Karl-Markus Gauß, dem wir wunderbar erhellende wie eindringliche Reisebücher vor allem über Mittelosteuropa verdanken, schreibt etwa in der Mitte von Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer, er habe Literatur „stets für den schönsten und interessantesten Weg gehalten, hinaus in die Welt zu gelangen und diese in ihrer Vielfalt kennenzulernen“. Es handelt sich wohl um eine Art austriakische Replikation von de Maistres spöttischer Reise um mein Zimmer, die der 1795 im Hausarrest schrieb – in einschlägigen Betrachtungen, gern kombiniert mit Blaise Pascals Bemerkung, das ganze Unglück der Menschen rühre daher, dass sie nicht ruhig im Zimmer zu bleiben vermöchten. Abgesehen davon, dass Gaußens Abenteuer sich nicht auf ein Zimmer beschränken, sondern das ganze Haus abwandern, geht es hier auch nicht ruhig, sondern denkbar reichhaltig zu, denn Gauß ist ein quirlig-kluger Kopf, der wahrscheinlich selbst noch in einer grauen Zelle Landkarten ganzer Kontinente illustrieren würde. In seinem Haus, das er mit einem Schiff vergleicht, dessen Kielraum oben liegt, navigiert er souverän durch die kakanische Welt seiner Familie, die teils aus Kurhessen stammt und teils auf dem Balkan siedelte. Als Bojen dienen ihm Dinge wie ein Brieföffner oder ein Aschenbecher, die unversehens tief in der Geschichte ankern, etwa der Lebensgeschichte des Erfinders von Eternit oder der des nach Amerika ausgewanderten Onkels. Aber von diesen Ausgucken geht es immer wieder zu den Büchern. Und so wird man in jene weite Welt geführt, die die seine ist und lesend zu unsrer wird. Ein großes Reisevergnügen!
Dann ist da noch Alexander von Humboldt, der, wie es scheint, rund um die Welt mit nichtendenwollender, chimborazohoher Jubiläumsjubilatorik bedacht wird. Ein neuer Hausgott also für das Bürgertum, das fest entschlossen ist, die Welt zuhause ins Herz zu schließen. Was ihm, dem in seinem gesamten Kosmos nicht einmal das Wort „Gott“ enschlüpfte, nicht sonderlich gefallen würde. Dies Buch hier nun könnte zumindest ein Profanobjekt für den Hausaltar werden, eine Art Prachtbibel. Beim ersten Anblättern fragt man sich freilich, ob es überhaupt in die Kategorie Sachbücher gehört, so künstlerisch ist Die Abenteuer des Alexander von Humboldt grafisch gestaltet. Pflanzenproben, Scans von Manuskripten, Karten, phantasievolle Tierzeichnungen, kunstkindliche Illustrationen von Lillian Melcher gehen mit Sprechblasen eine hochartifizielle Mischung ein. Indes – es beruht nicht nur auf Andrea Wulfs Bestseller Alexander Humboldt und die Erfindung der Natur, sondern verspricht, in noch den kleinsten Details auf Humboldts Tagebüchern, Briefen und Notizen zu basieren. Eine Weltreise-Wunderkammer für Groß und Klein.
Doch selbst wenn man sich mit Alexander von Humboldt nur wenig auskennt, weiß man zumindest – und sei es über Daniel Kehlmanns Roman Die Vermessung der Welt – um seine legendäre Südamerikaexpedition. Dreißig Jahre später, 1829 genau, unternahm er eine weitere ausgedehnte Reise, diesmal durch Russland, vornehmlich Sibirien. Von der Newa bis zum Altai, so der Untertitel von Russland-Expedition, führte die Reise, die hier in einer Montage aus Eintragungen und Briefen von Humboldts und seines Begleiters Gustav Rose montiert ist. Nüchterne Beschreibungen wechseln mit launigen Bemerkungen oder diplomatischen Höflichkeiten. Man kann bei der Lektüre schnell nachvollziehen, dass die beiden Reisenden ihre abwechslungsreichen Erlebnisse und Begegnungen den langweiligen Beschreibungen von Hoffesten und kranken Ministern vorzogen, die sie in Form von Berliner Gazetten selbst noch im tiefen Russland erreichten. Ergänzt um je einen luzide erläuternden Aufsatz von Oliver Lubrich und Karl Schlögel, ist das ein ganz eigenes Reiseerlebnis.
Schließlich wäre da noch jene Reise, die am 20. Juli das Jubiläum von Weg und Ziel feiert: die weltbewegende Unternehmung der Apollo 11 und ihren heldenhaften Insassen. Denn mehr als fifty-fifty gab sich Neil Armstrong keine Chance, heil zurückzukommen. All das wird nun bejubelt, in Zweifel gezogen, neuerlich gefeiert, nostalgisch verputzt und futurisiert. Wer es bisher verpasst hat, wird von James Donovans Apollo 11 rundum versorgt. Ausgiebig und hintergründig und gründlich, obendrein gut geschrieben.
Und was das Pendant zur erdzugewandten Seite des Mondes ist, nämlich die „menschliche“ der Helden und ihrer Hintermänner – Frauen hatte man ja vorher ausgesiebt –, kommt auch nicht zu kurz. Michael Collins, Astronaut der Apollo 11, gibt ihm denn auch das Blurb-Gütesiegel: „Das beste Buch über Apollo, das ich kenne.“ Wer es indes etwas kühler, grundsätzlicher und profunder mag, ist mit Benn Moores „Biographie“ des Mondes bestens bedient. Auch der Professor für Astrophysik kommt naturgemäß nicht ohne Apollo 11 aus, aber das ist nur eines unter 14 Kapiteln, die von der Steinzeit bis in die mögliche Zukunft führen. Solide, informativ, klar erzählt.
Info
Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer Karl-Markus Gauß Zsolnay 2019, 221 S., 22 €
Die Abenteuer des Alexander von Humboldt Andrea Wulf Illustrationen von Lillian Melcher, Gabriele Werbeck (Übers.), Bertelsmann 2019, 272 S., 28 €
Die Russland-Expedition. Von der Newa bis zum Altai Alexander von Humboldt Oliver Lubrich (Hg.), Karl Schlögel (Nachwort), C. H. Beck 2019, 220 S., 18 €
Apollo 11. Der Wettlauf zum Mond und der Erfolg einer fast unmöglichen Mission James Donovan Hainer Kober (Übers.), DVA 2019, 539 S., 28 €
Mond Eine Biografie Ben Moore Katharina Blansjaar (Übers.), Kein & Aber 2019, 320 S., 24 €
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