Elisa Diallo ist Verlagsangestellte, in Frankreich aufgewachsen, die Mutter Bretonin, der Vater noch unter französischer Kolonialherrschaft in Guinea geboren. Unlängst hat sie ihre französische gegen die deutsche Staatsbürgerschaft eingetauscht – nicht so sehr des Lebensmittelpunktes wegen als angesichts der, wie sie überzeugt ist, ernsthafteren Bemühungen hierzulande, sich als multiethnische Gesellschaft zu verhalten, während Frankreich zwar am Ideal der Gleichheit festhalte, den realen Alltagsrassismus aber ignoriere.
Na, dachte ich, das ist nun aber schmeichlerischer Balsam für die biodeutsche Seele. Doch gerät das Buch dann gar nicht so schmeichelhaft. Wohltuend nüchtern, reflektiert und abwägend betreibt Diallo Selbsterkundung und Umweltbefragung, erzählt von ihrer Erziehung, den Eltern, von grässlichen Erlebnissen 1991 beim Schüleraustausch in Deutschland. Episoden aus Urlaub und internationalen beruflichen Aufenthalten, vom zum Teil aggressiven Befremden, auf das ihr Passwechsel in Frankreich stieß, von dummen, taktlosen, bösartigen oder naiven Fragen hier wie dort, nicht zuletzt von der bürokratischen Prozedur der Einbürgerung.
Sie erzählt jedoch auch von Optimismus. Ein unprätentiöses Büchlein, das nachdenklicher machen kann als so Vieles, das mit aggressivem Marktgeschrei auftritt.
Früher habe ich mich zunehmend über den Schnell- und Dauerdichter Erich Fried mokiert, über seine geschwätzige Lakonie, aber ihn als eine aufrechte Person geschätzt, ein Bruder in Böll, dessen Menschenfreundlichkeit so viele offene Flanken für Spott bot. Dass er aber mit dem inhaftierten Neonazi Michael Kühnen amikalische Briefe wechselte, habe ich erst nun erfahren. Im Januar 1983 war Kühnen kurzerhand aus einer Talkshow des NDR ausgeladen worden, an der auch Fried teilnahm. Fried protestierte, Kühnen nahm deshalb Kontakt zu ihm auf. Alsbald wechselten sie erstaunlich vertrauensvolle Briefe. Thomas Wagner, den in seiner Rekonstruktion mehr der „Beziehungsaspekt“ als der misslungene Bekehrungsversuch interessiert, meint, dass sich hier zwei Parias wechselseitig identifizierten, die schwule Neonaziikone und der ihn quasi adoptierende jüdische, linke Dichter. Beide zudem im Zeichen tödlicher Erkrankung, Fried an Krebs, Kühnen an HIV. Fried starb 1988, Kühnen 1991. In seinen Briefen geht er äußerst behutsam werbend, warmherzig mit Kühnen um.
Wagners Büchlein zeigt plastisch, welch Mut dazu gehört, auch um den Preis der Lächerlichkeit und des feindlichen Unverständnisses selbst im fundamental Andersdenkenden nicht nach dem Hassenswerten zu suchen, unbeschadet der Ablehnung seiner Positionen. Das ist vielleicht die Minimaldifferenz, an der sich linke von rechter Gesinnung scheiden müsste.
Rainer Hank ist einer der klugen Köpfe der FAZ und nicht für mangelnde Linientreue gegenüber deren Wirtschaftsteil bekannt. Er legt nun dar, wie wichtig es ist, dem „Ruf der Horde“ zu widerstehen. „Loyalität verliert ihre Unschuld, sobald man sich ihr nähert“, schreibt er. Fundiert in Forschungen der Evolutionsbiologie oder Organisationssoziologie, illustriert mit Beispielen aus Filmen, Literatur, Wirtschaft, Politik oder Alltag, skizziert er zunächst die drei stärksten Loyalitätsmagneten: Familie als „Aufstiegsblockierer“, Firma (Zugehörigkeitsgefühl als Klebstoff) und Partei. Die Kirche spielt scheint’s keine wesentliche Rolle mehr.
Was aber ist mit den wort- oder steinschleudernden Aufstandsbewegungen allüberall? Woher kommen sie, wenn Loyalität doch derart fesselt? Loyalität gegenüber dem Staat, der Demokratie zumal, in deren Kern ja Widerspruch gewünscht wird, ist ein nur schwaches Bindemittel. Es folgt die Anleitung zur Selbstbefreiung – in mehreren Direktiven: Erstens: eigene Zweifel ernst nehmen. Zweitens: lernen, Nein zu sagen. Drittens: seine Wahrnehmung deutlich artikulieren. Viertens: sich um das Gerede der anderen nicht scheren. Fünftes: frei und unberechenbar bleiben. Folgen wir dem Ruf? Sapere aude! – auch bei der Lektüre dieses anregenden Buchs.
Und darauf trinken wir! Anders als Ernst Blochs Heimat, die in die Kindheit scheint und in der noch niemand war, erscheint das Gasthaus erst jenseits der Kindheit als eine Heimat, in der man schon lange nicht mehr war. Zumal es, auch wenn es Zur Traube oder Goldene Krone heißt, oft entweder griechische Küche oder Pizza bietet. Die aus den lieblichen Gasthaus-Regionen in die bösen Städte Abgewanderten haben das Ihre zum Vergessen der einstmals so heimeligen Höhlen und weitläufigen Gewölbe beigetragen. Knödel-Haxe-Sauerkraut, Roulade-Rotkohl-Salzkartoffeln und dergleichen mehr – wie lang her? Erwin Seitz meint: Sie kommen wieder. Auf dem Beweisweg durchläuft seine mundwässernde und zugleich historisch nachhaltige Darstellung alle Stationen vom Frankenkloster über Renaissancestuben, mit Abstecher zum Grandhotel, zur Äppelwoiwirtschaft. Fein, kundig und anheimelnd. Wenn man denn endlich wieder …
Info
Französisch verlernen. Mein Weg nach Deutschland Elisa Diallo Isabel Kupski (Übers.), Berenberg 2021, 158 S., 14 €
Der Dichter und der Neonazi. Erich Fried und Michael Kühnen. Eine deutsche Freundschaft Thomas Wagner Klett-Cotta 2021, 176 S., 20 €
Die Loyalitätsfalle. Warum wir dem Ruf der Horde widerstehen müssen Rainer Hank Penguin 2021, 208 S., 18 €
Das Gasthaus. Ein Heimatort Erwin Seitz Insel 2021, 136 S., 14 €
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