Der Mann fällt aus dem Rahmen. Er ist in Duisburg geboren, hat aber auch einen griechischen Pass. Er war führender FDP-Politiker und arbeitet nun als Sonderbotschafter für die griechische Linksregierung. Er nennt sich einen überzeugten Europäer und verzweifelt doch – oder gerade deswegen – an der deutschen Europapolitik. „So viel Schwachsinn“ habe die frühere schwarz-gelbe Bundesregierung gemacht, klagt er. Antieuropäisch und antigriechisch sei die deutsche Politik seit Beginn der Eurokrise gewesen. Griechenland sei zur „Kolonie der Gläubiger“ geworden, vertreten durch die Troika.
Jorgo Chatzimarkakis heißt der Mann, der sich so vollmundig mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble anlegt. Wenn es nach den Mächtigen in Berlin ginge, dann wäre er politisch längst erledigt. Schließlich hat er sich nicht nur der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht, als er Merkels Schlingerkurs in Griechenland angriff. Chatzimarkakis gilt auch als Aufschneider, seit die Website „Wikiplag“ seine Doktorarbeit unter die Lupe nahm und zahlreiche Plagiate aufdeckte. Die Universität Bonn sprach ihm daraufhin 2011 den Doktortitel ab. Eine Klage dagegen scheiterte vor Gericht.
Ähnlich wie im Fall der prominenten FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin sollte dies auch Chatzimarkakis seinen Job als Europaabgeordneter kosten. Doch „Chatzi“, wie ihn in Brüssel alle nennen, ging nicht demütig schweigend. Er suchte den großen Auftritt, rechnete öffentlich mit seinen Parteifreunden ab. Vor allem Ex-Parteichef Rainer Brüderle sei schuld am Niedergang der FDP und am Verrat an liberalen Werten, schimpfte er. Brüderle hatte ihn einen „kretischen Schafshirten“ genannt und seinen Vorschlag abgeblockt, die Eurokrise mit einem Stabilitäts- und Solidarmechanismsus zu lösen.
„Man hätte mehr auf Genscher hören müssen, wegen dem ich überhaupt eingetreten bin“, bilanziert Chatzi seine Zeit bei der FDP. Genscher, der Europapolitiker, aber auch Genscher, der Architekt der sozialliberalen Koalition, ist sein Vorbild. Schon früh trat Chatzi, der deutsch-griechische Genscher-Enkel, dem sozialliberal geprägten „Dahrendorf-Kreis“ bei. Im September 2007 machte er Schlagzeilen, als er in einem Strategiepapier eine Fusion von FDP und den Grünen vorschlug. Später wurde er zum Wortführer der Kritiker von Parteichef Guido Westerwelle.
Chatzimarkakis sah sich damals als Vordenker einer neuen liberalen und humanistischen Ära. Seine Doktrin zimmerte er sich so ähnlich zusammen wie seine Doktorarbeit: hier ein bisschen Dahrendorf, dort ein bisschen Aristoteles. Das Ganze vermischt mit dem „informationellen Globalismus“ (so der Titel seiner Dissertation) und einer glühenden Europa-Begeisterung, die durch seine Zeit im Planungsstab des Auswärtigen Amtes unter Klaus Kinkel genährt wurde. Immer wichtiger wurde zudem sein Bekenntnis zu allem, was mit Griechenland und der griechischen Kultur zu tun hat.
Das war vielen in der FDP suspekt. Chatzimarkakis wurde immer mehr an den Rand gedrängt, fand 2004 aber einen logischen Ausweg: Er zog ins Europaparlament ein, wo er sich zu einem Wortführer der Spinelli-Gruppe entwickelte, die ein föderales Europa fordert. Gemeinsam mit dem Chef der liberalen Fraktion, dem Belgier Guy Verhofstadt, entwickelte Chatzi einen „Herkules-Plan“ für Griechenland – eine frühe Alternative zur Merkel’schen Austeritätspolitik.
Doch auch diese Initiative scheiterte. Letztlich hat Chatzimarkakis im Europaparlament nur wenig bewegt. Wer ihn am Ende seiner Amtszeit in Brüssel besuchte, traf auf einen desillusionierten Politiker, der mit Deutschland abgeschlossen hatte und nun voller Pathos für seine zweite Heimat Griechenland schwärmte. Er habe einmal zum inneren Zirkel der Macht gehört, berichtete Chatzimarkakis unter Hinweis auf seine Arbeit im FDP-Bundesvorstand. Doch nun wolle er seine politische Karriere in Athen fortsetzen. „Hellas kann Europa retten“, sagte er trotzig und trat aus der FDP aus.
Doch seine neue Partei der „Hellenischen Europabürger“ scheiterte bei der Europawahl 2014 an der Drei-Prozent-Hürde, der erneute Einzug ins Europaparlament blieb ihm verwehrt. Er war weit gesprungen und tief gefallen. Eine Zeitlang wurde es still um ihn, dann nahm er den Ruf der damals noch konservativen griechischen Regierung an und wurde Sonderbotschafter. Außenminister Evangelos Venizelos, ein Sozialist, hoffte wohl, Chatzimarkakiś Kontakte nach Berlin könnten Griechenland helfen.
Dann kam der Machtwechsel in Athen, Chatzimarkakis fand sich ungewollt als Sprachrohr einer neuen, linken Regierung wieder. Plötzlich wurde er nun wieder in den deutschen Medien wahrgenommen, die ihn seit der Plagiats-Affäre ignoriert hatten. Doch die Journalisten meinten es nicht gut mit ihm, Chatzimarkakis wurde zum Symbol einer angeblich antideutschen Dilettatentruppe gemacht. „Ich bin nicht zu Syriza gewechselt, ich erläutere Regierungspositionen“, rechtfertigte er seine ungewöhnliche Stellung.
Irgendwann muss es ihm dann aber doch zu bunt geworden sein, für 1.000 Euro im Monat seinen Kopf hinzuhalten und in Talkshows verheizt zu werden. Ende Mai ist Schluss, diesmal vielleicht auch mit der Politik: Chatzimarkakis träumt schon lange davon, auf Kreta eine Sektkellerei aufzumachen. Den passenden Ort hat er schon gefunden: einen Weinberg auf dem Grundstück seines Vaters in Episkopi. So würde sich der Kreis schließen, der in Duisburg begann. Was bleibt, ist eine bittere Lehre: Im deutschen Europa ist für Leute wie Chatzimarkakis kein Platz – leider.
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