Ehe sich erweist, ob Jürgen Kaubes Aufstieg zum Mitherausgeber der FAZ mit einer bedauerlichen Abnahme seiner Schreibpräsenz einhergeht, kann man an seinem justament erschienenen Büchlein Im Reformhaus zur Bildungspolitik wahlweise sehen, warum er eine gute Wahl war, oder den drohenden Verlust antizipieren. Er zeigt in all seinen Essays jene scharf gestochene Klarheit, für die man ihn selbst dann noch bewundern müsste, wenn man sich nicht von ihm belehren lassen wollte. Die beschworene Bildungskrise, schreibt er beispielsweise, liege nicht darin, dass Deutschland ein paar Punkte fürs Pisa-Ranking fehlen, sondern dass eine Bevölkerung entsteht, „die zu elementarer Selbständigkeit der Lebensführung nicht mehr in der Lage ist“. Weil Bil
0;. Weil Bildung zunehmend durch Stressvermeidungsstrategien ersetzt wird. Statt ständig weiter herumzureformieren, könnte man ja endlich mal mit Qualifizieren beginnen. Wobei als Erstes die Korrelierung von Bildung mit Wohlstand und Fortschrittsführung, wie in dem allfälligen Bildungsgerede, Hausverbot erhalten müsste. Kaube nimmt die Fetische der Interdisziplinariät ebenso scharf ins Gebet wie die modischen Paradigmenwechsel und paradigmatischen Duldungsgemeinschaften. Saisonale Aufmerksamkeit qua „diskursive Klingeltöne“ wird zum Kapital der Forschung, während in der Lehre die Naturalwirtschaft eines disengagement compact betrieben wird: die stille Übereinkunft zu wechselweise desinteressiertem Nichtleisten. Am Ende denkt man, dass diese ganze Schranzerei nicht einmal die intellektuelle Schärfe verdient hat, mit der sie hier bloßgestellt wird.Im Zentrum der kollektiven Lebenslüge einer Gesellschaft der Herausforderungsvermeidung steht, wie man Chancengleichheit oder -gerechtigkeit in der Bildung erzielen will. Es darf beileibe nicht schmerzen, vor allem all die armen Armen, Migranten und sonst Herausgeforderten nicht. So das Einfühlungsmantra des herablassenden Mitleids. „Brave Bürgerkinder müssen nicht aufhören zu sein, was sie sind, um vielversprechend zu werden“ – schreibt Bruno Preisendörfer in der aktualisierten Neuauflage des Bildungsprivilegs,seines Engagements zugunsten eines fundamental anderen Umgangs mit den sogenannten Bildungsfernen. An dessen Anfang steht die Anerkenntnis, dass für sie alle Bildungsaufstieg einen meist schmerzlichen Bruch mit dem Herkunftsmilieu bedeutet. Gleichwohl der scheinbar paradoxale Befund, dass das Erziehungsmilieu der Familien verändert und herausgefordert werden muss, einstweilen zu vertreten durch institutionalisierte kompensatorische Erziehung. Preisendörfers zwar gelegentlich etwas ausschweifende Darstellung überzeugt vor allem durch die Kombination von biografischer Selbstreflexion eines Bildungsaufsteigers mit journalistisch versierter Aufarbeitung von Ergebnissen der Bildungsforschung. Er beweist: Die Mühe ist der Mühe wert!Ebenso wie kriminelle Energie scheinen Krankheit und Unglück auf den ersten Blick bildungsneutral zu sein. Aber, legt die Lebenserfahrung nahe, die durch Bildung Privilegierten kommen allemal besser davon. Sei es nur, dass sie sich ihren Abstieg vom ehemaligen Manager zum Hartz-IV-Empfänger zu einer anderen Pilgerschaft auf dem Jakobsweg einreden können. Und gelernt wird immer: „Auch Serienmörder lernen am Erfolg“, schreibt Bastian Obermayer über einen, dem sein Lernerfolg dann aber doch zum Schaden wird wie der Gesellschaft zum Nutzen. Der eine, ein brutales Schlichthirn, wird auf seine alten Tage noch vor Gericht gebracht, der andere, lernfähig und anpassungsversiert, kommt davon: zwei KZ-Wächter-Karrieren. Das Spektrum von Obermayers Reportagen und Porträts in Vom Glück geträumt, ursprünglich für die SZ geschrieben, reicht denkbar weit, vom Finanzjongleur zum Wilderer, von der Bulimikerin zu dem Mann, der unbedingt eine Mörderin heiraten wollte; von Tobias, dem drittligistischen Bruder Bastian Schweinsteigers, zu Lothar Matthäus, auswärts geachtet, zu Hause als gehörnter Loddar behämt. Zusammengehalten wird das Ganze von einem teilnehmenden Interesse an Menschen und von einer sprachlichen Lakonie, die so gar nichts von der – in Wirklichkeit bombastischen – Grusel-nüchternheit eines Ferdinand von Schirach hat, dafür aber den Figuren die Würde lässt, die ihnen selbst noch als Schweinen zusteht, zumal aber als armen Schweinen.So knapp vor Jahresende ist das Buch Ein notorischer Grenzverletzer erschienen, dass es eigentlich zu den 2015ern gehört. Ohnehin ist länger haltbar, was Karl Prümm, einer der profiliertesten deutschen Filmwissenschaftler, über Niklaus Schilling, einen der interessantesten Regisseure der 70er bis 90er, geschrieben hat. Hier trifft sich günstig, dass Prümm einen ausgesprochenen Sinn für Kameraarbeit hat und Schilling ein höchst innovativer Virtuose der Kamera ist. Zudem ist der Schweizer, der wie kaum ein anderer die deutschen Mythen und Geschichts-(ur)gründe seinen Filmen einverleibt hat, ein beharrlicher Grenzgänger, ein Meister des mutwilligen Abdriftens scheinbar banaler Alltäglichkeit ins Skurrile und Fantastische. Unvergessen der Willi-Busch-Report von 1979, in dem Tilo Prückner im hessisch-thüringischen Zonenrandgebiet die quasireligiösen Wiedervereinigungssehnsüchte in einen hysterischen Rummel travestiert. Deutschfieber knüpfte 1992 daran an, blieb zwar die Prägnanz des Vorgängers schuldig, ist aber immer noch wohltuend zu den ewigen Dokus der Maueröffnung einerseits, den Trabi-Klamotten andererseits. Sein Kind,das bisher letzte Projekt des 71-Jährigen, erzählt in Zusammenarbeit mit Marcel Beyer die Geschichte eines seit Nazizeiten in Berlins Untergrund Lebenden, der in den Nachwendestrudel gerissen wird. Leider fiel die Realisierung der Finanzkrise 2000 zum Opfer. Prümms plastische Skizze lässt das Ausmaß dieses cineastischen Verlusts besonders deutlich spüren.Placeholder infobox-1
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