Wo Bauhaus nix für Frauen ist

Debüt Theresia Enzensberger lässt ihre Romanheldin viel erdulden – und den Leser auch
Ausgabe 31/2017
Das Studierendenwohnheim der Bauhaus-Universität in Dessau in den 1930ern
Das Studierendenwohnheim der Bauhaus-Universität in Dessau in den 1930ern

Foto: General Photographic Agency/Getty Images

Eine junge Frau aus gutem Hause sucht ihren Weg, privat wie beruflich. Luise Schilling geht 1921, gegen den Willen der Eltern, ans Bauhaus nach Weimar, wo man sie aber nicht zur Baulehre zulässt, vielmehr ins weibliche Weben abdrängt. Zugleich gerät sie in den esoterischen Zirkel um Johannes Itten und an einen Kommilitonen, der sie aber nach Strich und Faden mit anderen betrügt. Ihre Eltern beordern sie 1923 zurück nach Berlin, in die Haushaltsschule, um für die Ehe ertüchtigt zu sein. 1926 sehen wir sie wieder am Bauhaus, nun in Dessau und ohne Unterstützung der Eltern. Sie kellnert bei einem Grabscher, schafft es nun auch in die Baulehre zum Kommunisten Hannes Meyer. Zugleich lernt sie einen Kommilitonen kennen, mit dem alles wunderbar scheint, der ihr jedoch bei einer Auseinandersetzung brutal die Faust ins Gesicht haut.

Die Professoren, denen Schilling ihre Abschlussarbeit, den Entwurf einer Großsiedlung für Arbeiter, präsentiert, fragen sie zweifelnd, „wie eine Frau zu derartig funktionalen, um nicht zu sagen maskulinen Entwürfen kommen kann“. Damit noch nicht genug: Der verehrte Bauhaus-Gründer Walter Gropius, stellt sich heraus, hat sich ihr Projekt für Berlin als seines für Karlsruhe angeeignet. Luise Schilling steht nun sogar als Plagiatorin da. Nach dennoch bestandenem Examen geht sie in die USA. Die Geschichte illustriert, wie sehr vieles davon heute, nach fast hundert Jahren, jungen Frauen noch immer widerfährt, beruflich wie privat. Umso bewundernswerter sind die Zähigkeit, die Energie und der Optimismus, mit denen Theresia Enzensbergers Figur Luise Schilling das alles bewältigt! Allein deshalb stimmt diese Lektüre optimistisch.

Es „herrscht fröhliches Chaos“

Allerdings schleppt Theresia Enzensberger eine große Last mit, nämlich das Zeitkolorit jener Jahre, durch das Luise Schilling hindurch muss. Da fehlt so gut wie nichts: Jazz und Kino (Nosferatu), Drogen und anrüchige Bars, Lesben, Schwule und Transvestiten, Kommunisten und Zionisten, Nazis und Kohlrabi-Apostel. Kriegsversehrte nicht zu vergessen. Dazu das historische Personal des Bauhauses wie der Politik, Inflation und Ruhrbesetzung, Brand des Justizpalastes in Wien und Massenschlägereien in Berlin. Alles da. All das unterfüttert, wie in der erlebten Zeit die Ereignisse verwirren, die ideologischen Linien sich kreuzen und überblenden, wie schwer es ist, zeitgenössisch Orientierung zu finden.

Genauer: All das könnte es. Am stärksten ist der Roman immer dort, wo er – ob beim Weben oder beim Modellentwurf – nüchtern Arbeits- und Planungsprozesse beschreiben kann. Aber leider kommt das Wissen allzu oft in wikipedantischer Informatorik daher, als Didaxekomprimat, zudem noch etwa so eingeführt: „Luise, wo hast du denn die letzten Tage gelebt?“ Überhaupt, die Sprache! Einen so wunderbar lakonischen Satz, in dem das Arbeitszimmer des Vaters demonstriert, „dass die wärmende Herzlichkeit meiner Mutter nicht in alle Bereiche der Wohnung vordringen kann“, findet man ziemlich selten. Dafür gibt es Floskeln zuhauf. Der Garten „gedeiht prächtig“, im Brief wird „mitgeteilt“, bei der Feier „herrscht fröhliches Chaos“.

Lehrbuchsätze wie dieser: „Mein Begehren speist sich aus dem Blick, mit dem er mich betrachtet.“ Amtssprachliche Drögheiten: „Ich erkläre, dass mein Vater gusseiserne Pfetten herstellt, was ihn in regelmäßigen Kontakt mit den modernen Berliner Architekturbüros bringt, unter anderem mit dem von Peter Behrens. Die Entwicklungen in Weimar werden dort mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.“ Gerade ein solcher Debütroman hätte ein aufmerksameres Lektorat verdient gehabt. Das ist so gänzlich ohne irgendeine sprachliche Sinnlichkeit, diesseits etwelcher Spekulationen über weibliche oder männliche Sprache, ist einfach statt Stahl und Glas meist hölzern und hären.

Wenn man solche „Nüchternheit“ liebt oder zumindest ignorieren kann, dann ist der Roman wegen des Lebenswegs darin seine Lektüre wert.

Info

Blaupause Theresia Enzensberger Hanser 2017, 256 S., 22 €

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