Einmal wurde er als Nachfolger von Horst Seehofer an der CSU-Spitze in München gehandelt, dann wieder als Anwärter auf einen Ministerposten in Berlin. Am Ende hat sich Manfred Weber für das Naheliegende entschieden: Der 46-jährige Europaabgeordnete aus Niederhatzkofen in Bayern will die konservative Europäische Volkspartei (EVP) im nächsten Jahr zur Europawahl führen und – wenn alles gut geht – Ende 2019 den Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker ablösen. Erwartet wird das schon lange in Brüssel, doch Weber hat bis zuletzt gezaudert und gezögert. Fast hätte er den richtigen Zeitpunkt verpasst, um seine Kandidatur bekannt zu geben. Bis zur Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober und dem absehbaren Debakel für seine CSU – so viel war klar – durfte er auf keinen Fall warten. Doch erst, als es so aussah, dass sich auch ein CDU-Politiker wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier um die Juncker-Nachfolge bewirbt, wagte sich Weber aus der Deckung.
Nach einem Besuch im Kanzleramt, wo er offenbar das Plazet von Angela Merkel einholte, ließ Weber die Katze aus dem Sack. „Ja, ich bin dazu bereit“, sagte er zu einer möglichen Kandidatur. „Ich will Europa den Menschen zurückgeben.“ Es war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich CDU und CSU in dieser Hinsicht einigen können. Und selbst dieses Webersche Minimalprogramm trägt nicht weit, wie sich bald darauf zeigen sollte, als es um die Frage ging, ob das EU-Parlament ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn anstoßen sollte oder nicht.
Webers Europäische Volkspartei war gespalten, er selbst unentschieden. Schließlich kam er jahrelang mit Ungarns autoritärem Regierungschef Viktor Orbán bestens aus. Dessen Partei Fidesz gehört zur EVP-Fraktion, die Weber seit 2014 leitet. Erst nach Anruf im Kanzleramt, so wurde es bei der entscheidenden Sitzung des EU-Parlaments am 12. September in Straßburg kolportiert, entschied er sich für ein Ja. Womit er mutmaßlich den Ausschlag gab, denn die EVP stimmte mehrheitlich für das Strafverfahren. Der CSU-Mann habe Führungsstärke bewiesen, jubelten seine Anhänger, freilich weniger die Parteifreunde aus Bayern, denn vier der fünf CSU-Europaabgeordneten stimmten mit 53 anderen EVP-Parlamentariern für Orbán – und gegen ihren designierten Spitzenkandidaten. Gleich bei einer ersten wichtigen Entscheidung wurde Weber von den eigenen Leuten hängen gelassen.
Überraschend kommt das nicht. Weber fehlt – obwohl er seit 2015 Vizechef der CSU ist – die Hausmacht. In München war er bisher von Horst Seehofer abhängig, in Berlin von Angela Merkel. In Brüssel ist er bis heute nicht aus Junckers Schatten getreten. Will er das überhaupt? Sieht er sich nicht eher als Konsens- denn als Machtpolitiker, der hinter den Kulissen dafür sorgt, dass der Laden nicht auseinanderfliegt – wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015? Damals hielt Weber gleichzeitig Kanzlerin Merkel, Seehofer und Orbán die Treue. Er verteidigte nicht nur Seehofers umstrittene Obergrenze, sondern auch Orbáns Flüchtlingslager, ohne sich mit deren Politik zu identifizieren. Da folgte er lieber der Kanzlerin und Kommissionschef Juncker, die für eine „europäische Lösung“ eintraten und Solidarität verlangten. Das trug ihm viel Lob ein, hauptsächlich bei den Anhängern einer großen Koalition im Europaparlament, wie sie bis Ende 2016 offiziell bestand. Weber duzte die Grünen und kungelte mit den Sozialdemokraten, als die noch von Martin Schulz geführt wurden. Er galt als Mann des Ausgleichs, weniger der Tat, dabei hätte er nach dem Abgang von Martin Schulz durchaus seine Chance gehabt.
Doch statt selbst in den Ring zu steigen und sich um die Präsidentschaft im EU-Parlament zu bewerben, hob Weber den Italiener Antonio Tajani ins hohe Amt. Seine Wahl fiel damit auf einen der engsten Vertrauten des früheren italienischen Skandal-Premiers Silvio Berlusconi. Es hätten sich zweifellos bessere Kandidaten finden lassen, doch entschied sich Weber für Tajani – ein Fehlgriff, wie das heute die meisten Abgeordneten sehen.
Kaum besser sieht es im Kampf gegen die Europa-Gegner aus, die im Parlament stärker, anmaßender und aggressiver geworden sind. „Wir müssen den Kampfanzug anziehen und gegen die Populisten in die Schlacht ziehen“, versprach Weber Anfang 2017. Doch bis heute hat er den offenen Schlagabtausch gemieden und musste stattdessen zum Jagen getragen werden wie zuletzt im Fall Orbán. Ein Meister im Lavieren, aber kein entschlossener Kämpfer, dem die Erfahrung harter Wahlkämpfe ebenso fehlt wie die des Regierens. Kann so einer die etwa 32.000 Mitarbeiter starke EU-Kommission führen? Wird er sich gegen Martin Selmayr, den machtbewussten (und CDU-nahen) Generalsekretär der Brüsseler Behörde, durchsetzen? Kanzlerin Merkel immerhin scheint unsicher zu sein. Wer Spitzenkandidat der EVP sei, könne „im Prinzip“ auch Kommissionspräsident werden, sagte sie. Aber eben nur im Prinzip. Ob sie ihn dabei unterstützen wird, ließ die CDU-Vorsitzende offen. In Brüssel zweifeln daran nicht zuletzt Europaparlamentarier der CDU, denn ein Wahlsieg der EVP im Mai 2019 sei alles andere als gewiss. Und warum sollte es nicht noch einen anderen Kandidaten geben?
Weber weiß um diese Skepsis und hat wohl deshalb so lange gewartet. Nun aber, da er sich entschlossen hat, lässt er Kritik an sich abprallen und setzt darauf, dass sich die Bürger für ihn, den stillen Brückenbauer, entscheiden – und keineswegs für irgendwelche Krawallmacher. Und wenn nicht? Dann kann er immer noch Präsident des EU-Parlaments werden. Zumindest dieses Mandat, so glauben Parteifreunde, sei ihm sicher.
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