuchten zeitgenössischen Texten. Ein Lesebuch, wie man es sich schlechterdings nicht besser vorstellen kann. Ob fritzfremdelnd oder preußenselig: man kann es weitergeben, denn das macht keine Proselyten, sondern informierte Köpfe!

Wie zuverlässig ist ein Sachbuch, in dem gleich eingangs jemand 1921 an der erst 1949 so benannten Humboldt-Universität studiert? Vertrauen wir ihm dennoch, so lesen wir ein unglaubliches Gruselstück aus der Ära der Traumfabrik des ‚Dritten Reichs‘, gruselig vor allem, weil hier unter Künstlern Alltägliches – Geschwätz, Klatsch, Zänk- und Eifersüchteleien – tödlich endete. Als der von Goebbels für das Reichsgebiet aus Angst vor falscher, d. h. richtiger, Wahrnehmung verbotene Prestige-Film Titanic im November 1943 in Paris uraufgeführt wurde, war auf dem Plakat der Name des Regisseurs Herbert Selpin durch den von Werner Klingler überklebt worden. Selpin hatte nämlich zuvor im Gefängnis Selbstmord begangen. Eingesperrt nach dem „Heimtückegesetz“, denunziert von einem Freund wegen abschätziger Äußerungen zum NS-Regime. Ein arges Spiel: Zerquälter Ehrgeizling gegen egomanen Brausekopf, Nicht-Nazi gegen NS-Opportunisten. Garniert mit Kantinengerüchten, Querelen am Set, Weibergeschichten, Wichtigtuerei – und Feigheit. Durch die degoutante Kleinkariertheit der Beteiligten ist diese Geschichte ein höchst heilsamer Blick hinter die inzwischen gern nostalgisch geschönten Ufazeit-Kulissen.


Karl May oder Die Macht der Phantasie Helmut Schmiedt C. H. Beck 2011, 366 S., 22,95

Friedrich der Grosse Johannes Kunisch
C.H. Beck Wissen 2011, 128 S., 8, 95

Unser König: Friedrich der Große
und seine Zeit ein Lesebuch
Jens Bisky Rowohlt 2011, 400 S., 19,95

Der Fall Selpin. Chronik einer Denunziation Friedemann Beyer R. Heyne 2011, 240 S., 19,90

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden