Nachdem Jörg Friedrich seinem Brand nun Brandstätten, das coffee-table-book mit thematisch übersichtlich sortierten, großformatig schönen Fotos des Grausens nachgeschoben hat und der Luftkrieg auch noch dreiteilig in der ARD durchgearbeitet worden ist, scheinen wir fürs erste durch die Bilder hindurch zu sein. Wer nach all´ dem qualmenden Bildersturm noch einmal in Ruhe, nüchtern und solide sich informieren will, wie denn die Entwicklungslinien liefen, wie Strategien und Technologien sich änderten, wie aus begrenzten Vorstellungen entgrenzte Katastrophen wurden, was man vergleichen und was man nicht aufrechnen kann, dem sind zwei solide und sachliche Bücher zu empfehlen: Ein schlankes Taschenbuch von Wolfgang Bönitz, es hat vor allem die Situation der Zivilbevölkerung im Blick. Und eine Art Lehrbuch, in dem Rolf-Dieter Müller sorgfältig die Entwicklung des Luft- zum Bombenkrieg aus militärhistorischer Perspektive nachzeichnet und vor gelegentlichen Spekulationen, was gewesen wäre wenn, nicht zurückscheut.
Anders die Jung-Dichter. Ein besonders abgefixtes Beispiel dafür, wie man noch schnell ein Thema durchzieht, bietet die von Tanja Dückers und Verena Carl herausgegebene Anthologie stadt land krieg. Empathie, gar solche, die sich durch Kälte schützt, wird man darin vergebens suchen. Hier ist Vergangenheitsbedienung ein blow job, die schnelle Entsorgung für zwischendurch. Krieg - sollten wir auch noch mitnehmen. Nur ja keine Obsession! Obsession kalkuliert nicht den Erfolg und fragt nicht, ob sie sich beliebt macht. Von Obsession her geschrieben war Jörg Friedrichs Der Brand. Daher Erfolg, Faszination und Abstoßung. Als Kalkül folgten die Brandstätten. Immerhin steckt erkennbar professionelle Arbeit darin. Das kann man von der Literaten-Sammlung kaum sagen: Auf ein von sozialpädagogischer Seminaristensprache verquastes Vorwort folgt modularisierte Effekthascherei aus der Erinnerungskonfektion, eine Unterbietung auf die nächste: Enkel, lutsch Dir was vom Krieg! (Damit sie im Pauschalen nicht untergehen, seien hier Nobert Kron, Marko Martin, Georg M. Oswald ausdrücklich, Annett Gröschner eben noch ausgenommen.) Eine besondere Klischierungs-Etüde bietet Norman Ohler, der einem Rabbi einen abgehen lässt, weil der Erzähler hinterm Vorhang aus W. G. Sebalds Roman Austerlitz vorliest. Und die Behauptung des Vorworts, dass "revisionistische Züge - Züge, die in der Literatur älterer deutscher Schriftsteller bisweilen zu finden sind", hier gänzlich fehlten, mag man daran prüfen, wie Jörg Bernig neckisch eine Kleinstadt bombardieren lässt, weil sie mit "gestrickten Puls- und Ohrenwärmern" an der Zerstörung mitgewirkt habe.
Wem überhaupt noch nach Vergleich ist, der mag in den literarischen Zeugnissen von Bertolt Brecht, Ernst Jünger, Wolfgang Borchert, Hubert Fichte, Wolf Biermann bis Klaus Modick und Uwe Timm nachforschen, die Volker Hage zum Feuersturm, Hamburg 1943, im Taschenbuch versammelt hat. Oder aber sich von Hages Zeugen der Zerstörung, einer lockeren Folge von Aufsätzen und Interviews im Gefolge von Sebalds Luftkrieg und Literatur, belehren lassen. Es bleibt festzuhalten, dass kein Text der Jüngeren auch nur annähernd dem nahe kommt, was in denen der älteren Autoren, zum Beispiel von Dieter Forte, deren eindrücklichen Ernst ausmacht: die - altmodische - Ahnung von der Condition humaine. Die Jungen liefern hingegen geschriebene trailer für Sendungen, die zu produzieren sie keine Zeit und Mittel haben. Dies aber als Bedienung der in den Feuilletons immer wieder so beredt angemahnten Auseinandersetzung von Literatur mit Bombenkrieg, Flucht, Vertreibung und "Untergang". (Übrigens nicht: Befreiung.) Wenn die literarische Literatur dem Muster folgt, nach dem das schnelldrehende Sachbuch oder seine Camouflagen, Thriller und Krimi, gestrickt zu werden pflegen - Aufmerksamkeit erreicht, Einspielergebnisse gut, Thema durch, dann müssen einmal mehr ersatzweise die dokumentierenden Formen einspringen: Tagebuch, Bericht, Report.
Ein beachtliches Beispiel dafür, was Recherche zutage fördern und überlegtes Arrangement bewirken kann, ist Reisen ins Reich, eine Dokumentation der Berichte ausländischer Autorinnen und Autoren über ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen im "Reich" zwischen 1933 und 1945. In der Montage aus großen Namen (u.a. Samuel Beckett, Albert Camus, Max Frisch, Jean Genet, Georges Simenon, Thomas Wolfe und Virginia Woolf) und noch besseren Beobachtern (Karen/Tania Blixen, Harry Flannery, Theo Findahl, William S. Shirer u.a.) wird eine sich beschleunigende Entwicklung vorgeführt. Gebrochen durch Neigung und Aversion, Herkunft, Geschlecht und Profession, stellen sich so eigentümliche Verbindungen her, etwa zwischen Max Frischs Beobachtung zur Geburtenpropaganda 1935 und Heinrich Hausers Mutmaßungen zu den erotischen Unterhaltungsangeboten 1939. Die Erklärungen für all das reichen von Revolution bis zu politischem Kult. Verblüffend ist Karen Blixens Vergleich des NS mit dem Islam: "Die mohammedanische Weltanschauung besitzt, wie der Nazismus, ein ungeheures Selbstwertgefühl: der Rechtgläubige steht über allen Ungläubigen [...]. Einige Dinge in dem Buch Mein Kampf gleichen Kapiteln im Koran." Während der Islam den Ungläubigen wenigstens die Möglichkeit biete, sich zu ihm zu bekehren, könne der "Rassenkult" per se "nicht geben und nicht nehmen".
Daneben und davor stehen immer wieder Beobachtung und Sammlung unterschiedlichster Phänomene, von der Spendenerpressung zur Spardisziplin, von der Vergnügungswut zur verbissenen Duldung - und von der sprichwörtlichen deutschen Sauberkeit schließlich zur "größten Müllkippe der Welt", "die Überreste der Hauptstadt eines Weltreiches und eine ganze Stadt voller Leichen" (Virginia Irwin).
Das Unheimliche der überlebenden Deutschen und des deutschen Wiederauflebens einerseits, den ganz unwahrscheinlich unerschütterten Glauben an die Wiederzivilisier- und Rehumanisierbarkeit andererseits kann man zwei weiteren historischen Dokumenten entnehmen. Das ist zum einen der Reisebericht von James Stern mit dem sprechenden Titel: Die unsichtbaren Trümmer. Stern war 1945 im Auftrag der US-Regierung durch Süddeutschland gereist, um die Auswirkungen der Luftangriffe auf die deutsche Psyche zu erkunden. Zum anderen ist es der Bericht von Carl Zuckmayer, der als ziviler Kulturoffizier ein Jahr später fürs US-Kriegsministerium die kulturelle Landschaft explorieren sollte. Zuckmayer vertraut auf und appelliert immer wieder an die heilsame Wirkung von Gespräch, Theater und Film, noch bei den Verstockten. Stern - weithin voller Geduld und auch Sympathie - endet mit der ihn erschreckenden Einsicht, dass die wissenschaftliche Elite noch immer der "wirkliche Feind" ist, "diese Leute hier mit ihrer Erziehung, ihrer überlegenen Intelligenz und ihrem Wissen waren die wirklich Verantwortlichen."
60 Jahre wird es nun bald her sein. Das Mirakel der Befreiung aus der absoluten Niederlage ist - vor allem wenn man auf Afghanistan und Irak blickt - noch kein bisschen kleiner geworden.
Wolfgang Bönitz: Feindliche Bomberverbände im Anflug. Zivilbevölkerung im Luftkrieg, Berlin: Aufbau 2003, 240 Seiten, 8,50 EUR
Tanja Dückers u. Verne Carl (Hg.): stadt land krieg. Autoren der Gegenwart erzählen von der deutschen Vergangenheit, Berlin: Aufbau 2004, 244 Seiten, 8,50 EUR
Jörg Friedrich: Brandstätten. Der Anblick des Bombenkriegs, München: Propyläen 2003, 240 Seiten, 25 EUR
Volker Hage (Hg.) Hamburg 1943. Literarische Zeugnisse zum Feuersturm, Frankfurt a.M. : S. Fischer 2003, 320 Seiten, 12 EUR
Volker Hage: Zeugen der Zerstörung. Die Literaten und der Luftkrieg, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2003, 300 Seiten, 19,90 EUR
Oliver Lubrich (Hg.): Reisen ins Reich 1933 bis 1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland, Frankfurt a.M.: Eichborn 2004, 431 Seiten, 30 EUR
Rolf-Dieter Müller: Der Bombenkrieg 1939 - 1945, Berlin: Ch. Links 2004, 271 Seiten, 24,90 EUR
James Stern: Die unsichtbaren Trümmer. Eine Reise im besetzten Deutschland 1945, Frankfurt a.M.: Eichborn Berlin 2004, 409 Seiten, 24,90 EUR
Carl Zuckmayer: Deutschlandbericht für das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika, Göttingen: Wallstein 2004, 307 Seiten, 28 EUR
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