Angekündigt war ein großes Duell über Industriepolitik in Europa. Doch als die Debatte zwischen Margrethe Vestager und Peter Altmaier beginnt, wird schnell klar, dass hier kein Streit zu erwarten ist. Die EU-Wettbewerbskommissarin aus Dänemark und der Wirtschaftsminister aus Deutschland fassen sich mit Samthandschuhen an.
„Danke dir, Peter“, beginnt Vestager in Brüssel ihren Vortrag. Die europäische Wirtschaft, doziert die studierte Ökonomin, bestehe nicht nur aus Großkonzernen wie Siemens oder Alstom, denen sie gerade die Fusion untersagt hat. Die EU lebe von einem „Ökosystem“ aus kleinen und großen Firmen. Das klingt ein wenig nach Biologieunterricht, nur dass Vestager, die Liberale, nicht mit Darwin argumentiert, so wie Altmaier. Der CDU-Politiker sieht Europa in einem Existenzkampf mit China. Er will „europäische Champions“ fördern, damit die kleinen Fische aus der EU gegen die großen Staatskonzerne aus Fernost eine Chance haben. „Wir wären lausige Chinesen“, hält die EU-Kommissarin Altmaier entgegen. Nach diesem Seitenhieb wird es wieder versöhnlich. Statt auf China zu starren, müssten sich die Europäer auf eigene Stärken besinnen. „Wir kennen unsere Erfolge schlecht, dabei haben wir viele Hidden Champions“, so Vestager. Altmaier nickt. Die deutsche Wirtschaft besteht ja fast nur aus Hidden Champions. Bei so viel Nettigkeiten fällt es schwer, sich Vestager als die „Eiserne Lady“ vorzustellen, als die sie gern beschrieben wird. Auch ihr Look wirkt gar nicht furchteinflößend. An diesem Abend trägt sie ein Blumenkleid im japanischen Stil, zu Hause in Kopenhagen tritt sie gern in Sneakers auf.
Vestager, die für die Liberalen im Europawahlkampf antritt und im Herbst EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker beerben könnte, hat zwei Gesichter. Hinter der freundlichen Fassade versteckt sich eine knallharte Machtpolitikerin. Davon zeugt schon ihre politische Karriere in Dänemark. Gleich nach ihrem Studienabschluss 1993 engagierte sich die Pfarrerstochter aus Westjütland in der Partei Radikale Venstre (RV). Der Name bedeutet ursprünglich „radikale Linke“. Doch der Zusatz „Danmarks social-liberale parti“ macht klar, es geht um sozialliberale Politik, mit betont wirtschaftsliberaler Ausrichtung. Fünf Jahre später war Vestager schon Bildungsministerin, 2007 ging es wieder zurück in die Parteipolitik, diesmal als Fraktionschefin. 2011 war sie Parteivorsitzende, Wirtschaftsministerin, Innenministerin und stellvertretende Regierungschefin. Dabei setzte sie eine harte Sozialreform durch, die auch Kürzungen der Bezüge von Langzeitarbeitslosen vorsah. In Brüssel schwärmte man von der dänischen „Flexicurity“, die als Modell für die ganze EU galt.
Vestager wurde mit Kusshand aufgenommen, als Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt sie im Herbst 2014 als dänische EU-Kommissarin vorschlug. Juncker machte sie zur Wettbewerbskommissarin und gab ihr damit das mächtigste Amt, das er zu bieten hatte. Der Wettbewerb ist der heilige Gral der EU-Politik. Kein anderer EU-Kommissar kann so frei schalten und walten, niemand hat einen so langen Arm wie die Wettbewerbshüter aus Brüssel. Vestager legte sich gleich mit dem deutschen Kommissar Günther Oettinger an. Der CDU-Politiker wollte, ähnlich wie heute Altmaier, Fusionen von großen (deutschen) Telekomunternehmen in Europa erleichtern. Vestager hielt dagegen. „Hat der Verbraucher eine Wahl?“ Das ist die Gretchenfrage, an der Vestager auch heute noch jede Fusion misst. Siemens und Alstom sind an diesem Lackmustest gescheitert. Hätte sie den Zusammenschluss genehmigt, gäbe es keine Konkurrenz mehr bei Hochgeschwindigkeitszügen, meint Vestager. So haben auch ihre Vorgänger argumentiert, von „Mighty Mario“ Monti bis hin zu Joaquin Almunia. Doch Vestager geht radikaler vor. Sie führt die Interessen der Verbraucher – oder was sie dafür hält – auch an, wenn es gegen die weltgrößten Konzerne und die wichtigsten EU-Staaten geht. Damit hat sie Deutschland und Frankreich brüskiert und sogar US-Präsident Donald Trump schockiert, der nicht verwunden hat, dass es eine Frau aus dem kleinen Dänemark wagt, Google & Co. zu Milliardenstrafen zu verdonnern. Vestager ist für ihn die „Steuer-Lady aus Brüssel, die die USA hasst“.
In Europa hingegen wird sie für ihren Mut bewundert. „Diese Frau ist der Hammer“, heißt es in der EU-Kommission, wo Vestager die anderen Kommissare locker an die Wand spielt. Charmant sei sie, aber auch machtbewusst. Dass sie keine Lobbyisten empfängt und auf Konferenzen gerne strickt, finden nicht nur ihre Mitarbeiter sympathisch. Doch die Frau hat sich auch Feinde gemacht, sogar in der EU. In Irland, den Niederlanden oder Luxemburg brachte sie ganze Regierungen gegen sich auf, als sie gegen Steuersparmodelle für Großkonzerne vorging. Die Arrangements seien illegale staatliche Beihilfen für die Multis, stellte Vestager fest, so weit hatte noch niemand das Wettbewerbsrecht ausgelegt.
Sogar in Dänemark hat Vestager an Rückhalt verloren. Drei Jahre nachdem sie zur „Dänin des Jahres“ gekürt wurde, möchte sich die Regierung nicht mehr zu ihr bekennen. Dass sie nach der Europawahl erneut für einen Kommissarposten nominiert wird, erscheint unwahrscheinlich. Auch ihr Ziel, Juncker zu beerben, wird in ihrer Heimat nicht unterstützt. Den größten Rückhalt verspürte Vestager bisher bei Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, der die unkonventionelle Liberale zur Galionsfigur seiner europapolitischen „Renaissance“ machen wollte. Doch seit Vestager die Fusion Siemens-Alstom durchkreuzt hat, ist die Liebe in Paris abgekühlt. Umso mehr lobende Worte hört man neuerdings in Berlin, nicht nur bei Altmaier. Vestager ist noch längst nicht aus dem Rennen.
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