Verkettung

Augsteins Tragik Der "Spiegel" war sein Lebenswerk, aber er hat sich darin nicht verwirklicht

Wir waren befreundet. Aber Freunde im eigentlichen Sinn des Begriffes waren wir nicht. Ich frage mich, ob es im Spiegel-Leben dieses Mannes, überhaupt jemanden gab, dem er und der ihm ein Freund war. Es soll ihn gegeben haben, den Verlagsdirektor Hans Detlev Becker, mit dem ich es nur einmal zu tun hatte, als wir meinen Vertrag mit dem Spiegel zu besprechen hatten. Das war 1964.

Meine Zugehörigkeit zum Spiegel dauerte nicht lang; mit meiner Art zu schreiben passte ich nicht in die Spiegel-Routine. Das beschädigte meine bereits bestehende nahe Beziehung zu Augstein nicht, die erst vor zehn Jahren mit einem dreistündigen Gespräch in seiner Wohnung am Hamburger Leinpfad endete. Ich habe allerlei über Augstein und sein Magazin im Laufe der Zeit geschrieben, darin wird auch "seine rasiermesserscharfe Intelligenz" gerühmt. Über sie verfügte er bis zum Schluss. Im Gespräch zeigte er sich verbindlich und liebenswürdig, aber das war nur ein Rollenspiel. Sein Misstrauen gegen alles und jeden wuchs in dem Maß, in dem sein materieller Reichtum zunahm.

Wenn wir uns trafen, ging es nie um hohe Politik. Er war ein Nationalist, und er wusste, dass ich alles andere bin. In seinem Beitrag zu meinem Buch Deutsche Schattenspiele schrieb er: "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine einigermaßen gedeihliche Entwicklung in Europa geben könnte, solange die beiden deutschen Staaten gewaltsam voneinander getrennt gehalten wurden." Eine Lösung der "deutschen Frage" ohne "Wiedervereinigung" war ihm unvorstellbar. Die Zeitgeschichte hat ihm Recht gegeben.

Ich war vom Stern zum Spiegel gegangen, nicht zuletzt auf Augsteins Drängen. Aber dieser Ausflug erwies sich als eine Mesalliance; ich passte auch nicht in ein Milieu, das wie eine Bundeswehreinheit organisiert war - wofür, nebenbei gesagt, Hans Detlev Becker weit mehr als Augstein gesorgt hatte. Bei den Zusammenkünften mit R. A. war mir nicht bewusst, den Eigentümer eines bedeutenden Wirtschaftsunternehmens vor mir zu haben. Er war in meinen Augen ein Journalist, wir diskutierten von gleich zu gleich. Gegenüber einem Partner, dem er vertraute, machte er keinen Hehl daraus, dass er den Spiegel gern los geworden wäre; ja, es war ihm verhasst, an ihn gekettet zu sein. Aber für die Redaktion war er der Spiegel-Chef und kam gleich nach dem lieben Gott.

Der Spiegel ist sein Lebenswerk gewesen, aber er hat sich darin nicht verwirklicht. Das ist eine Behauptung, die vielleicht deshalb schwer zu verstehen ist, weil es neben dem Spiegel kein anderes "Lebenswerk" Augsteins gegeben hat; aber gerade im Spiegel fand sein Gründer (und Nutznießer) nie die Erfüllung seines Lebensanspruchs. Seine Bücher waren Fluchtpunkte. Er war das, als was er heute, nach seinem Tod, vor mir erscheint - eine tragische Figur.

Das Nachrichtenmagazin erscheint jede Woche in großen Auflagen in der immer gleichen Aufmachung des Umschlages, aber es nähert sich mehr und mehr der unterhaltsamen Unverbindlichkeit der Bunten: Deutschland hat nicht nur den Spiegel-Gründer Augstein verloren, sondern auch das, was einst "Sturmgeschütz der Demokratie" genannt worden ist. Ich lese ihn (noch?), aber wenn ich damit durch bin, weiß ich nicht, was ich gelesen habe. Der letzte Satz im Augstein-Artikel der Süddeutschen vom 9./10. Oktober lautet: "Wir haben ihn verloren, seine Maßstäbe bleiben." Eine Hoffnung, die noch der Bestätigung durch einen von Stefan Aust geführten Spiegel bedarf.

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