Klabautermann

DAS SCHIFF GEHT UND DER TEXT ZIEHT DAHIN Felicitas Hoppe erster Roman »Pigafetta«

Wir befinden uns hier auf einem vollausgelasteten Containerfrachtschiff von 163 Meter Länge, 27 Meter Breite, 45 Meter Höhe mit einer Tragfähigkeit von 225000 Tonnen auf einer Rundreise von Hamburg nach Hamburg.» Da Automatisierung und Informatisierung auch in der wirtschaftenden Seefahrt arbeitendes Personal abbauen, kann man stattdesen Passagiere mitnehmen, Voyeure der Fracht. Felicitas Hoppe hat davon Gebrauch gemacht. Die Verbindung zwischen ihrer Weltumrundung, dokumentiert in einigen Artikeln für die FAZ, und dem als Roman deklarierten, schlanken und übersichtlich gesetzten Büchlein mit dem Titel Pigafetta, stellt eine handgezeichnete Karte her, die man im inneren Umschlag studieren kann. Die Reiseroute ist der so unähnlich nicht, zu der Ferdinand Magellan 1519 aufbrach, um Spanien am Gewürzhandel zu beteiligen. Als drei Jahre später das Kapitänsschiff als einziges von fünfen zurückkam, war Magellan zwar nicht mehr dabei, weil er 1521 auf den Lazarusinseln im Kampf mit den Eingeborenen gestorben war, aber immer noch der genuesische Adlige Antonio Pigafetta. Dessen Reisebericht sicherte, daß die Abenteuer und Qualen, die geographischen, botanischen, zoologischen, ethnologischen Entdeckungen und Merkwürdigkeiten der großen Fahrt schriftlich überliefert wurden und daß die Durchfahrung von Atlantik und Pazifik im Süden des amerikanischen Kontinents bis heute Magellans Namen behielt.

Pigafetta, so Stefan Zweig in seiner Magellan-Biographie, sei »zwischen all diesen professionellen Seefahrern, Geldmachern und Abenteurern ein sonderbarer Idealist» gewesen. So sehen Autoren sich gern in Ihresgleichen. Doch wie läßt sich die Passagierfahrt auf einem Containerschiff, das die Magellan-Straße nicht mehr passieren und auch Afrika nicht mehr umrunden muß, weil es Panama- und Suez-Kanal gibt, mit der Reise Pigafettas zusammenbringen? Zumal die Welt längst beschrieben ist. Die Entdecker, die Geographen, Botaniker und Zoologen haben längst alles mit Namen versehen. Das erzählende Ich hat folglich kaum Lust auf Namen. Was tun, wenn man »der Natur keine passenden Wörter überziehen kann» oder wenn man bei der Äquatortaufe den Namen eines Fisches bekommt, der ungenießbar ist und nur aus Zähnen besteht?

Felicitas Hoppe, 1996 bekannt geworden mit Picknick der Friseure, einer Sammlung von Groteskem und Skurrilem, für die sie den Aspekte-Literaturpreis erhielt und mit Bohumil Hrabal und Daniil Charms verglichen wurde, macht aus der Not der Diskrepanz eine Tugend der Varianz: Die Welt des Abenteuerlichen und Fremden ist nicht mehr da draußen, wohin und wo man unterwegs ist, sondern im transitorischen Drinnen, auf dem Schiff. Zwar kommt fast alles vor, was man aus Büchern kennen mag, Sturm und Langeweile, blinde Passagiere und Piraten, Skorbut und Hafenpuff, auch einschlägige Anspielungen von Noah zur Schatzinsel und den Schrecken des Eises und der Finsternis fehlen nicht, aber die Aufmerksamkeit wird doch vom Personal absorbiert - dellinistische Spottgeburten, Schnurrpfeifer und Groteskerle - ein Pfirsichzüchter, der sein Geld zurück haben will, weil ihm an der Datumsgrenze ein Tag gestohlen wird, ein schokoladefressender, siebzigjähriger Geograph, ein bebilderter Klempner, ein Kapitän, der unbedingt von Bord will, Personal, das Canossa oder Nobell heißt, ein Ehepaar Happolati oder das erzählerische Ich von Frau Hoppe, das ins Stottern verfällt und sich als weiblich vor allem dadurch kenntlich macht, daß es ständig Hemden bügelt. Und dann gibt es noch den Kollegen Pigafetta, der vom Generalkapitän und seinen Köchen erzählt. Er ist der ‚Geist der Erzählung' oder, besser: ihr Klabautermann. La nave va. Eine verzwergte Welt, grotesk, ebenso niedlich wie auch monströs. Kann man ihr keine Namen mehr geben, hängt man ihr eben Geschichten an: »Aber es ist nichts erlogen, ich habe alles ehrlich erfunden, die Straße, den Globus, die Zwerge» - heißt es gegen Ende. Magellan, der Generalkapitän, so gleich zu Beginn, war auf der Suche nach den Inseln, auf denen Zwerge leben, deren eines Ohr ihnen zum Bett, das andere zur Decke dient. Sie »fliehen kreischend, sobald sie einen Fremden entdecken.» Späterhin wird die Erzählerin berichten: »Ihr Lieben, die Dunkelheit ist jetzt vollkommen. Die eine Hälfte dient uns als Bett, die andere als Decke.» Und der letzte Satz: »Im Traum sprechen wir gern wie ein Wasserfall und werden euch alles verraten, aber daß ihr uns nicht vor dem Morgen weckt, denn wenn wir einen Fremden erblicken, fahren wir aus dem Schlaf und fliehen kreischend.» So sind sie halt, die Autoren.

Was bleibt nun von der Lektüre? Felicitas Hoppe gibt sich alle Mühe, ihren Text in kleine Einheiten zu portionieren und darin gewissermaßen seine Reiseroute zu verrätseln. Doch verschlägt das wenig. Das kommt, weil die Strategie der Facettierung vom Duktus der Sprache unterlaufen wird. Ihre Sprache ist so traumhaft sicher, geradezu betörend glatt, daß man in einen Sog gerät, der einen lesen macht wie in einem Zug. Eingewiegt vom Rhythmus, hypnotisiert von der Flucht der Einfälle und Bilder, ist man plötzlich am Ende angelangt. Von der Reise aber erinnert man, wenn man sie nicht noch einmal blätternd nachfährt, keinerlei Einzelheiten. Nichts, weder Flachheiten noch Tiefgang. Man ist für eine angenehme Zeit abwesend gewesen in einem Buch, dessen Namen man allerdings behalten wird: Pigafetta.

Felicitas Hoppe: Pigafetta. Roman, Reinbek: Rowohlt 1999, 156 Seiten, 29, 80 DM

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