Mission unerfüllt

Bundeswehr Guttenberg hat seinem Nachfolger de Maizière eine schlecht geplante Reform hinterlassen. Und jetzt? Der neue Minister will sich „Zeit nehmen“

Den Ministertitel musste Karl-Theodor zu Guttenberg ablegen. An dem Mythos zu Guttenberg aber wird seit dessen Rücktritt weiter gearbeitet. Zur Verklärung des großen Plagiators gehört nicht nur das Gerede von einer bösen, linken Medienverschwörung gegen den fränkischen Edelmann. Zu der Verklärung gehört auch das Bild vom sachkundigen, durchsetzungsfähigen und erfolgreichen Minister von der CSU, der auch unbequeme Entscheidungen nicht scheute.

„Viel Kraft“ habe er selbst in der letzten Woche seiner Amtszeit noch einmal auf den nächsten Schritt der Bundeswehrform verwendet, erklärte Guttenberg bei seinem Abgang. Nun aber könne er in der Gewissheit abtreten, dass das „Konzept der Reform steht“. Von der Kanzlerin abwärts überschlugen sich denn auch seine bedingungslos solidarischen Anhänger in den Unionsparteien und andernorts mit Huldigungen seiner „herausragenden politischen Begabung“. Eine historische Leistung in der deutschen Geschichte wurde ihm bescheinigt. Hatte er doch, so Angela Merkel, „mit der Bundeswehrreform eine wegweisende und tiefgreifende Reform unserer Bundeswehr eingeleitet“.

Während all dieser lauten Hymnen wurde Guttenberg von seinem Nachfolger ganz leise demontiert. Die „notwendigen Entscheidungen“ zur Bundeswehrreform werde er „nach gründlicher Lagefeststellung treffen“, so der neue Amtschef Thomas de Maizière (CDU). „Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche“, hieß es in seinem ersten offiziellen Statement als Bundesminister der Verteidigung. Wer diese Worte de Maizières nicht verstand, dem wurde einen Tag später nachgeholfen. Mit einer seiner ersten Amtshandlungen versetzte der neue Minister Staatssekretär Walter Otremba in den einstweiligen Ruhestand, den Guttenberg just für die Bundeswehrreform ins Wehrressort geholt hatte. Der neue Minister hielt die Planungen seines Vorgängers offenbar für unausgegoren.

Der Glanz wäre bald verblasst

Dabei ist zumindest ein Ziel der Bundeswehrreform quer durch die Lager akzeptiert. Ob Befürworter, Skeptiker oder Gegner weltweiter militärischer Interventionen: Niemand kann plausibel begründen, warum ein Staat, der von Freunden umzingelt ist, eine Viertelmillion Menschen ständig kampfbereit unter Waffen halten soll. Nicht einmal eingerechnet sind dabei die fast 120.000 zivilen Beschäftigten der Bundeswehr und schon gar nicht all jene, die in externen Unternehmen „outgesourcte“ Hilfsaufgaben der Streitkräfte wahrnehmen. Wer hier wie geplant auf 185.000 Soldaten kürzen soll, der macht sich unbeliebt.

Dabei hätte auch Guttenbergs oft gepriesene Beliebtheit bei der Truppe nicht geholfen. Die basierte vor allem darauf, dass er im Gegensatz zu seinen Vorgängern den Krieg in Afghanistan als eben solchen bezeichnete und ihn nicht, wie vor allem bei SPD und Grünen lange gepflegt, als Aufbauhilfe verniedlichte. Der Popstar des Berliner Politikbetriebes vermittelte der Truppe, er wäre einer von ihnen. Die Soldaten fühlten sich anerkannt. Hätte sich Guttenberg aber tatsächlich eines Tages an die Auflösung anachronistischer Strukturen gemacht, was bei unteren Rängen oft genug als zusätzliche Arbeitsbelastung ankommt, wäre sein Glanz wohl bald verblasst.

Und dies nicht nur aus Sicht der Soldaten. Denn Militärpolitik war und ist immer auch ein Mittel regionaler Strukturpolitik. Nach der Entstaatlichung von Post und Bahn ist die Bundeswehr heute der letzte in der Fläche vertretene staatliche Arbeitgeber. Wo und in welcher Stärke sie im Land präsent ist, hat nichts mit militärpolitischer Bedarfsanalyse, aber sehr viel mit der versteckten Unterstützung ländlicher Regionen zu tun. Gerade in Flächenländern ist die Bundeswehr in vielen Kleinstädten der größte Arbeitsgeber und ein wichtiger Auftraggeber für lokale Betriebe. Der neue Minister wird wohl täglich einen anderen Abgeordneten im Vorzimmer sitzen haben, der ihm dann erklärt, warum ausgerechnet die Kaserne in seinem Wahlkreis auf jeden Fall erhalten werden muss.

Weit weniger mutig als propagiert war Guttenberg auch bei der Abschaffung der Wehrpflicht. Die Entscheidung war zwar ein konservativer Tabubruch, aber letztlich einfach, weil sie sich, je nach politischer Einstellung, beliebig begründen ließ. Was die einen ihrer Klientel als überfälliges Ende eines im Kalten Krieg wieder eingeführten Zwangsdienstes verkauften, konnten die anderen vor ihren Anhängern als endgültigen Durchbruch zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee verbuchen. Doch niemand weiß, welche soziale Struktur die Bundeswehr dadurch bekommt. Und niemand weiß, wie eine von der Bevölkerung abgeschottete Armee die Republik verändern wird.

Freiwillige verzweifelt gesucht

Fest steht schon jetzt, dass die Bundeswehrplaner ein akutes Problem haben, die Wehrpflichtigen durch Freiwillige zu ersetzen. Von der stets überwältigenden Bundestagsmehrheit für Auslandseinsätze geblendet, dürfte so mancher Parlamentarier aus den Augen verloren haben, wie skeptisch eine Bevölkerungsmehrheit insbesondere den Einsatz in Afghanistan sieht – und wie wenig im persönlichen Umfeld von Soldaten verstanden wird, warum sie sich in diesen unpopulären und ziellosen Krieg schicken lassen. Obwohl die eigentlichen Kampfeinheiten in Afghanistan nur wenige Hundert Soldaten umfassen, gibt es dort schon jetzt Engpässe, die nur durch längere Einsatzzeiten ausgeglichen werden können.

Die Bewerberzahlen für die Bundeswehr bleiben bislang jedenfalls deutlich unter dem Soll. Von 160.000 in diesem Jahr persönlich angeschriebenen jungen Männern meldeten offenbar gerade einmal 7.000 ein Interesse an weiteren Informationen an. Dabei sollen künftig neben 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten jedes Jahr 15.000 Freiwillige für die unteren Ränge gefunden werden. Insbesondere die Rekrutierung für Kampftruppen könnte erhebliche Probleme bereiten. Denn deren infanteristische Qualifikation ist im Gegensatz zu der von Sanitätern, Militärpolizisten, Handwerkern oder Mechanikern außerhalb der Armee nicht gefragt.

In seiner Abschiedserklärung belehrte Guttenberg die politische Klasse, zu der er sich bekanntlich selbst nicht zählen mochte, wie und zu welchem Zeitpunkt ein anständiger Rücktritt zu erfolgen habe. „Es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen“, verkündete der Noch-Minister vor den Kameras im Bendler-Block. Dabei ist ihm nicht nur die Metapher leicht verrutscht. Er vergaß auch zu erwähnen, dass er die eigentlich schwierigen Entscheidungen aufgeschoben hat.

Eric Chauvistré arbeitet als freier Journalist und Militärexperte in Berlin. 2009 veröffentlichte er das Buch Wir Gutkrieger. Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern wird

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